1919 Сельский врач (сборник)
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Mit diesem Bleistift setzte er nun oben auf dem Stein an; der Stein war sehr hoch, er musste sich gar nicht b"ucken, wohl aber musste er sich vorbeugen, denn der Grabh"ugel, auf den er nicht treten wollte, trennte ihn von dem Stein. Er stand also auf den Fussspitzen und st"utzte sich mit der linken Hand auf die Fl"ache des Steines. Durch eine besonders geschickte Hantierung gelang es ihm, mit dem gew"ohnlichen Bleistift Goldbuchstaben zu erzielen; er schrieb: »Hier ruht –« Jeder Buchstabe erschien rein und sch"on, tief geritzt und in vollkommenem Gold. Als er die zwei Worte geschrieben hatte, sah er nach K. zur"uck; K., der sehr begierig auf das Fortschreiten der Inschrift war, k"ummerte sich kaum um den Mann, sondern blickte nur auf den Stein. Tats"achlich setzte der Mann wieder zum Weiterschreiben an, aber er konnte nicht, es bestand irgendein Hindernis, er liess den Bleistift sinken und drehte sich wieder nach K. um. Nun sah auch K. den K"unstler an und merkte, dass dieser in grosser Verlegenheit war, aber die Ursache dessen nicht sagen konnte. Alle seine fr"uhere Lebhaftigkeit war verschwunden. Auch K. geriet dadurch in Verlegenheit; sie wechselten hilflose Blicke; es lag ein h"assliches Missverst"andnis vor, das keiner aufl"osen konnte. Zur Unzeit begann nun auch eine kleine Glocke von der Grabkapelle zu l"auten, aber der K"unstler fuchtelte mit der erhobenen Hand und sie h"orte auf. Nach einem Weilchen begann sie wieder; diesmal ganz leise und, ohne besondere Aufforderung, gleich abbrechend; es war, als wolle sie nur ihren Klang pr"ufen. K. war untr"ostlich "uber die Lage des K"unstlers, er begann zu weinen und schluchzte lange in die vorgehaltenen H"ande. Der K"unstler wartete, bis K. sich beruhigt hatte, und entschloss sich dann, da er keinen andern Ausweg fand, dennoch zum Weiterschreiben. Der erste kleine Strich, den er machte, war f"ur K. eine Erl"osung, der K"unstler brachte ihn aber offenbar nur mit dem "aussersten Widerstreben zustande; die Schrift war auch nicht mehr so sch"on, vor allem schien es an Gold zu fehlen, blass und unsicher zog sich der Strich hin, nur sehr gross wurde der Buchstabe. Es war ein J, fast war es schon beendet, da stampfte der K"unstler w"utend mit einem Fuss in den Grabh"ugel hinein, dass die Erde ringsum in die H"ohe flog. Endlich verstand ihn K.; ihn abzubitten war keine Zeit mehr; mit allen Fingern grub er in die Erde, die fast keinen Widerstand leistete; alles schien vorbereitet; nur zum Schein war eine d"unne Erdkruste aufgerichtet; gleich hinter ihr "offnete sich mit absch"ussigen W"anden ein grosses Loch, in das K., von einer sanften Str"omung auf den R"ucken gedreht, versank. W"ahrend er aber unten, den Kopf im Genick noch aufgerichtet, schon von der undurchdringlichen Tiefe aufgenommen wurde, jagte oben sein Name mit m"achtigen Zieraten "uber den Stein.
Entz"uckt von diesem Anblick erwachte er.
14. EIN BERICHT F"UR EINE AKADEMIE
Hohe Herren von der Akademie!
Sie erweisen mir die Ehre, mich aufzufordern, der Akademie einen Bericht "uber mein "affisches Vorleben einzureichen.
In diesem Sinne kann ich leider der Aufforderung nicht nachkommen. Nahezu f"unf Jahre trennen mich vom Affentum, eine Zeit, kurz vielleicht am Kalender gemessen, unendlich lang aber durchzugaloppieren, so wie ich es getan habe, streckenweise begleitet von vortrefflichen Menschen, Ratschl"agen, Beifall und Orchestralmusik, aber im Grunde allein, denn alle Begleitung hielt sich, um im Bilde zu bleiben, weit vor der Barriere. Diese Leistung w"are unm"oglich gewesen, wenn ich eigensinnig h"atte an meinem Ursprung, an den Erinnerungen der Jugend festhalten wollen. Gerade Verzicht auf jeden Eigensinn war das oberste Gebot, das ich mir auferlegt hatte; ich, freier Affe, f"ugte mich diesem Joch. Dadurch verschlossen sich mir aber ihrerseits die Erinnerungen immer mehr. War mir zuerst die R"uckkehr, wenn die Menschen gewollt h"atten, freigestellt durch das ganze Tor, das der Himmel "uber der Erde bildet, wurde es gleichzeitig mit meiner vorw"arts gepeitschten Entwicklung immer niedriger und enger; wohler und eingeschlossener f"uhlte ich mich in der Menschenwelt; der Sturm, der mir aus meiner Vergangenheit nachblies, s"anftigte sich; heute ist es nur ein Luftzug, der mir die Fersen k"uhlt; und das Loch in der Ferne, durch das er kommt und durch das ich einstmals kam, ist so klein geworden, dass ich, wenn "uberhaupt die Kr"afte und der Wille hinreichen w"urden, um bis dorthin zur"uckzulaufen, das Fell vom Leib mir schinden m"usste, um durchzukommen. Offen gesprochen, so gerne ich auch Bilder w"ahle f"ur diese Dinge, offen gesprochen: Ihr Affentum, meine Herren, soferne Sie etwas Derartiges hinter sich haben, kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine. An der Ferse aber kitzelt es jeden, der hier auf Erden geht: den kleinen Schimpansen wie den grossen Achilles.
