Bitterschokolade (Горький шоколад)
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Mechanisch bedeckte Eva den Pfannkuchen mit Apfelmus. Da war auch schon der Zweite. »Aber jetzt langt es, Mama«, bat Eva.
Die Mutter hatte die Pfanne vom Herd genommen und zog sich eine frische Bluse an. »Ich habe im Kaufhof einen schцnen karierten Stoff gefunden, ganz billig, sechs Mark achtzig der Meter. Renate hat mir versprochen, dass sie mir ein Sommerkleid macht.«
»Du kannst doch selbst schon so gut nдhen«, sagte Eva. »Wozu musst du immer noch zur Schmidhuber?«
»Sag nicht immer >die Schmidhuber<. Sag >Tante Renaten«
»Sie ist nicht meine Tante.«
»Aber sie ist meine Freundin. Und sie mag dich. Sie hat schon viele schцne Sachen fьr dich gemacht.«
Das stimmte. Sie nдhte immer wieder Kleider und Rцcke fьr Eva, und sie konnte ja nichts dafьr, dass Eva in diesen Kleidern unmцglich aussah. Eva sah in allen Kleidern unmцglich aus.
»Was machst du heute Nachmittag?«, fragte die Mutter.
»Ich weiЯ noch nicht. Hausaufgaben.«
»Du kannst doch nicht immer nur lernen, Kind. Du musst doch auch mal deinen SpaЯ haben. In deinem Alter war ich schon lдngst mit Jungen verabredet.«
»Mama, bitte, verschon mich.«
»Ich meine es doch nur gut mit dir. Fьnfzehn Jahre alt und sitzt zu Hause rum wie ein TrauerkloЯ.«
Eva stцhnte laut.
»Gut, gut. Ich weiЯ ja, dass du dir von mir nichts sagen lдsst. Mцchtest du vielleicht einmal ins Kino gehen? Soll ich dir Geld geben?« Die Mutter
Portemonnaie und legte zwei Fьnfmarkstьcke auf den Tisch. »Das brauchst du mir nicht zurьckzugeben.«
»Danke, Mama.«
»Ich gehe jetzt. Vor sechs komme ich nicht zurьck.«
Eva nickte, aber die Mutter sah es schon nicht mehr, die Wohnungstьr war hinter ihr zugefallen.
Eva atmete auf. Die Mutter und ihre Schmidhuber! Eva konnte die Schmidhuber nicht ausstehen. >Tante Renate<! Eva vermied die direkte Anrede. Sie wunderte sich immer wieder, wie leicht Berthold das >Tante Re-nate< sagte und sich ьber den Kopf streicheln lieЯ. »Sie mag Kinder so gern. Es ist ihr grцЯter Kummer, dass sie selbst keine bekommen kann«, hatte die Mutter gesagt. Von dem Kummer merkt man aber nicht viel, hatte Eva gedacht.
»Na, Eva, was macht die Schule? Hast du schon einen Freund?« Hihi-Gekicher in dem runden Gesicht, volle, rot gemalte Lippen ьber weiЯen Zдhnen und runde Arme, die sich um Eva legen wollten. Und ein tiefer Ausschnitt, der den Schatten zwischen den hochgeschnьrten Brьsten sehen lieЯ. »Man kann ruhig zeigen, was man hat, nicht wahr, Marianne?« Und Evas Mutter hatte beifдllig genickt. Sie nickte immer beifдllig, wenn die Schmidhuber etwas sagte. Eva fand, dass die Hдlfte der Menschheit mit einem Busen herumlief und dass es keinen Grund gab, sich darauf was einzubilden und ihn besonders zur Schau zu stellen.
Eva ging in ihr Zimmer. Sie legte eine Kassette von Leonard Cohen ein und drehte den Lautsprecher auf volle Stдrke. Das konnte sie nur machen, wenn ihre Mutter nicht da war. Sie legte sich auf ihr Bett. Die tiefe, heisere Stimme erfьllte mit ihren trдgen Liedern das Zimmer und vibrierte auf Evas Haut.
