Heute oder nie!
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DOKTOR: (Entfaltet den Zettel und liest.) Also… Telefonnummer. Scheint ein Handy zu sein. Und hier ist auch der Name: „Marina“. (Verbl"ufft.) Aber das ist doch nicht Ihr Name!
BESUCHER: Sind Sie sicher?
DOKTOR: Sie etwa nicht? Sie sind doch ein Mann!
BESUCHER: Woher wissen Sie das? Habe ich Ihnen das gesagt?
DOKTOR: Wissen Sie denn das selbst nicht?
BESUCHER: Dass ich ein Mann bin? Wenn Sie das best"atigen, dann glaube ich Ihnen. (Gr"ubelnd.) Falls Marina, dann ist das nicht mein Name, aber wessen dann?
DOKTOR: (Beginnt nerv"os zu werden.) Eigentlich wollte ich Sie das fragen.
BESUCHER: Wahrscheinlich ist das der Name meiner Frau.
DOKTOR: Was heisst „wahrscheinlich“? Erinnern Sie sich nicht an den Namen Ihrer Frau?
BESUCHER: Sie beleidigen mich. Nat"urlich erinnere ich mich.
DOKTOR: Also, ist sie das, oder nicht?
BESUCHER: Nat"urlich, sie. Meine z"artliche, liebende und geliebte Frau. Eine treue Freundin seit den ersten Jugendtagen. Sie glauben es nicht, aber ich bin mir ihr seit der ersten Klasse bekannt. Wir haben doch in ein und derselben Schule gelernt. Ach, Doktor, erinnern denn Sie sich an Ihre Flitterwochen?
DOKTOR: (Ungl"aubig.) Und Sie erinnern sich?
BESUCHER: Und wie! Ach, was war das f"ur eine Zeit! Jede Vertiefung auf ihrem K"orper war noch von einem Geheimnis umgeben. Jede Ber"uhrung war aufregend, und jede Nacht erschien wie ein Wunder. Ein nicht enden wollendes Wunder. Erinnern Sie sich denn an all das, Doktor?
DOKTOR: (Seufzend, mit Gef"uhl.) Wer von uns erinnert sich nicht daran?
BESUCHER: Glauben Sie mir, aber unsere Flitterwochen dauern auch jetzt noch an.
DOKTOR: Sie kann man nur beneiden.
BESUCHER: Jeden Abend, wenn ich mich ins Bett lege, setze ich die Brille auf und lese Zeitung, und meine Frau dreht sich die Haare ein und macht sich in der Zeit eine Gesichtsmassage.
DOKTOR: Das heisst, Sie erinnern sich trotzdem an irgendetwas?
BESUCHER: Nat"urlich. Sonst w"are ich ein Vollidiot. Leider kommen manchmal Aussetzer vor. Irgendwelche Teile entfallen. Dann tauchen sie auf. Dann entfallen sie wieder. Tauchen wieder auf. Entfallen wieder. Tauchen wieder auf. Entfallen…
DOKTOR: (Unterbricht ihn.) Ich hab' verstanden. Tauchen wieder auf.
BESUCHER: Ja. Tauchen wieder auf. Aber insgesamt habe ich ein hervorragendes Ged"achtnis.
DOKTOR: Tats"achlich?
BESUCHER: Nat"urlich. Ich liebe Literatur, Philosophie, Kunst. Haben Sie Hegel gelesen?
DOKTOR: Irgendetwas habe ich gelesen.
BESUCHER: Erinnern Sie sich, wie sch"on er von Architektur und Skulptur gesprochen hat?
DOKTOR: Hm… Und Sie erinnern sich?
BESUCHER: Nat"urlich. (Mit Gef"uhl.) „Die Konkretisierung der abstrakten Ideen auf dem Gebiet der Plastik erzeugt jenen Satz des sich selbst suchenden Geists, in dem er, von sich selbst abstossend, sich auf dem Gebiet der bildenden Erkenntnis der darin enthaltenen Sch"onheit potenziert“.
