Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Eine zweite bose Schwierigkeit fand ich in dem Eintunken der Feder in das Tintenfass. Nicht glucken wollt' es mir namlich, bei dem Eintunken das Pfotchen zu schonen, immer kam es mit hinein in die Tinte, und so konnte es nicht fehlen, dass die ersten Schriftzuge, mehr mit der Pfote als mit der Feder gezeichnet, etwas gross und breit gerieten. Unverstandige mochten daher meine ersten Manuskripte beinahe nur fur mit Tinte beflecktes Papier ansehen. Genies werden den genialen Kater in seinen ersten Werken leicht erraten und uber die Tiefe, uber die Fulle des Geistes, wie er zuerst aus unversiegbarer Quelle aussprudelte, erstaunen, ja ganz ausser sich geraten. Damit die Welt sich dereinst nicht zanke uber die Zeitfolge meiner unsterblichen Werke, will ich hier sagen, dass ich zuerst den philosophisch-sentimental-didaktischen Roman schrieb:»Gedanke und Ahnung, oder Kater und Hund«. Schon dieses Werk hatte ungeheures Aufsehen machen konnen. Dann, in allen Satteln gerecht, schrieb ich ein politisches Werk, unter dem Titel:»Uber Mausefallen und deren Einfluss auf Gesinnung und Tatkraft der Katzheit;«hierauf fuhlt' ich mich begeistert zu der Tragodie:»Rattenkonig Kawdallor«. Auch diese Tragodie hatte auf allen nur erdenklichen Theatern unzahligemal mit dem larmendsten Beifall gegeben werden konnen. Den Reihen meiner samtlichen Werke sollen diese Erzeugnisse meines hoch emporstrebenden Geistes eroffnen; uber den Anlass, sie zu schreiben, werde ich mich gehorigen Orts auslassen konnen.
Als ich die Feder besser zu halten gelernt, als das Pfotchen rein blieb von Tinte, wurde auch freilich mein Stil anmutiger, lieblicher, heller; ich legte mich ganz vorzuglich auf Musenalmanache, schrieb verschiedene freundliche Schriften und wurde ubrigens sehr bald der liebenswurdige gemutliche Mann, der ich noch heute bin. Beinahe hatte ich schon damals ein Heldengedicht gemacht, in vier und zwanzig Gesangen, doch als ich fertig, war es etwas anderes worden, wofur Tasso und Ariost noch im Grabe dem Himmel danken konnen. Sprang wirklich ein Heldengedicht unter meinen Klauen hervor, beide hatte kein Mensch mehr gelesen.
Ich komme jetzt auf die —
(Mak. Bl.) – zum bessern Verstandnis doch notig sein, dir, geneigter Leser, das ganze Verhaltnis der Dinge klar und deutlich auseinander zu setzen.
Jeder, der nur ein einzigesmal im Gasthofe des anmutigen Landstadtchens Sieghartsweiler abgestiegen ist, hat sogleich von dem Fursten Irenaus reden gehort. Bestellte er namlich bei dem Wirt nur ein Gericht Forellen, die in der Gegend vorzuglich, so erwiderte derselbe gewiss: Sie haben recht, mein Herr, unser gnadigster Furst essen auch dergleichen ungemein gern, und ich vermag die angenehmen Fische gerade so zuzubereiten, wie es bei Hofe ublich. Aus den neuesten Geographien, Landkarten, statistischen Nachrichten wusste der unterrichtete Reisende aber nichts anderes, als dass das Stadtchen Sieghartsweiler samt dem Geierstein und der ganzen Umgebung langst dem Grossherzogtum, das er soeben durchreiset, einverleibet worden; nicht wenig musste es ihn daher verwundern, hier einen gnadigsten Herrn Fursten und einen Hof zu finden. Die Sache hatte aber folgenden Zusammenhang. Furst Irenaus regierte sonst wirklich ein artiges Landchen nicht fern von Sieghartsweiler, und da er mittels eines guten Dollonds von dem Belvedere seines Schlosses im Residenzmarktflecken seine samtlichen Staaten zu ubersehen vermochte, so konnt› es nicht fehlen, dass er das Wohl und Weh seines Landes, das Gluck der geliebten Untertanen, stets im Auge behielt. Er konnte in jeder Minute wissen, wie Peters Weizen in dem entferntesten Bereich des Landes stand, und ebensogut beobachten, ob Hans und Kunz ihre Weinberge gut und fleissig besorgten. Man sagt, Furst Irenaus habe sein Landchen auf einem Spaziergange uber die Grenze aus der Tasche verloren, so viel ist aber gewiss, dass in einer neuen mit mehrern Zusatzen versehenen Ausgabe jenes Grossherzogtums, das Landchen des Fursten Irenaus einfoliiert und einregistriert war. Man uberhob ihn der Muhe des Regierens, indem man ihm aus den Revenuen des Landes, das er besessen, eine ziemlich reiche Apanage aussetzte, die er eben in dem anmutigen Sieghartsweiler verzehren sollte.
