Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Sollte jemand verwegen genug sein, gegen den gediegenen Wert des ausserordentlichen Buchs einige Zweifel erheben zu wollen, so mag er bedenken, dass er es mit einem Kater zu tun hat, der Geist, Verstand besitzt und scharfe Krallen.
Berlin, im Mai (18–).
Murr (Homme de lettres tres renomme)
N. S. Das ist zu arg! – Auch das Vorwort des Autors, welches unterdruckt werden sollte, ist abgedruckt! – Es bleibt nichts ubrig, als den gunstigen Leser zu bitten, dass er dem schriftstellerischen Kater den etwas stolzen Ton dieses Vorworts nicht zu hoch anrechnen und bedenken moge, dass, wenn manche wehmutige Vorrede irgendeines andern empfindsamen Autors in die wahre Sprache der innigen Herzensmeinung ubersetzt werden sollte, es nicht viel anders herauskommen wurde.
Erster Teil
Erster Abschnitt
Gefuhle des Daseins, die Monate der Jugend
Es ist doch etwas Schones, Herrliches, Erhabenes um das Leben! –
O Natur, heilige hehre Natur! wie durchstromt all' deine Wonne, all' dein Entzucken meine bewegte Brust, wie umweht mich dein geheimnisvoll sauselnder Atem! – Die Nacht ist etwas frisch und ich wollte – doch jeder der dies lieset oder nicht lieset, begreift nicht meine hohe Begeisterung, denn er kennt nicht den hohen Standpunkt, zu dem ich mich hinaufgeschwungen! – Hinaufgeklettert ware richtiger, aber kein Dichter spricht von seinen Fussen, hatte er auch deren viere so wie ich, sondern nur von seinen Schwingen, sind sie ihm auch nicht angewachsen, sondern nur Vorrichtung eines geschickten Mechanikers. Uber mir wolbt sich der weite Sternenhimmel, der Vollmond wirft seine funkelnden Strahlen herab, und in feurigem Silberglanz stehen Dacher und Turme um mich her! Mehr und mehr verbraust das larmende Gewuhl unter mir in den Strassen, stiller und stiller wird die Nacht – die Wolken ziehen – eine einsame Taube flattert in bangen Liebesklagen girrend um den Kirchturm! – Wie! – wenn die liebe Kleine sich mir nahern wollte? – Ich fuhle wunderbar es sich in mir regen, ein gewisser schwarmerischer Appetit reisst mich hin mit unwiderstehlicher Gewalt! – O kame sie die susse Huldin, an mein liebeskrankes Herz wollt ich sie drucken, sie nimmer von mir lassen – ha dort flattert sie hinein in den Taubenschlag, die Falsche, und lasst mich hoffnungslos sitzen auf dem Dache! – Wie selten ist doch in dieser durftigen, verstockten, liebeleeren Zeit wahre Sympathie der Seelen! —
Ist denn das auf zwei Fussen aufrecht Einhergehen etwas so Grosses, dass das Geschlecht, welches sich Mensch nennt, sich die Herrschaft uber uns alle, die wir mit sichererem Gleichgewicht auf vieren daherwandeln, anmassen darf? Aber ich weiss es, sie bilden sich was Grosses ein auf etwas, was in ihrem Kopfe sitzen soll und das sie die Vernunft nennen. Ich weiss mir keine rechte Vorstellung zu machen, was sie darunter verstehen, aber so viel ist gewiss, dass wenn, wie ich es aus gewissen Reden meines Herrn und Gonners schliessen darf, Vernunft nichts anderes heisst, als die Fahigkeit, mit Bewusstsein zu handeln und keine dummen Streiche zu machen, ich mit keinem Menschen tausche. – Ich glaube uberhaupt, dass man sich das Bewusstsein nur angewohnt; durch das Leben und zum Leben kommt man doch, man weiss selbst nicht wie. Wenigstens ist es mir so gegangen, und wie ich vernehme, weiss auch kein einziger Mensch auf Erden das Wie und Wo seiner Geburt aus eigner Erfahrung, sondern nur durch Tradition, die noch dazu ofters sehr unsicher ist. Stadte streiten sich um die Geburt eines beruhmten Mannes, und so wird es, da ich selbst nichts Entscheidendes daruber weiss, immerdar ungewiss bleiben, ob ich in dem Keller, auf dem Boden, oder in dem Holzstall das Licht der Welt erblickte, oder vielmehr nicht erblickte, sondern nur in der Welt erblickt wurde von der teueren Mama. Denn wie es unserm Geschlecht eigen, waren meine Augen verschleiert. Ganz dunkel erinnere ich mich gewisser knurrender, prustender Tone, die um mich her erklangen, und die ich beinahe wider meinen Willen hervorbringe, wenn mich der Zorn uberwaltigt. Deutlicher und beinahe mit vollem Bewusstsein finde ich mich in einem sehr engen Behaltnis mit weichen Wanden eingeschlossen, kaum fahig, Atem zu schopfen und in Not und Angst ein klagliches Jammergeschrei erhebend. Ich fuhle, dass etwas in das Behaltnis hinabgriff und mich sehr unsanft beim Leibe packte, und dies gab mir Gelegenheit, die erste wunderbare Kraft, womit mich die Natur begabt, zu fuhlen und zu uben. Aus meinen reich uberpelzten Vorderpfoten schnellte ich spitze gelenkige Krallen hervor und grub sie ein in das Ding, das mich gepackt und das, wie ich spater gelernt, nichts anderes sein konnte als eine menschliche Hand. Diese Hand zog mich aber heraus aus dem Behaltnis und warf mich hin, und gleich darauf fuhlte ich zwei heftige Schlage auf den beiden Seiten des Gesichts, uber die jetzt ein, wie ich wohl sagen mag, stattlicher Bart heruberragt. Die Hand teilte mir, wie ich jetzt beurteilen kann, von jenem Muskelspiel der Pfoten verletzt, ein paar Ohrfeigen zu; ich machte die erste Erfahrung von moralischer Ursache und Wirkung, und eben ein moralischer Instinkt trieb mich an, die Krallen ebenso schnell wieder einzuziehen, als ich sie hervorgeschleudert. Spater hat man dieses Einziehen der Krallen mit Recht als einen Akt der hochsten Bonhommie und Liebenswurdigkeit anerkannt und mit dem Namen» Samtpfotchen «bezeichnet.
