1919 Сельский врач (сборник)
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Niemals komme ich so nach Hause; meine bl"uhende Praxis ist verloren; ein Nachfolger bestiehlt mich, aber ohne Nutzen, denn er kann mich nicht ersetzen; in meinem Hause w"utet der ekle Pferdeknecht; Rosa ist sein Opfer; ich will es nicht ausdenken. Nackt, dem Froste dieses ungl"uckseligsten Zeitalters ausgesetzt, mit irdischem Wagen, unirdischen Pferden, treibe ich mich alter Mann umher. Mein Pelz h"angt hinten am Wagen, ich kann ihn aber nicht erreichen, und keiner aus dem beweglichen Gesindel der Patienten r"uhrt den Finger. Betrogen! Betrogen! Einmal dem Fehll"auten der Nachtglocke gefolgt – es ist niemals gutzumachen.
3. AUF DER GALERIE
Wenn irgendeine hinf"allige, lungens"uchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unerm"udlichen Publikum vom peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundum getrieben w"urde, auf dem Pferde schwirrend, K"usse werfend, in der Taille sich wiegend, und wenn dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich "offnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der H"ande, die eigentlich Dampfh"ammer sind – vielleicht eilte dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle R"ange hinab, st"urzte in die Manege, riefe das: Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters.
Da es aber nicht so ist; eine sch"one Dame, weiss und rot, hereinfliegt, zwischen den Vorh"angen, welche die stolzen Livrierten vor ihr "offnen; der Direktor, hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegenatmet; vorsorglich sie auf den Apfelschimmel hebt, als w"are sie seine "uber alles geliebte Enkelin, die sich auf gef"ahrliche Fahrt begibt; sich nicht entschliessen kann, das Peitschenzeichen zu geben; schliesslich in Selbst"uberwindung es knallend gibt; neben dem Pferde mit offenem Munde einherl"auft; die Spr"unge der Reiterin scharfen Blickes verfolgt; ihre Kunstfertigkeit kaum begreifen kann; mit englischen Ausrufen zu warnen versucht; die reifenhaltenden Reitknechte w"utend zu peinlichster Achtsamkeit ermahnt; vor dem grossen Saltomortale das Orchester mit aufgehobenen H"anden beschw"ort, es m"oge schweigen; schliesslich die Kleine vom zitternden Pferde hebt, auf beide Backen k"usst und keine Huldigung des Publikums f"ur gen"ugend erachtet; w"ahrend sie selbst, von ihm gest"utzt, hoch auf den Fussspitzen, vom Staub umweht, mit ausgebreiteten Armen, zur"uckgelehntem K"opfchen ihr Gl"uck mit dem ganzen Zirkus teilen will – da dies so ist, legt der Galeriebesucher das Gesicht auf die Br"ustung und, im Schlussmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen.
4. EIN ALTES BLATT
Es ist, als w"are viel vernachl"assigt worden in der Verteidigung unseres Vaterlandes. Wir haben uns bisher nicht darum gek"ummert und sind unserer Arbeit nachgegangen; die Ereignisse der letzten Zeit machen uns aber Sorgen.
Ich habe eine Schusterwerkstatt auf dem Platz vor dem kaiserlichen Palast. Kaum "offne ich in der Morgend"ammerung meinen Laden, sehe ich schon die Eing"ange aller hier einlaufenden Gassen von Bewaffneten besetzt. Es sind aber nicht unsere Soldaten, sondern offenbar Nomaden aus dem Norden. Auf eine mir unbegreifliche Weise sind sie bis in die Hauptstadt gedrungen, die doch sehr weit von der Grenze entfernt ist. Jedenfalls sind sie also da; es scheint, dass jeden Morgen mehr werden.
Ihrer Natur entsprechend lagern sie unter freiem Himmel, denn Wohnh"auser verabscheuen sie. Sie besch"aftigen sich mit dem Sch"arfen der Schwerter, dem Zuspitzen der Pfeile, mit "Ubungen zu Pferde. Aus diesem stillen, immer "angstlich rein gehaltenen Platz haben sie einen wahren Stall gemacht. Wir versuchen zwar manchmal aus unseren Gesch"aften hervorzulaufen und wenigstens den "argsten Unrat wegzuschaffen, aber es geschieht immer seltener, denn die Anstrengung ist nutzlos und bringt uns "uberdies in die Gefahr, unter die wilden Pferde zu kommen oder von den Peitschen verletzt zu werden.
Sprechen kann man mit den Nomaden nicht. Unsere Sprache kennen sie nicht, ja sie haben kaum eine eigene. Unter einander verst"andigen sie sich "ahnlich wie Dohlen. Immer wieder h"ort man diesen Schrei der Dohlen. Unsere Lebensweise, unsere Einrichtungen sind ihnen ebenso unbegreiflich wie gleichg"ultig. Infolgedessen zeigen sie sich auch gegen jede Zeichensprache ablehnend. Du magst dir die Kiefer verrenken und die H"ande aus den Gelenken winden, sie haben dich doch nicht verstanden und werden dich nie verstehen. Oft machen sie Grimassen; dann dreht sich das Weiss ihrer Augen und Schaum schwillt aus ihrem Munde, doch wollen sie damit weder etwas sagen noch auch erschrecken; sie tun es, weil es so ihre Art ist. Was sie brauchen, nehmen sie. Man kann nicht sagen, dass sie Gewalt anwenden. Vor ihrem Zugriff tritt man beiseite und "uberl"asst ihnen alles.