Ausser jenem Landchen besass Furst Irenaus noch ein ansehnliches bares Vermogen, das ihm unverkurzt blieb, und so sah er sich aus dem Stande eines kleinen Regenten plotzlich versetzt in den Stand eines ansehnlichen Privatmannes, der zwanglos nach freier Willkur sich das Leben gestalten konnte wie er wollte.
Furst Irenaus hatte den Ruf eines feingebildeten Herrn, der empfanglich fur Wissenschaft und Kunst. Kam nun noch hinzu, dass er oft die lastige Burde der Regentschaft schmerzlich gefuhlt, ja, ging auch schon einmal von ihm die Rede, dass er den romanhaften Wunsch, in einem kleinen Hause, an einem murmelnden Bach, mit einigem Hausvieh ein einsames idyllisches Leben procul negotiis zu fuhren, in anmutige Verse gebracht, so hatte man denken sollen, dass er nun, den regierenden Herrn vergessend, sich einrichten werde mit dem gemutlichen Hausbedarf, wie es in der Macht steht des reichen, unabhangigen Privatmannes. Dem war aber ganz und gar nicht so!
Es mag wohl sein, dass die Liebe der grossen Herren zur Kunst und Wissenschaft nur als ein integrierender Teil des eigentlichen Hoflebens anzusehen ist. Der Anstand erfordert es Gemalde zu besitzen und Musik zu horen, und ubel wurde es sein, wenn der Hofbuchbinder feiern und nicht die neueste Literatur fortwahrend in Gold und Leder kleiden sollte. Ist aber jene Liebe ein integrierender Teil des Hoflebens selbst, so muss sie mit diesem zugleich untergehen und kann nicht als etwas fur sich fort Bestehendes Trost gewahren fur den verlornen Thron oder das kleine Regentenstuhlchen, auf dem man zu sitzen gewohnt.
Furst Irenaus erhielt sich beides, das Hofleben und die Liebe fur die Kunste und Wissenschaften, indem er einen sussen Traum ins Leben treten liess, in dem er selbst mit seiner Umgebung, so wie ganz Sieghartsweiler, figurierte.
Er tat namlich so, als sei er regierender Herr, behielt die ganze Hofhaltung, seinen Kanzler des Reichs, sein Finanzkollegium amp;c. bei, erteilte seinen Hausorden, gab Cour, Hofballe, die meistenteils aus zwolf bis funfzehn Personen bestanden, da auf die eigentliche Courfahigkeit strenger geachtet wurde, als an den grossten Hofen, und die Stadt war gutmutig genug, den falschen Glanz dieses traumerischen Hofes fur etwas zu halten, das ihr Ehre und Ansehen bringe. So nannten die guten Sieghartsweiler den Fursten Irenaus ihren gnadigsten Herrn, illuminierten die Stadt an seinem Namensfeste und an den Namenstagen seines Hauses, und opferten sich uberhaupt gern auf fur das Vergnugen des Hofes, wie die atheniensischen Burgersleute in Shakespeares Sommernachtstraum.
Es war nicht zu leugnen, dass der Furst seine Rolle mit dem wirkungsvollsten Pathos durchfuhrte, und dieses Pathos seiner ganzen Umgebung mitzuteilen wusste. – So erscheint ein furstlicher Finanzrat in dem Klub zu Sieghartsweiler finster, in sich gekehrt, wortkarg. – Wolken ruhen auf seiner Stirn, er versinkt oft in tiefes Nachdenken, fahrt dann auf, wie plotzlich erwachend. – Kaum wagt man es laut zu sprechen, hart aufzutreten in seiner Nahe. Es schlagt neun Uhr, da springt er auf, nimmt seinen Hut, vergebens sind alle Bemuhungen, ihn festzuhalten, er versichert mit stolzem tiefbedeutendem Lacheln, dass ihn Aktenstosse erwarten, dass er die Nacht wurde opfern mussen, um sich zu der morgenden, hochst wichtigen, letzten Quartalsitzung des Kollegiums vorzubereiten, eilt hinweg und hinterlasst die Gesellschaft in ehrfurchtsvoller Erstarrung uber die enorme Wichtigkeit und Schwierigkeit seines Amtes. – Und der wichtige Vortrag, auf den sich der geplagte Mann die Nacht uber vorbereiten muss? – Je nun, die Waschzettel aus samtlichen Departements, der Kuche, der Tafel, der Garderobe usw. furs verflossene Vierteljahr sind eingegangen, und er ist es, der in allen Waschangelegenheiten den Vortrag hat. – So bemitleidet die Stadt den armen furstlichen Wagenmeister, spricht jedoch, von dem sublimen Pathos des furstlichen Kollegiums ergriffen, strenge aber gerecht! – Der Mann hat namlich, erhaltener Instruktion gemass, einen Halbwagen, der unbrauchbar geworden, verkauft, das Finanzkollegium ihm aber bei Strafe augenblicklicher Kassation aufgegeben, binnen drei Tagen nachzuweisen, wo er die andere Halfte gelassen, die vielleicht noch brauchbar gewesen. —
Ein besonderer Stern, der am Hofe des Fursten Irenaus leuchtete, war die Ratin Benzon, Witwe in der Mitte der dreissiger Jahre, sonst eine gebietende Schonheit, noch jetzt nicht ohne Liebreiz, die einzige, deren Adel zweifelhaft und die der Furst dennoch ein fur allemal als courfahig angenommen. Der Ratin heller, durchdringender Verstand, ihr lebhafter Geist, ihre Weltklugheit, vorzuglich aber eine gewisse Kalte des Charakters, die dem Talent zu herrschen unerlasslich, ubten ihre Macht in voller Starke, so dass sie es eigentlich war, die die Faden des Puppenspiels an diesem Miniaturhofe zog. Ihre Tochter, Julia geheissen, war mit der Prinzessin Hedwiga aufgewachsen, und auch auf die Geistesbildung dieser hatte die Ratin so gewirkt, dass sie in dem Kreise der furstlichen Familie wie eine Fremde erschien und sonderbar abstach gegen den Bruder. Prinz Ignaz war namlich zu ewiger Kindheit verdammt, beinahe blodsinnig zu nennen.