Sie цffnete die Nachttischschublade. Es stimmte, da war wirklich noch eine Tafel Schokolade. Sie lieЯ sich wieder auf das Bett fallen und wickelte mit behutsamen Bewegungen die Schokolade aus dem Silberpapier. Es war ein Glьck, dass ihr Zimmer nach Osten lag. Die Schokolade war weich, aber nicht geschmolzen. Sie brach einen Riegel ab, teilte ihn noch einmal und schob sich die beiden Stьckchen m den Mund. Zartbitter! Zart-zдrtlich, bitter-bitterlich. Zдrtlich streicheln, bitterlich weinen. Eva steckte schnell noch ein Stьck in den Mund und streckte sich aus. Die Arme unter dem Nacken verschrдnkt, das rechte Knie angezogen und den linken Unterschenkel quer darьber gelegt, lag sie da und betrachtete ihren nackten linken FuЯ. Wie zierlich er doch war im Vergleich zu ihren unfцrmigen Waden und Oberschenkeln. Sie lieЯ den FuЯ leicht auf- und abwippen und bewunderte die Form der Zehennдgel. Halbmondfцrmig, dachte sie.
Ihre Mutter hatte dicke Ballen an den FьЯen, breite PlattfьЯe hatte sie, richtig hдssliche FьЯe, mit nach der Mitte eingebogenen Zehen. Eva ekelte sich vor den FьЯen ihrer Mutter, vor allem im Sommer, wenn die Mutter Riemensandalen trug und die rцtlich verfдrbten
Beulen seitlich zwischen den schmalen Lederriemchen herausquollen.
Eva griff wieder nach der Schokolade. Leonard Cohen sang:
Der Geschmack der Schokolade wurde bitter in ihrem Mund. Nicht zartbitter, sondern unangenehm bitter. Herb. Brennend. Schnell schluckte sie sie hinuner. Ich dьrfte keine Schokolade essen. Ich bin sowieso viel zu fett. Sie nahm sich vor, zum Abendessen nichts zu essen, auЯer vielleicht einem kleinen Joghurt. Aber der bittere Geschmack in ihrem Mund blieb. »She was ta-king her body so brave and so free!« Sie, die Frau, von der Leonard Cohen sang, hatte sicher einen schцnen Kцrper, so wie Babsi, einen mit kleinen Brьsten und schmalen Schenkeln. Aber wieso nannte er sie dann tapfer? Als ob es tapfer wдre, sich zu zeigen, wenn man schцn war!
»Du bist wirklich zu dick«, hatte die Mutter neulich wieder gesagt. »Wenn du so weitermachst, passt du bald nicht mehr in normale GrцЯen.«
Der Vater hatte gegrinst. »Lass nur«, hatte er gesagt, »es gibt Mдnner, die haben ganz gern was in der Hand.« Dazu hatte er eine anzьgliche Handbewegung gemacht.
Eva war rot geworden und aufgestanden.
»Aber Fritz«, hatte die Mutter gesagt, »mach doch nicht immer solche Bemerkungen vor dem Kind.«
Das »Kind« hatte wьtend die Tьr hinter sich zugeknallt.
Die Mutter war ihr in das Zimmer nachgekommen. »Sei doch nicht immer so empfindlich, Eva. Der Vater meint das doch nicht so.«
Aber Eva hatte ihr nicht geantwortet. Sie hatte wortlos und demonstrativ ihre Schulsachen auf dem Schreibtisch ausgebreitet. Die Mutter hatte noch eine Weile unschlьssig an der Tьr herumgestanden und war dann gegangen.
Mдnner haben ganz gern was in der Hand, dachte Eva bцse. Als ob ich dazu da wдre, damit irgendein Mann was in der Hand hat.
Sie machte den Kassettenrecorder aus. Leonard Co-hens Stimme verstummte.