1919 Сельский врач (сборник)
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Es sind gute Menschen, trotz allem. Gerne erinnere ich mich noch heute an den Klang ihrer schweren Schritte, der damals in meinem Halbschlaf widerhallte. Sie hatten die Gewohnheit, alles "ausserst langsam in Angriff zu nehmen. Wollte sich einer die Augen reiben, so hob er die Hand wie ein H"angegewicht. Ihre Scherze waren grob, aber herzlich. Ihr Lachen war immer mit einem gef"ahrlich klingenden aber nichts bedeutenden Husten gemischt. Immer hatten sie im Mund etwas zum Ausspeien und wohin sie ausspieen war ihnen gleichg"ultig. Immer klagten sie, dass meine Fl"ohe auf sie "uberspringen; aber doch waren sie mir deshalb niemals ernstlich b"ose; sie wussten eben, dass in meinem Fell Fl"ohe gedeihen und dass Fl"ohe Springer sind; damit fanden sie sich ab. Wenn sie dienstfrei waren, setzten sich manchmal einige im Halbkreis um mich nieder; sprachen kaum, sondern gurrten einander nur zu; rauchten, auf Kisten ausgestreckt, die Pfeife; schlugen sich aufs Knie, sobald ich die geringste Bewegung machte; und hie und da nahm einer einen Stecken und kitzelte mich dort, wo es mir angenehm war. Sollte ich heute eingeladen werden, eine Fahrt auf diesem Schiffe mitzumachen, ich w"urde die Einladung gewiss ablehnen, aber ebenso gewiss ist, dass es nicht nur h"assliche Erinnerungen sind, denen ich dort im Zwischendeck nachh"angen k"onnte.
Die Ruhe, die ich mir im Kreise dieser Leute erwarb, hielt mich vor allem von jedem Fluchtversuch ab. Von heute aus gesehen scheint es mir, als h"atte ich zumindest geahnt, dass ich einen Ausweg finden m"usse, wenn ich leben wolle, dass dieser Ausweg aber nicht durch Flucht zu erreichen sei. Ich weiss nicht mehr, ob Flucht m"oglich war, aber ich glaube es; einem Affen sollte Flucht immer m"oglich sein. Mit meinen heutigen Z"ahnen muss ich schon beim gew"ohnlichen N"usseknacken vorsichtig sein, damals aber h"atte es mir wohl im Lauf der Zeit gelingen m"ussen, das T"urschloss durchzubeissen. Ich tat es nicht. Was w"are damit auch gewonnen gewesen? Man h"atte mich, kaum war der Kopf hinausgesteckt, wieder eingefangen und in einen noch schlimmeren K"afig gesperrt; oder ich h"atte mich unbemerkt zu anderen Tieren, etwa zu den Riesenschlangen mir gegen"uber fl"uchten k"onnen und mich in ihren Umarmungen ausgehaucht; oder es w"are mir gar gelungen, mich bis aufs Deck zu stehlen und "uber Bord zu springen, dann h"atte ich ein Weilchen auf dem Weltmeer geschaukelt und w"are ersoffen. Verzweiflungstaten. Ich rechnete nicht so menschlich, aber unter dem Einfluss meiner Umgebung verhielt ich mich so, wie wenn ich gerechnet h"atte.
Ich rechnete nicht, wohl aber beobachtete ich in aller Ruhe. Ich sah diese Menschen auf und ab gehen, immer die gleichen Gesichter, die gleichen Bewegungen, oft schien es mir, als w"are es nur einer. Dieser Mensch oder diese Menschen gingen also unbehelligt. Ein hohes Ziel d"ammerte mir auf. Niemand versprach mir, dass, wenn ich so wie sie werden w"urde, das Gitter aufgezogen werde. Solche Versprechungen f"ur scheinbar unm"ogliche Erf"ullungen werden nicht gegeben. L"ost man aber die Erf"ullungen ein, erscheinen nachtr"aglich auch die Versprechungen genau dort, wo man sie fr"uher vergeblich gesucht hat. Nun war an diesen Menschen an sich nichts, was mich sehr verlockte. W"are ich ein Anh"anger jener erw"ahnten Freiheit, ich h"atte gewiss das Weltmeer dem Ausweg vorgezogen, der sich mir im tr"uben Blick dieser Menschen zeigte. Jedenfalls aber beobachtete ich sie schon lange vorher, ehe ich an solche Dinge dachte, ja die angeh"auften Beobachtungen dr"angten mich erst in die bestimmte Richtung.
