Ритмы истории
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Alle drei Aspekte, die explizite Bedeutung, der implizite Bedeutungsgehalt und die Werthaltung haben wir auf einen Schlag vor unserem Denken, wenn wir Schemata, die auf dem oder den Begriffen beruhen, bei einer Handlung folgen. Dabei erlauben die Begriffe geringe Bedeutungsverschiebungen, deren Grenzen durch den impliziten Bedeutungsgehalt (Kontext, Konnotation) gegeben werden. Wir k"onnen und werden wegen dieser Zusammenh"ange Handlungen aufgrund von "Ahnlichkeiten zu fr"uheren Handlungen ausf"uhren, weil unsere Erkl"arungskonzepte auf diese zuvor unbekannten "Ahnlichkeiten hin orientiert sind. Die Grenzen der "Ahnlichkeitsbestimmung werden durch den impliziten Bedeutungsgehalt der Begriffe gegeben.
Mit einem Wandel des Erfahrungsraumes muss daher ein Wandel der Handlungen und der Begriffe einher gehen. Dies ist der Verstehensprozess in der traditionellen Gesellschaft. Dieser «normale“ Wandel von Erfahrungsraum, Handlungsraum und Begriffsgef"uge unter dem allt"aglichen Verstehen wird in der traditionellen Gesellschaft "uber viele Jahrhunderte ablaufen, um Neues handhabbar zu machen.
Erst wenn die Erfahrungen, die man macht, "uberhaupt nicht mehr im bestehenden Begriffsgef"uge erkl"arbar sind, und damit Handlungen eher einem Wunder "ahneln, als einem absehbaren Vollzug absehbarer Folgen, dann bedarf es der "Anderung grundlegender Begriffe und grundlegender Erkl"arungskonzepte. Dies hat dann m"oglicherweise zur Folge, dass alle oder fast alle Begriffe ge"andert werden m"ussen. Das hat dann auch zur Folge, dass der Erfahrungsraum einer Gesellschaft sich verschiebt. Manches, was bislang erkl"arbar war, ist dann mit dem neuen Begriffsgef"uge nicht mehr erkl"arbar, was allerdings nicht bedauert wird, weil man diese (alten) Erfahrungen auch nicht mehr erkl"aren will. Der Erfahrungsraum und der Handlungsraum sind eben v"ollig ver"andert. Dieser akzelerierende Wandel von Begriffen und Werten f"uhrt zu einer Vielzahl von Erkl"arungsversuchen, die aber der Konsistenz–und Koh"arenzforderung von Handlung und Erfahrungsraum auf die Dauer nicht alle stand halten k"onnen. Die Phase, in der dieser akzelerierende Wandel vollzogen wird, ist die Phase einer posttraditionellen Gesellschaft. Sie beginnt mit einer Zunahme der Geschwindigkeit des im "ubrigen unproblematischen Wandels von Erfahrungsraum, Handlungsraum und deren Erkl"arungskonzepte den Begriffsgef"ugen. Die posttraditionelle Phase endet mit einem neuen koh"arenten und konsistenten Gef"uge von Erfahrungsraum, Handlungsraum und Begriffsgef"ugen. Sie f"uhrt dann zu einer neuen traditionellen Gesellschaft, die den vorherigen traditionellen Gesellschaften nicht mehr "ahnelt.