Wie gesagt, die Hand warf mich wieder zur Erde. Bald darauf erfasste sie mich aber aufs neue beim Kopf und druckte ihn nieder, so dass ich mit dem Maulchen in eine Flussigkeit geriet, die ich, selbst weiss ich nicht, wie ich darauf verfiel, es musste daher physischer Instinkt sein, aufzulecken begann, welches mir eine seltsame innere Behaglichkeit erregte. Es war, wie ich jetzt weiss, susse Milch, die ich genoss; mich hatte gehungert, und ich wurde satt, indem ich trank. So trat, nachdem die moralische begonnen, die physische Ausbildung ein.
Aufs neue, aber sanfter als vorher, fassten mich zwei Hande und legten mich auf ein warmes weiches Lager. Immer besser und besser wurde mir zu Mute, und ich begann mein inneres Wohlbehagen zu aussern, indem ich jene seltsamen, meinem Geschlecht allein eigenen Tone von mir gab, die die Menschen durch den nicht unebenen Ausdruck, spinnen, bezeichnen. So ging ich mit Riesenschritten vorwarts in der Bildung fur die Welt. Welch ein Vorzug, welch ein kostliches Geschenk des Himmels, inneres physisches Wohlbehagen ausdrucken zu konnen durch Ton und Gebarde! – Erst knurrte ich, dann kam mir jenes unnachahmliche Talent, den Schweif in den zierlichsten Kreisen zu schlangeln, dann die wunderbare Gabe, durch das einzige Wortlein» Miau
Ich erwachte aus tiefem Schlaf, ein blendender Glanz umfloss mich, vor dem ich erschrak: fort waren die Schleier von meinen Augen, ich sah! —
Ehe ich mich an das Licht, vorzuglich aber an das buntscheckige Allerlei, das sich meinen Augen darbot, gewohnen konnte, musste ich mehrmals hintereinander entsetzlich niesen, bald ging es indessen mit dem Sehen ganz vortrefflich, als habe ich es schon mehrere Zeit hintereinander getrieben.
O das Sehen! es ist eine wunderbare, herrliche Gewohnheit, eine Gewohnheit, ohne die es sehr schwer werden wurde, uberhaupt in der Welt zu bestehen! – Glucklich diejenigen Hochbegabten, denen es so leicht wird als mir, sich das Sehen anzueignen.