In eingeschr"anktestem Sinn aber kann ich doch vielleicht Ihre Anfrage beantworten und ich tue es sogar mit grosser Freude. Das erste, was ich lernte, war: den Handschlag geben; Handschlag bezeugt Offenheit; mag nun heute, wo ich auf dem H"ohepunkte meiner Laufbahn stehe, zu jenem ersten Handschlag auch das offene Wort hinzukommen. Es wird f"ur die Akademie nichts wesentlich Neues beibringen und weit hinter dem zur"uckbleiben, was man von mir verlangt hat und was ich beim besten Willen nicht sagen kann – immerhin, es soll die Richtlinie zeigen, auf welcher ein gewesener Affe in die Menschenwelt eingedrungen ist und sich dort festgesetzt hat. Doch d"urfte ich selbst das Geringf"ugige, was folgt, gewiss nicht sagen, wenn ich meiner nicht v"ollig sicher w"are und meine Stellung auf allen grossen Variet'eb"uhnen der zivilisierten Welt sich nicht bis zur Unersch"utterlichkeit gefestigt h"atte:
Ich stamme von der Goldk"uste. Dar"uber, wie ich eingefangen wurde, bin ich auf fremde Berichte angewiesen. Eine Jagdexpedition der Firma Hagenbeck – mit dem F"uhrer habe ich "ubrigens seither schon manche gute Flasche Rotwein geleert – lag im Ufergeb"usch auf dem Anstand, als ich am Abend inmitten eines Rudels zur Tr"anke lief. Man schoss; ich war der einzige, der getroffen wurde; ich bekam zwei Sch"usse.
Einen in die Wange; der war leicht; hinterliess aber eine grosse ausrasierte rote Narbe, die mir den widerlichen, ganz und gar unzutreffenden, f"ormlich von einem Affen erfundenen Namen Rotpeter eingetragen hat, so als unterschiede ich mich von dem unl"angst krepierten, hie und da bekannten, dressierten Affentier Peter nur durch den roten Fleck auf der Wange. Dies nebenbei.
Der zweite Schuss traf mich unterhalb der H"ufte. Er war schwer, er hat es verschuldet, dass ich noch heute ein wenig hinke. Letzthin las ich in einem Aufsatz irgendeines der zehntausend Windhunde, die sich in den Zeitungen "uber mich auslassen: meine Affennatur sei noch nicht ganz unterdr"uckt; Beweis dessen sei, dass ich, wenn Besucher kommen, mit Vorliebe die Hosen ausziehe, um die Einlaufstelle jenes Schusses zu zeigen. Dem Kerl sollte jedes Fingerchen seiner schreibenden Hand einzeln weggeknallt werden. Ich, ich darf meine Hosen ausziehen, vor wem es mir beliebt; man wird dort nichts finden als einen wohlgepflegten Pelz und die Narbe nach einem – w"ahlen wir hier zu einem bestimmten Zwecke ein bestimmtes Wort, das aber nicht missverstanden werden wolle – die Narbe nach einem frevelhaften Schuss. Alles liegt offen zutage; nichts ist zu verbergen; kommt es auf Wahrheit an, wirft jeder Grossgesinnte die allerfeinsten Manieren ab. W"urde dagegen jener Schreiber die Hosen ausziehen, wenn Besuch kommt, so h"atte dies allerdings ein anderes Ansehen und ich will es als Zeichen der Vernunft gelten lassen, dass er es nicht tut. Aber dann mag er mir auch mit seinem Zartsinn vom Halse bleiben!