Unser zentrales Instrument zur Beschreibung des Strukturwandels in der philosophisch erfassten posttraditionellen Gesellschaft ist f"ur den Philosophen der Begriff, der f"ur einen Augenblick das Gef"uge aus Erfahrung, Handeln und Erkl"aren festh"alt. Auf ihm beruht unser Wissen und aus ihm folgt unser Handeln, wie er seinerseits auf unserem Vorwissen und unserem fr"uheren Handeln beruht. Mit unserem Handeln verbinden wir Wertungen, die wir entweder unmittelbar mit diesem Handeln verbinden, oder die wir in der Reflexion mit einem m"oglichen und projektierten Handeln verbinden wollen. Unter Umst"anden ist uns unmittelbar einleuchtend, eine Handlung zu begehen oder zu unterlassen. Unter Umst"anden wird uns dies aber auch erst nach einer l"angeren und ausf"uhrlicheren Reflexion oder auch Kommunikation einleuchtend und erstrebenswert. Sowohl bei unmittelbarer als auch bei mittelbarer Adaptation von Bewertungen mit Handlungen oder Handlungsfolgen verbinden wir die Werte mit Schemata, die unser Handeln steuern. Mit den einzelnen Begriffen, auf denen Schemata beruhen, verbinden wir ja Werthaltungen. Selbst wenn wir auf Grund einer Gesinnungsethik unsere moralischen Massst"abe entwickeln, kann das doch nur geschehen, weil diese Wertmassst"abe im Kontext mit unserem Weltverst"andnis fest mit Schemata verbunden. Sie sind Teil unserer Begriffe, die unseren Erfahrungsraum erkl"aren und unser Handeln steuern. Mit dem Begriff verbinden wir einen expliziten Bedeutungsgehalt, der uns eine Zuordnung an einen materialen Referenten markiert, einen impliziten Bedeutungsgehalt, der uns sagt, welche Kontexte mit dem expliziten Bedeutungsgehalt gemeint sind oder gemeint sein k"onnen. Der Kontext referenziert auf eine Abstraktionsgeschichte des Begriffs, insofern bei Begriffen zun"achst unmittelbare Handlungszusammenh"ange gemeint sind, und dann in einer Anwendungsgeschichte "Ubertragungen dieser Zusammenh"ange vorgenommen werden, wobei der Begriff von dem urspr"unglichen Kontext abstrahieren mag. Damit verbunden liegt im Begriff, eine Werthaltung vor. Diese Werthaltung kann an den urspr"unglichen Erkl"arungskontext gebunden sein, oder auch an eine sp"atere Verwendungsgeschichte des Begriffs. Die Werthaltung mag an den expliziten oder den impliziten Bedeutungsgehalt gebunden sein; sie mag bei einem bestimmten Begriff ver"anderbar oder unver"anderbar sein. In jedem Fall sind alle Begriffe emotiv "uber diese Werthaltung gebunden. Je st"arker die Werthaltung an einen expliziten Bedeutungsgehalt gebunden ist, um so weniger ist der Begriff ver"anderbar und umso folgenschwerer f"ur das gesamte Weltbild einer Gesellschaft sind "Anderungen an diesem Begriff, dessen expliziter Bedeutungsgehalt unmittelbar mit einer Werthaltung verbunden ist.
In der philosophisch als traditionell aufgefassten Gesellschaft sind die Wertungen in hohem Masse feststehend und auch an bestimmte Bedeutungsgehalte gebunden. Verschiebungen der Wertungen finden selten statt. Ethische Normen, nach denen sich unsere moralischen Massst"abe, d.h. unsere Regeln f"ur unser Handeln orientieren, sind fest mit den Schemata verbunden. Die posttraditionelle Gesellschaft wird dadurch charakterisiert, dass der Wandel von Bedeutungsgehalten und Werthaltungen von Begriffen nicht in grossen Zeitskalen geschieht, wie in der traditionellen Gesellschaft, sondern akzelerierend erfolgt – und zwar so schnell, dass eine langfristige G"ultigkeit von Werten und Bedeutungsgehalten von Begriffen nicht mehr erlebt wird.
Normen kollabieren unter diesen Bedingungen schliesslich rasch; niemand vermag sie mehr als dauerhaft geltend und bindend zu erleben. Da aber ohne Werthaltung niemand verstehen und niemand handeln kann, werden individuelle Substitute f"ur die begrifflichen Werthaltungen gesetzt, f"ur die ein gesellschaftlicher Konsens aber nicht erreicht werden kann. Dies hat meist auch soziale Verwerfungen in der Gesellschaft zur Folge.
