Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Die Guitarre wurde gestimmt – dann wieder Akkorde – dann wieder abgebrochen und gestimmt – dann heftige, wie im Zorn ausgesprochene Worte – dann Melodien – dann aufs neue gestimmt. —
Neugierig auf den seltsamen Virtuosen, schlichen Hedwiga und Julia naher heran, bis sie einen Mann in schwarzer Kleidung gewahrten, der, den Rucken ihnen zugewendet, auf einem Felsstuck dicht an dem See sass, und das wunderliche Spiel trieb, mit Singen und Sprechen.
Eben hatte er die Guitarre ganz und gar umgestimmt, auf ungewohnliche Weise, und versuchte nun einige Akkorde, dazwischen rufend:»Wieder verfehlt – keine Reinheit – bald ein Komma zu tief, bald ein Komma zu hoch!«—
Dann fasste er das Instrument, das er von dem blauen Bande, an dem es ihm um die Schultern hing, losgenestelt, mit beiden Handen, hielt es vor sich hin und begann: Sage mir, du kleines eigensinniges Ding, wo ruht eigentlich dein Wohllaut, in welchem Winkel deines Innersten hat sich die reine Skala verkrochen? – Oder willst du dich vielleicht auflehnen gegen deinen Meister und behaupten, sein Ohr sei totgehammert worden in der Schmiede der gleichschwebenden Temperatur, und seine Enharmonik nur ein kindisches Vexierspiel? Du verhohnst mich, glaub' ich, unerachtet ich den Bart viel besser geschoren trage, als Meister Stefano Pacini, detto il Venetiano, der die Gabe des Wohllauts in dein Innerstes legte, die mir ein unerschliessbares Geheimnis bleibt. Und, liebes Ding, dass du es nur weisst, willst du den unisonierenden Dualismus von Gis und As oder Cis und Des – oder vielmehr samtlicher Tone durchaus nicht verstatten, so schicke ich dir neue tuchtige deutsche Meister auf den Hals, die sollen dich ausschelten, dich kirre machen mit unharmonischen Worten. – Und du magst dich nicht deinem Stefano Pacini in die Arme werfen, du magst nicht wie ein keifendes Weib das letzte Wort behalten wollen. – Oder bist du vielleicht gar dreist und stolz genug, zu meinen, dass alle schmucken Geister, die in dir wohnen, nur dem gewaltigen Zauber der Magier folgen, die langst von der Erde gegangen, und dass in den Handen eines Hasenfusses«—
Bei dem letzten Worte hielt der Mann plotzlich inne, sprang auf und schaute wie in tiefen Gedanken versunken, in den See hinein. – Die Madchen, gespannt durch des Mannes seltsames Beginnen, standen wie eingewurzelt hinter dem Gebusch; sie wagten kaum zu atmen.
«Die Guitarre«, brach der Mann endlich los,»ist doch das miserabelste, unvollkommenste Instrument von allen Instrumenten, nur wert, von girrenden liebeskranken Schafern in die Hand genommen zu werden, die das Emboucheur zur Schalmei verloren haben, da sie sonst es vorziehen wurden, erklecklich zu blasen, das Echo zu wecken mit den Kuhreigen der sussesten Sehnsucht, und klagliche Melodien entgegenzusenden den Emmelinen in den weiten Bergen, die das liebe Vieh zusammentreiben mit dem lustigen Geknalle empfindsamer Hetzpeitschen. – O Gott! – Schafer, die ›wie ein Ofen seufzen mit Jammerlied auf ihrer Liebsten Brau'n‹ – lehrt ihnen, dass der Dreiklang aus nichts anderm bestehe, als aus drei Klangen, und niedergestossen werde durch den Dolchstich der Septime, und gebt ihnen die Guitarre in die Hande! – Aber ernsten Mannern von leidlicher Bildung, von vorzuglicher Erudition, die sich abgegeben mit griechischer Weltweisheit und wohl wissen, wie es am Hofe zu Peking oder Nanking zugeht, aber den Teufel was verstehen von Schaferei und Schafzucht, was soll denen das Achzen und Klimpern? – Hasenfuss, was beginnst du? Denke an den seligen Hippel, welcher versichert, dass, sah' er einen Mann Unterricht erteilen im Klavierschlagen, es ihm zu Mute werde als sotte besagter Lehrherr weiche Eier – und nun Guitarre klimpern – Hasenfuss! – Pfui Teufel!« – Damit schleuderte der Mann das Instrument weit von sich ins Gebusch und entfernte sich raschen Schrittes, ohne die Madchen zu bemerken.