DOKTOR: Und das hat Hegel gesagt?
BESUCHER: Ja, und?
DOKTOR: Nicht, nichts. Wenn schon, dann erinnern Sie sich vielleicht doch, wie Sie heissen?
BESUCHER: Ich?
DOKTOR: (Verliert die Geduld.) Sie. Doch nicht ich? K"onnen Sie denn nicht irgendwie machen, dass Ihr Name auftaucht?
BESUCHER: Nat"urlich. Ich heisse… Ich erinnere mich nicht.
DOKTOR: Vielleicht rufen wir Ihre Frau an und erfahren Ihren Namen mit ihrer Hilfe?
BESUCHER: Gute Idee.
DOKTOR: Wer ruft an, ich, oder Sie?
BESUCHER: Besser Sie. Sonst sagt sie meinen Namen und ich vergesse ihn wieder.
DOKTOR: (Sieht auf den Zettel und w"ahlt die Nummer.) Guten Tag. Kann ich mit Marina sprechen? Das sind Sie? Sehr angenehm. Entschuldigen Sie die Vertraulichkeit, aber ich weiss einfach nicht, wie ich Sie anders anreden soll. Ich rufe aus der Klinik an. Halten Sie mich nicht f"ur taktlos, aber m"ochte erfahren, wie Ihr Mann heisst. Ja, ich verstehe, dass diese Frage etwas seltsam klingt… Ihr Mann interessiert mich ausschliesslich aus medizinischer Sicht. Nein, ich spasse nicht und spiele Ihnen nichts vor… Ich bin wirklich Doktor, und meine Nummer steht in jedem Telefonbuch… (Trocken, mit Nachdruck.) Ihr Mann hat Probleme, und Sie wissen selbst, was das f"ur Probleme sind… ("Argerlich.) Entschuldigen Sie, aber Frechheit ist, wenn man einen unbekannten Menschen grundlos als frech bezeichnet. Ihr Mann…
Das Gespr"ach wird unterbrochen. Der Doktor legt ver"argert den H"orer auf.
BESUCHER: Nun, was hat sie gesagt?
DOKTOR: Sie hat gesagt, dass sie "uberhaupt keinen Mann hat.
BESUCHER: Meine Frau hat keinen Mann? Das ist seltsam.
DOKTOR: Wirklich seltsam.
BESUCHER: Und wer ist sie denn dann?
DOKTOR: Das wollte ich von Ihnen erfahren.
BESUCHER: Und warum haben Sie sie nicht gefragt?
DOKTOR: Weil sie den H"orer aufgelegt hat. Entschuldigen Sie, aber Ihre Ehefrau ist ein ziemlich nerv"oses Gesch"opf.
BESUCHER: Wahrscheinlich, gerade weil sie keinen Mann hat.
DOKTOR: Aber sie ist doch Ihre Frau!
BESUCHER: (Best"urzt.) Richtig. Sagen Sie, weshalb brauchen wir denn "uberhaupt meinen Namen? Das hilft der Behandlung, nicht wahr?
DOKTOR: Um die Krankengeschichte zu beginnen. Um Sie zu beobachten. Um Sie zur Untersuchung zu schicken. Um Ihnen die Rechnung zu schicken, verdammt nochmal!
BESUCHER: Rechnung? Ich f"urchte, dann erinnere ich mich nie an meinen Namen.
DOKTOR: Mit Ihnen kann man den Verstand verlieren.
BESUCHER: Nehmen Sie das nicht zu sehr zu Herzen. Rauchen Sie eine, entspannen Sie sich. Ich habe gute Zigaretten. M"ochten Sie? (Greift in die Tasche.) Hier, nehmen Sie das ganze P"ackchen.
DOKTOR: (Nimmt das P"ackchen.) Das sind keine Zigaretten, das sind Spielkarten.
BESUCHER: Karten? Umso besser. Lassen Sie uns spielen, das lenkt Sie ab.
DOKTOR: Ich hab keine Zeit f"ur solche Dummheiten. Ausserdem, kann ich gar nicht spielen.