Da in der posttraditionellen Gesellschaft die Dynamik und der Wandel selbst zu einem Wert wird, wird es sogar dazu kommen, dass der Wertewandel als ein Wert angesehen wird: Der Tabubruch wird zum Wert der posttraditionellen Gesellschaft. Die Kultur, die zuvor Tr"ager einer konsenten Erkl"arung und Bewertung in der traditionellen Gesellschaft war, wird nun in der posttraditionellen Gesellschaft davon gepr"agt, dass sie im Tabubruch die Geltung noch bestehender und u. U. nicht mehr koh"arenter Werte bewusst macht und einer expliziten Reflexion unterzieht — wie Filmindustrie und Literatur heute augenf"allig machen. Die technischen und naturwissenschaftlichen Neuerungen, die auch mit dem Begriffswandel in der posttraditionellen Gesellschaft einhergehen, haben zus"atzlich zur Folge, dass Wertsetzungen und Werthaltungen mit den (neuen) Begrifflichkeiten des ver"anderten Erfahrungsraums kollidieren. Die Anwendung von ansonsten akzeptierten ethischen Normen wird dann zu einem Problem, wie wir z. B. in der Medizin und der Gen–und Biotechnologie heute erleben.
Die Ethik ist die wissenschaftliche Disziplin, die die methodischen Instrumentarien zur Verf"ugung stellen, um einer Gesellschaft rationale moralische Kriterien an die Hand zu geben. Die Ethik entwickelt als wissenschaftliche Disziplin Normen des Verhaltens und begr"undet diese Normen und spezifiziert deren Beziehungen untereinander. Ethik "uberpr"uft und schafft Konsistenz unter den Normen. Die geschriebenen und ungeschriebenen Kodizes (Recht und Moral) m"ussen widerspruchsfrei anwendbar sein, wenn sie Handlungen leiten sollen. Die darin liegenden Beziehungen zwischen Normen im Bereich von Sitte, Sittlichkeit und Moral auf der einen Seite und des Rechts auf der anderen Seite sind in der sp"aten oder alten traditionellen Gesellschaft in aller Regel koh"arent und widerspruchsfrei. Dort, wo sie es nicht sind, wird nachkorrigiert werden, damit das intuitive Rechtsempfinden in Gleichklang mit der Moral kommt. Die wissenschaftliche Disziplin, die in der traditionellen Gesellschaft diese Koh"arenz der religi"osen oder weltanschaulichen Normen in aller Regel zeigt und sicherstellt, ist die Ethik. Ihre Aufgabe beschr"ankt sich auf die Pr"ufung der Koh"arenz der Normen. Die weitgehend konsenten Normen m"ussen nicht geschaffen werden, sondern allenfalls explizit dargestellt werden. Als konsente Normen erscheinen sie aber in der traditionellen Gesellschaft als weitgehend unver"anderbar und nicht hintergehbar.
In der posttraditionellen Gesellschaft fehlen fast immer in grossem Masse die Normen selbst. Jetzt wird die Begr"undung und Schaffung von Normen zur zentralen Aufgabe der Ethik. Die ethische Herausforderung liegt in der posttraditionellen Gesellschaft, darin, dass der Wandel der Werte, die Normverletzung, der Tabubruch, nun zum Wert wird, und Normen allenfalls zeitweilig Geltung gewinnen, sofern sie begr"undet werden k"onnen. Die Ethik hat also in der posttraditionellen Gesellschaft neben der Pr"ufung der Normenkoh"arenz zwischen geschriebenen und ungeschriebenen Kodizes die Aufgabe, Normen selbst zu entwickeln und zu begr"unden.
Im Bereich der Wirtschaft ist diese Struktur der posttraditionellen Gesellschaft u. a. als Akzeptanzproblem in vielf"altiger Weise virulent: Lebenslanges Lernen ist erforderlich, um dem Wandel der wissenschaftlich–technischen, organisatorischen Normen bis hin zu den kommunikativen Normen bew"altigen zu k"onnen; und die Diskussion um Globalisierung, Wirtschaftsstandort und Sozialversicherungsstandards sind
Um dies alles zu erreichen, entwickelt die Philosophie die angemessenen methodischen Instrumente.
Філософія. Культура. Життя.
Вип. 22, Дніпропетровськ, 2003.