Es war so leicht, die Leute nachzuahmen. Spucken konnte ich schon in den ersten Tagen. Wir spuckten einander dann gegenseitig ins Gesicht; der Unterschied war nur, dass ich mein Gesicht nachher reinleckte, sie ihres nicht. Die Pfeife rauchte ich bald wie ein Alter; dr"uckte ich dann auch noch den Daumen in den Pfeifenkopf, jauchzte das ganze Zwischendeck; nur den Unterschied zwischen der leeren und der gestopften Pfeife verstand ich lange nicht.
Die meiste M"uhe machte mir die Schnapsflasche. Der Geruch peinigte mich; ich zwang mich mit allen Kr"aften; aber es vergingen Wochen, ehe ich mich "uberwand. Diese inneren K"ampfe nahmen die Leute merkw"urdigerweise ernster als irgend etwas sonst an mir. Ich unterscheide die Leute auch in meiner Erinnerung nicht, aber da war einer, der kam immer wieder, allein oder mit Kameraden, bei Tag, bei Nacht, zu den verschiedensten Stunden; stellte sich mit der Flasche vor mich hin und gab mir Unterricht. Er begriff mich nicht, er wollte das R"atsel meines Seins l"osen. Er entkorkte langsam die Flasche und blickte mich dann an, um zu pr"ufen, ob ich verstanden habe; ich gestehe, ich sah ihm immer mit wilder, mit "uberst"urzter Aufmerksamkeit zu; einen solchen Menschensch"uler findet kein Menschenlehrer auf dem ganzen Erdenrund; nachdem die Flasche entkorkt war, hob er sie zum Mund; ich mit meinen Blicken ihm nach bis in die Gurgel; er nickt, zufrieden mit mir, und setzt die Flasche an die Lippen; ich, entz"uckt von allm"ahlicher Erkenntnis, kratze mich quietschend der L"ange und Breite nach, wo es sich trifft; er freut sich, setzt die Flasche an und macht einen Schluck; ich, ungeduldig und verzweifelt, ihm nachzueifern, verunreinige mich in meinem K"afig, was wieder ihm grosse Genugtuung macht; und nun weit die Flasche von sich streckend und im Schwung sie wieder hinauff"uhrend, trinkt er sie, "ubertrieben lehrhaft zur"uckgebeugt, mit einem Zuge leer. Ich, ermattet von allzugrossem Verlangen, kann nicht mehr folgen und h"ange schwach am Gitter, w"ahrend er den theoretischen Unterricht damit beendet, dass er sich den Bauch streicht und grinst.
Nun erst beginnt die praktische "Ubung. Bin ich nicht schon allzu ersch"opft durch das Theoretische? Wohl, allzu ersch"opft. Das geh"ort zu meinem Schicksal. Trotzdem greife ich, so gut ich kann, nach der hingereichten Flasche; entkorke sie zitternd; mit dem Gelingen stellen sich allm"ahlich neue Kr"afte ein; ich hebe die Flasche, vom Original schon kaum zu unterscheiden; setze sie an und – und werfe sie mit Abscheu, mit Abscheu, trotzdem sie leer ist und nur noch der Geruch sie f"ullt, werfe sie mit Abscheu auf den Boden. Zur Trauer meines Lehrers, zur gr"osseren Trauer meiner selbst; weder ihn, noch mich vers"ohne ich dadurch, dass ich auch nach dem Wegwerfen der Flasche nicht vergesse, ausgezeichnet meinen Bauch zu streichen und dabei zu grinsen.
Allzuoft nur verlief so der Unterricht. Und zur Ehre meines Lehrers: er war mir nicht b"ose; wohl hielt er mir manchmal die brennende Pfeife ans Fell, bis es irgendwo, wo ich nur schwer hinreichte, zu glimmen anfing, aber dann l"oschte er es selbst wieder mit seiner riesigen guten Hand; er war mir nicht b"ose, er sah ein, dass wir auf der gleichen Seite gegen die Affennatur k"ampften und dass ich den schwereren Teil hatte.