Auch von meinen Vorr"aten haben sie manches gute St"uck genommen. Ich kann aber dar"uber nicht klagen, wenn ich zum Beispiel zusehe, wie es dem Fleischer gegen"uber geht. Kaum bringt er seine Waren ein, ist ihm schon alles entrissen und wird von den Nomaden verschlungen. Auch ihre Pferde fressen Fleisch; oft liegt ein Reiter neben seinem Pferd und beide n"ahren sich vom gleichen Fleischst"uck, jeder an einem Ende. Der Fleischhauer ist "angstlich und wagt es nicht, mit den Fleischlieferungen aufzuh"oren. Wir verstehen das aber, schiessen Geld zusammen und unterst"utzen ihn. Bek"amen die Nomaden kein Fleisch, wer weiss, was ihnen zu tun einfiele; wer weiss allerdings, was ihnen einfallen wird, selbst wenn sie t"aglich Fleisch bekommen.
Letzthin dachte der Fleischer, er k"onne sich wenigstens die M"uhe des Schlachtens sparen, und brachte am Morgen einen lebendigen Ochsen. Das darf er nicht mehr wiederholen. Ich lag wohl eine Stunde ganz hinten in meiner Werkstatt platt auf dem Boden und alle meine Kleider, Decken und Polster hatte ich "uber mir aufgeh"auft, nur um das Gebr"ull des Ochsen nicht zu h"oren, den von allen Seiten die Nomaden ansprangen, um mit den Z"ahnen St"ucke aus seinem warmen Fleisch zu reissen. Schon lange war es still, ehe ich mich auszugehen getraute; wie Trinker um ein Weinfass lagen sie m"ude um die Reste des Ochsen.
Gerade damals glaubte ich den Kaiser selbst in einem Fenster des Palastes gesehen zu haben; niemals sonst kommt er in diese "ausseren Gem"acher, immer nur lebt er in dem innersten Garten; diesmal aber stand er, so schien es mir wenigstens, an einem der Fenster und blickte mit gesenktem Kopf auf das Treiben vor seinem Schloss.
»Wie wird es werden?« fragen wir uns alle.
5. VOR DEM GESETZ
Vor dem Gesetz steht ein T"urh"uter. Zu diesem T"urh"uter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der T"urh"uter sagt, dass er ihm jetzt den Eintritt nicht gew"ahren k"onne. Der Mann "uberlegt und fragt dann, ob er also sp"ater werde eintreten d"urfen. »Es ist m"oglich,« sagt der T"urh"uter, »jetzt aber nicht.« Da das Tor zum Gesetz offensteht wie immer und der T"urh"uter beiseite tritt, b"uckt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehn. Als der T"urh"uter das merkt, lacht er und sagt: »Wenn es dich so lockt, versuche es doch, trotz meines Verbotes hineinzugehn. Merke aber: Ich bin m"achtig. Und ich bin nur der unterste T"urh"uter. Von Saal zu Saal stehn aber T"urh"uter, einer m"achtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen.« Solche Schwierigkeiten hat der Mann vom Lande nicht erwartet; das Gesetz soll doch jedem und immer zug"anglich sein, denkt er, aber als er jetzt den T"urh"uter in seinem Pelzmantel genauer ansieht, seine grosse Spitznase, den langen, d"unnen, schwarzen tatarischen Bart, entschliesst er sich, doch lieber zu warten, bis er die Erlaubnis zum Eintritt bekommt. Der T"urh"uter gibt ihm einen Schemel und l"asst ihn seitw"arts von der T"ur sich niedersetzen. Dort sitzt er Tage und Jahre. Er macht viele Versuche, eingelassen zu werden, und erm"udet den T"urh"uter durch seine Bitten. Der T"urh"uter stellt "ofters kleine Verh"ore mit ihm an, fragt ihn "uber seine Heimat aus und nach vielem andern, es sind aber teilnahmslose Fragen, wie sie grosse Herren stellen, und zum Schlusse sagt er ihm immer wieder, dass er ihn noch nicht einlassen k"onne. Der Mann, der sich f"ur seine Reise mit vielem ausger"ustet hat, verwendet alles, und sei es noch so wertvoll, um den T"urh"uter zu bestechen. Dieser nimmt zwar alles an, aber sagt dabei: »Ich nehme es nur an, damit du nicht glaubst, etwas vers"aumt zu haben.« W"ahrend der vielen Jahre beobachtet der Mann den T"urh"uter fast ununterbrochen. Er vergisst die andern T"urh"uter und dieser erste scheint ihm das einzige Hindernis f"ur den Eintritt in das Gesetz. Er verflucht den ungl"ucklichen Zufall, in den ersten Jahren r"ucksichtslos und laut, sp"ater, als er alt wird, brummt er nur noch vor sich hin. Er wird kindisch, und, da er in dem jahrelangen Studium des T"urh"uters auch die Fl"ohe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die Fl"ohe, ihm zu helfen und den T"urh"uter umzustimmen. Schliesslich wird sein Augenlicht schwach, und er weiss nicht, ob es um ihn wirklich dunkler wird, oder ob ihn nur seine Augen t"auschen. Wohl aber erkennt er jetzt im Dunkel einen Glanz, der unverl"oschlich aus der T"ure des Gesetzes bricht. Nun lebt er nicht mehr lange. Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen der ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den T"urh"uter noch nicht gestellt hat. Er winkt ihm zu, da er seinen erstarrenden K"orper nicht mehr aufrichten kann. Der T"urh"uter muss sich tief zu ihm hinunterneigen, denn der Gr"ossenunterschied hat sich sehr zu ungunsten des Mannes ver"andert. »Was willst du denn jetzt noch wissen?« fragt der T"urh"uter, »du bist uners"attlich.« »Alle streben doch nach dem Gesetz,« sagt der Mann, »wieso kommt es, dass in den vielen Jahren niemand ausser mir Einlass verlangt hat?« Der T"urh"uter erkennt, dass der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Geh"or noch zu erreichen, br"ullt er ihn an: »Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur f"ur dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schliesse ihn.«