Nach jenen Sch"ussen erwachte ich – und hier beginnt allm"ahlich meine eigene Erinnerung – in einem K"afig im Zwischendeck des Hagenbeckschen Dampfers. Es war kein vierwandiger Gitterk"afig; vielmehr waren nur drei W"ande an einer Kiste festgemacht; die Kiste also bildete die vierte Wand. Das Ganze war zu niedrig zum Aufrechtstehen und zu schmal zum Niedersitzen. Ich hockte deshalb mit eingebogenen, ewig zitternden Knien, und zwar, da ich zun"achst wahrscheinlich niemanden sehen und immer nur im Dunkel sein wollte, zur Kiste gewendet, w"ahrend sich mir hinten die Gitterst"abe ins Fleisch einschnitten. Man h"alt eine solche Verwahrung wilder Tiere in der allerersten Zeit f"ur vorteilhaft, und ich kann heute nach meiner Erfahrung nicht leugnen, dass dies im menschlichen Sinn tats"achlich der Fall ist.
Daran dachte ich aber damals nicht. Ich war zum erstenmal in meinem Leben ohne Ausweg; zumindest geradeaus ging es nicht; geradeaus vor mir war die Kiste, Brett fest an Brett gef"ugt. Zwar war zwischen den Brettern eine durchlaufende L"ucke, die ich, als ich sie zuerst entdeckte, mit dem gl"uckseligen Heulen des Unverstandes begr"usste, aber diese L"ucke reichte bei weitem nicht einmal zum Durchstecken des Schwanzes aus und war mit aller Affenkraft nicht zu verbreitern.
Ich soll, wie man mir sp"ater sagte, ungew"ohnlich wenig L"arm gemacht haben, woraus man schloss, dass ich entweder bald eingehen m"usse oder dass ich, falls es mir gelingt, die erste kritische Zeit zu "uberleben, sehr dressurf"ahig sein werde. Ich "uberlebte diese Zeit. Dumpfes Schluchzen, schmerzhaftes Fl"ohesuchen, m"udes Lecken einer Kokosnuss, Beklopfen der Kistenwand mit dem Sch"adel, Zungen-Blecken, wenn mir jemand nahekam, – das waren die ersten Besch"aftigungen in dem neuen Leben. In alledem aber doch nur das eine Gef"uhl: kein Ausweg. Ich kann nat"urlich das damals affenm"assig Gef"uhlte heute nur mit Menschenworten nachzeichnen und verzeichne es infolgedessen, aber wenn ich auch die alte Affenwahrheit nicht mehr erreichen kann, wenigstens in der Richtung meiner Schilderung liegt sie, daran ist kein Zweifel.
Ich hatte doch so viele Auswege bisher gehabt und nun keinen mehr. Ich war festgerannt. H"atte man mich angenagelt, meine Freiz"ugigkeit w"are dadurch nicht kleiner geworden. Warum das? Kratz dir das Fleisch zwischen den Fusszehen auf, du wirst den Grund nicht finden. Dr"uck dich hinten gegen die Gitterstange, bis sie dich fast zweiteilt, du wirst den Grund nicht finden. Ich hatte keinen Ausweg, musste mir ihn aber verschaffen, denn ohne ihn konnte ich nicht leben. Immer an dieser Kistenwand – ich w"are unweigerlich verreckt. Aber Affen geh"oren bei Hagenbeck an die Kistenwand – nun, so h"orte ich auf, Affe zu sein. Ein klarer, sch"oner Gedankengang, den ich irgendwie mit dem Bauch ausgeheckt haben muss, denn Affen denken mit dem Bauch.
Ich habe Angst, dass man nicht genau versteht, was ich unter Ausweg verstehe. Ich gebrauche das Wort in seinem gew"ohnlichsten und vollsten Sinn. Ich sage absichtlich nicht Freiheit. Ich meine nicht dieses grosse Gef"uhl der Freiheit nach allen Seiten. Als Affe kannte ich es vielleicht und ich habe Menschen kennen gelernt, die sich danach sehnen. Was mich aber anlangt, verlangte ich Freiheit weder damals noch heute. Nebenbei: mit Freiheit betr"ugt man sich unter Menschen allzuoft. Und so wie die Freiheit zu den erhabensten Gef"uhlen z"ahlt, so auch die entsprechende T"auschung zu den erhabensten. Oft habe ich in den Variet'es vor meinem Auftreten irgendein K"unstlerpaar oben an der Decke an Trapezen hantieren sehen. Sie schwangen sich, sie schaukelten, sie sprangen, sie schwebten einander in die Arme, einer trug den anderen an den Haaren mit dem Gebiss.
Nein, Freiheit wollte ich nicht. Nur einen Ausweg; rechts, links, wohin immer; ich stellte keine anderen Forderungen; sollte der Ausweg auch nur eine T"auschung sein; die Forderung war klein, die T"auschung w"urde nicht gr"osser sein. Weiterkommen, weiterkommen! Nur nicht mit aufgehobenen Armen stillestehn, angedr"uckt an eine Kistenwand.
Heute sehe ich klar: ohne gr"osste innere Ruhe h"atte ich nie entkommen k"onnen. Und tats"achlich verdanke ich vielleicht alles, was ich geworden bin, der Ruhe, die mich nach den ersten Tagen dort im Schiff "uberkam. Die Ruhe wiederum aber verdankte ich wohl den Leuten vom Schiff.