Was f"ur ein Sieg dann allerdings f"ur ihn wie f"ur mich, als ich eines Abends vor grossem Zuschauerkreis – vielleicht war ein Fest, ein Grammophon spielte, ein Offizier erging sich zwischen den Leuten – als ich an diesem Abend, gerade unbeachtet, eine vor meinem K"afig versehentlich stehen gelassene Schnapsflasche ergriff, unter steigender Aufmerksamkeit der Gesellschaft sie schulgerecht entkorkte, an den Mund setzte und ohne Z"ogern, ohne Mundverziehen, als Trinker von Fach, mit rund gew"alzten Augen, schwappender Kehle, wirklich und wahrhaftig leer trank; nicht mehr als Verzweifelter, sondern als K"unstler die Flasche hinwarf; zwar vergass den Bauch zu streichen; daf"ur aber, weil ich nicht anders konnte, weil es mich dr"angte, weil mir die Sinne rauschten, kurz und gut
Ich wiederhole: es verlockte mich nicht, die Menschen nachzuahmen; ich ahmte nach, weil ich einen Ausweg suchte, aus keinem anderen Grund. Auch war mit jenem Sieg noch wenig getan. Die Stimme versagte mir sofort wieder; stellte sich erst nach Monaten ein; der Widerwille gegen die Schnapsflasche kam sogar noch verst"arkter. Aber meine Richtung allerdings war mir ein f"ur allemal gegeben.
Als ich in Hamburg dem ersten Dresseur "ubergeben wurde, erkannte ich bald die zwei M"oglichkeiten, die mir offen standen: Zoologischer Garten oder Variet'e. Ich z"ogerte nicht. Ich sagte mir: setze alle Kraft an, um ins Variet'e zu kommen; das ist der Ausweg; Zoologischer Garten ist nur ein neuer Gitterk"afig; kommst du in ihn, bist du verloren.
Und ich lernte, meine Herren. Ach, man lernt, wenn man muss; man lernt, wenn man einen Ausweg will; man lernt r"ucksichtslos. Man beaufsichtigt sich selbst mit der Peitsche; man zerfleischt sich beim geringsten Widerstand. Die Affennatur raste, sich "uberkugelnd, aus mir hinaus und weg, so dass mein erster Lehrer selbst davon fast "affisch wurde, bald den Unterricht aufgeben und in eine Heilanstalt gebracht werden musste. Gl"ucklicherweise kam er wieder bald hervor.
Aber ich verbrauchte viele Lehrer, ja sogar einige Lehrer gleichzeitig. Als ich meiner F"ahigkeiten schon sicherer geworden war, die "Offentlichkeit meinen Fortschritten folgte, meine Zukunft zu leuchten begann, nahm ich selbst Lehrer auf, liess sie in f"unf aufeinanderfolgenden Zimmern niedersetzen und lernte bei allen zugleich, indem ich ununterbrochen aus einem Zimmer ins andere sprang.
Diese Fortschritte! Dieses Eindringen der Wissensstrahlen von allen Seiten ins erwachende Hirn! Ich leugne nicht: es begl"uckte mich. Ich gestehe aber auch ein: ich "ubersch"atzte es nicht, schon damals nicht, wieviel weniger heute. Durch eine Anstrengung, die sich bisher auf der Erde nicht wiederholt hat, habe ich die Durchschnittsbildung eines Europ"aers erreicht. Das w"are an sich vielleicht gar nichts, ist aber insofern doch etwas, als es mir aus dem K"afig half und mir diesen besonderen Ausweg, diesen Menschenausweg verschaffte. Es gibt eine ausgezeichnete deutsche Redensart: sich in die B"usche schlagen; das habe ich getan, ich habe mich in die B"usche geschlagen. Ich hatte keinen anderen Weg, immer vorausgesetzt, dass nicht die Freiheit zu w"ahlen war.
"Uberblicke ich meine Entwicklung und ihr bisheriges Ziel, so klage ich weder, noch bin ich zufrieden. Die H"ande in den Hosentaschen, die Weinflasche auf dem Tisch, liege ich halb, halb sitze ich im Schaukelstuhl und schaue aus dem Fenster. Kommt Besuch, empfange ich ihn, wie es sich geb"uhrt. Mein Impresario sitzt im Vorzimmer; l"aute ich, kommt er und h"ort, was ich zu sagen habe. Am Abend ist fast immer Vorstellung, und ich habe wohl kaum mehr zu steigernde Erfolge. Komme ich sp"at nachts von Banketten, aus wissenschaftlichen Gesellschaften, aus gem"utlichem Beisammensein nach Hause, erwartet mich eine kleine halbdressierte Schimpansin und ich lasse es mir nach Affenart bei ihr wohlgehen. Bei Tag will ich sie nicht sehen; sie hat n"amlich den Irrsinn des verwirrten dressierten Tieres im Blick; das erkenne nur ich und ich kann es nicht ertragen.