Der Benzon gegenuber, ebenso einflussreich, ebenso eingreifend in die engsten Verhaltnisse des furstlichen Hauses, wiewohl auf ganz andere Weise als sie, stand der seltsame Mann, den du, geneigter Leser, bereits kennst als Maitre de plaisir des Irenausschen Hofes und ironischen Schwarzkunstler.
Merkwurdig genug ist es, wie Meister Abraham in die furstliche Familie geriet.
Des Fursten Irenaus hochseliger Herr Papa war ein Mann von einfachen, milden Sitten. Er sah es ein, dass irgend eine Kraftausserung das kleine schwache Raderwerk der Staatsmaschine zerbrechen musse, statt ihm einen bessern Schwung zu geben. Er liess es daher in seinem Landlein fortgehen, wie es zuvor gegangen, und fehlt' es ihm dabei an Gelegenheit, einen glanzenden Verstand oder andere besondere Gaben des Himmels zu zeigen, so begnugte er sich damit, dass in seinem Furstentum jedermann sich wohl befand, und dass, rucksichts des Auslandes, es ihm so ging wie den Weibern, die dann am tadelfreisten sind, wenn man gar nicht von ihnen spricht. War des Fursten kleiner Hof steif, zeremonios, altfrankisch, konnte der Furst gar nicht eingehen in manche loyale Ideen, wie sie die neuere Zeit erzeugt, so lag das an der Unwandelbarkeit des holzernen Gestelles, das Oberhofmeister, Hofmarschalle, Kammerherren in seinem Innern muhsam zusammengerichtet. In diesem Gestelle arbeitete aber ein Triebrad, das kein Hofmeister, kein Marschall jemals hatte zum Stillstehen bringen konnen. Dies war namlich ein dem Fursten angeborner Hang zum Abenteuerlichen, Seltsamen, Geheimnisvollen. – Er pflegte zuweilen, nach dem Beispiel des wurdigen Kalifen Harun al Raschid verkleidet Stadt und Land zu durchstreichen, um jenen Hang, der mit seiner ubrigen Lebenstendenz in dem sonderbarsten Widerspiel stand, zu befriedigen, oder wenigstens Nahrung dafur zu suchen. Dann setzte er einen runden Hut auf und zog einen grauen Oberrock an, so dass jedermann auf den ersten Blick wusste, dass der Furst nun nicht zu erkennen.
Es begab sich, dass der Furst also verkleidet und unerkennbar die Allee durchschritt, die von dem Schloss aus nach einer entfernten Gegend fuhrte, in der einzeln ein kleines Hauschen stand, von der Witwe eines furstlichen Mundkochs bewohnt. Gerade vor diesem Hauschen angekommen, gewahrte der Furst zwei in Mantel gehullte Manner, die zur Hausture hinausschlichen. Er trat zur Seite, und der Historiograph des Irenausschen Hauses, dem ich dies nachschreibe, behauptet, der Furst sei selbst dann nicht bemerkt und erkannt worden, wenn er, statt des grauen Oberrocks, das glanzendste Staatskleid angehabt, mit dem funkelnden Ordensstern darauf, aus dem Grunde, weil es stockfinsterer Abend gewesen. Als die beiden verhullten Manner dicht vor dem Fursten langsam vorubergingen, vernahm dieser ganz deutlich folgendes Gesprach. Der eine: Bruder Exzellenz, ich bitte dich, nimm dich zusammen, sei nur diesesmal kein Esel! – Der Mensch muss fort, ehe der Furst etwas von ihm erfahrt, denn sonst behalten wir den verfluchten Hexenmeister auf dem Halse, der uns mit seinen Satanskunsten alle ins Verderben sturzt. Der andere: Mon cher frere, ereifere dich doch nur nicht so, du kennst meine Sagazitat, mein savoir faire. Morgen werf› ich dem gefahrlichen Menschen ein paar Karolin an den Hals, und da mag er seine Kunststuckchen den Leuten vormachen, wo er will; hier darf er nicht bleiben. Der Furst ist ubrigens ein —.«