Leugnen kann ich nicht, dass ich doch in einige Angst geriet und dasselbe Jammergeschrei erhob, wie damals in dem engen Behaltnis. Sogleich erschien ein kleiner hagerer alter Mann, der mir unvergesslich bleiben wird, da ich meiner ausgebreiteten Bekanntschaft unerachtet keine Gestalt, die ihm gleich oder auch nur ahnlich zu nennen, jemals wieder erblickt habe. Es trifft sich haufig bei meinem Geschlecht, dass dieser, jener Mann einen weiss und schwarz gefleckten Pelz tragt, selten findet man aber wohl einen Menschen, der schneeweisses Haupthaar haben sollte und dazu rabenschwarze Augenbraunen, dies war aber der Fall bei meinem Erzieher. Der Mann trug im Hause einen kurzen hochgelben Schlafrock, vor dem ich mich entsetzte und daher, so gut es bei meiner damaligen Unbehulflichkeit gehen wollte, von dem weissen Kissen herab zur Seite kroch. Der Mann buckte sich herab zu mir mit einer Gebarde, die mir freundlich schien und mir Zutrauen einflosste. Er fasste mich, ich hutete mich wohl vor dem Muskelspiel der Krallen, die Ideen kratzen und Schlage verbanden sich von selbst, und in der Tat, der Mann meinte es gut mit mir, denn er setzte mich nieder vor einer Schussel susser Milch, die ich begierig auflutschte, woruber er sich nicht wenig zu freuen schien. Er sprach vieles mit mir, welches ich aber nicht verstand, da mir damals als einem jungen unerfahrnen Kiek in die Welt von Katerchen das Verstehen der menschlichen Sprache noch nicht eigen. Uberhaupt weiss ich von meinem Gonner nur wenig zu sagen. So viel ist aber gewiss, dass er in vielen Dingen geschickt – in Wissenschaften und Kunsten hocherfahren sein musste, denn alle, die zu ihm kamen (ich bemerkte Leute darunter, die gerade da, wo mir die Natur einen gelblichen Fleck im Pelze beschert hat, d. h. auf der Brust, einen Stern oder ein Kreuz trugen), behandelten ihn ausnehmend artig, ja zuweilen mit einer gewissen scheuen Ehrfurcht, wie ich spaterhin den Pudel Skaramuz, und nannten ihn nicht anders als mein hochverehrtester, mein teuerer, mein geschatztester Meister Abraham! – Nur zwei Personen nannten ihn schlechtweg» mein Lieber!«Ein grosser durrer Mann in papageigrunen Hosen und weissseidenen Strumpfen, und eine kleine sehr dicke Frau mit schwarzem Haar und einer Menge Ringe an allen Fingern. Jener Herr soll aber ein Furst, die Frau hingegen eine judische Dame gewesen sein.
Dieser vornehmen Besucher unerachtet wohnte Meister Abraham doch in einem kleinen hochgelegenen Stubchen, so dass ich meine ersten Promenaden sehr bequem durchs Fenster aufs Dach und auf den Hausboden machen konnte. —
Ja, es ist nicht anders, auf einem Boden muss ich geboren sein! – Was Keller, was Holzstall – ich entscheide mich fur den Boden! – Klima, Vaterland, Sitten, Gebrauche, wie unausloschlich ist ihr Eindruck, ja, wie sind sie es nur, die des Weltburgers aussere und innere Gestaltung bewirken! – Woher kommt in mein Inneres dieser Hohesinn, dieser unwiderstehliche Trieb zum Erhabenen? Woher diese wunderbar seltene Fertigkeit im Klettern, diese beneidenswerte Kunst der gewagtesten genialsten Sprunge? – Ha! es erfullt eine susse Wehmut meine Brust! – Die Sehnsucht nach dem heimatlichen Boden regt sich machtig! – Dir weihe ich diese Zahren, o schones Vaterland! dir dies wehmutig jauchzende Miau! – Dich ehren diese Sprunge, diese Satze, es ist Tugend darin und patriotischer Mut! – Du, o Boden! spendest mir in freigebiger Fulle manch Mauslein, und nebenher kann man manche Wurst, manche Speckseite aus dem Schornstein erwischen, ja wohl manchen Sperling haschen, und sogar hin und wieder ein Taublein erlauern.»Gewaltig ist die Liebe zu dir, o Vaterland!«—
Doch ich muss, rucksichts meiner —
(Mak. Bl.) »›– und erinnern Sie sich, gnadigster Herr! denn nicht des grossen Sturms, der dem Advokaten, als er zur Nachtzeit uber den Pontneuf wandelte, den Hut vom Kopfe herunter in die Seine warf?‹ – Ahnliches steht im Rabelais, doch war es eigentlich nicht der Sturm, der dem Advokaten den Hut raubte, den er, indem er den Mantel dem Spiel der Lufte preisgab, mit der Hand fest auf den Kopf gedruckt hielt, sondern ein Grenadier riss, mit dem lauten Ausruf: es weht ein grosser Wind, mein Herr, voruberlaufend, schnell den feinen Kastor dem Advokaten unter der Hand von der Perucke, und nicht dieser Kastor war es, der in die Wellen der Seine hinabgeschleudert wurde, sondern des Soldaten eignen schnoden Filz fuhrte wirklich der Sturmwind in den feuchten Tod. Sie wissen nun, gnadigster Herr, dass in dem Augenblick, als der Advokat ganz verblufft da stand, ein zweiter Soldat mit demselben Ausruf: ›Es weht ein grosser Wind, mein Herr!‹ voruberrennend, den Mantel des Advokaten beim Kragen packte und ihn ihm herabriss von den Schultern, und dass gleich darauf ein dritter Soldat, mit demselben Ausruf: ›Es weht ein grosser Wind, mein Herr!‹ vorbeilaufend, ihm das spanische Rohr mit dem goldnen Knopf aus den Handen wand. Der Advokat schrie aus allen Kraften, warf dem letzten Spitzbuben die Perucke nach und ging dann barhauptig ohne Mantel und Stock hin, um das merkwurdigste aller Testamente aufzunehmen, um das seltsamste aller Abenteuer zu erfahren. ›Sie wissen das alles, gnadigster Herr!‹