«Nun«, rief Julia nach einer Weile lachend,»Hedwiga, was sagst Du zu dieser verwunderlichen Erscheinung? Wo mag der seltsame Mann her sein, der erst so hubsch mit seinem Instrument zu sprechen weiss und es dann verachtlich von sich wirft, wie eine zerbrochene Schachtel?«
«Es ist unrecht«, sprach Hedwiga wie im plotzlich aufwallenden Zorn, indem ihre verbleichten Wangen sich blutrot farbten,»dass der Park nicht verschlossen ist, dass jeder Fremde hinein kann«.
«Wie«, erwiderte Julia,»der Furst sollte, meinst Du, engherzig, den Sieghartsweilern – nein, nicht diesen allein, jedem, der des Weges wandelt, gerade den anmutigsten Fleck der ganzen Gegend verschliessen? Das ist unmoglich Deine ernste Meinung!« —»Du bedenkst«, fuhr die Prinzessin noch bewegter fort,»die Gefahr nicht, die fur uns daraus entsteht. Wie oft wandeln wir so wie heute allein, entfernt von aller Dienerschaft, in den entlegensten Gangen des Waldes umher! – Wie, wenn einmal irgendein Bosewicht –
«Ei«, unterbrach Julia die Prinzessin,»ich glaube gar, Du furchtest, aus diesem, jenem Gebusch konnte irgendein ungeschlachter, marchenhafter Riese, oder ein fabelhafter Raubritter hervorspringen und uns entfuhren auf seine Burg! – Nun, das wolle der Himmel verhuten! – Aber sonst muss ich Dir gestehen, dass mir irgendein kleines Abenteuer hier in dem einsamen romantischen Walde recht hubsch, recht anmutig bedunken mochte. – Ich denke eben an Shakespeares» Wie es Euch gefallt«, das uns die Mutter so lange nicht in die Hande geben wollte, und das uns endlich Lothario vorgelesen. Was gilt es, Du wurdest auch gern ein bisschen Celia spielen, und ich wollte Deine treue Rosalinde sein. – Was machen wir aus unserm unbekannten Virtuosen?«
«O«, erwiderte die Prinzessin,»eben dieser unbekannte Mensch – Glaubst du wohl, Julia, dass mir seine Gestalt, seine wunderlichen Reden ein inneres Grauen erregten, das mir unerklarlich ist? – Noch jetzt durchbeben mich Schauer, ich erliege beinahe einem Gefuhl, das, seltsam und entsetzlich zugleich, alle meine Sinne gefangen nimmt. In dem tiefsten, dunkelsten Gemut regt sich eine Erinnerung auf und ringt vergebens sich deutlich zu gestalten. – Ich sah diesen Menschen schon in irgendeine furchterliche Begebenheit verflochten, die mein Herz zerfleischte – vielleicht war es nur ein spukhafter Traum, dessen Andenken mir geblieben – Genug – der Mensch mit seinem seltsamen Beginnen, mit seinen wirren Reden, deuchte mir ein bedrohliches, gespenstisches Wesen, das uns vielleicht verlocken wollte in verderbliche Zauberkreise.«
«Welche Einbildungen«, rief Julia,»ich fur mein Teil verwandle das schwarze Gespenst mit der Guitarre in den Monsieur Jacques, oder gar in den ehrlichen Probstein, dessen Philosophie beinahe so lautet, wie die wunderlichen Reden des Fremden. – Doch hauptsachlich ist es nun notig, die arme Kleine zu retten, die der Barbar so feindselig in das Gebusch geschleudert hat.«—
«Julia – was beginnst Du – um des Himmels willen!« rief die Prinzessin; doch ohne auf sie zu achten, schlupfte Julia hinein in das Dickicht und kam nach wenigen Augenblicken triumphierend, die Guitarre, die der Fremde weggeworfen, in der Hand, zuruck.
Die Prinzessin uberwand ihre Scheu und betrachtete sehr aufmerksam das Instrument, dessen seltsame Form schon von hohem Alter zeugte, hatte das auch nicht die Jahreszahl und der Name des Meisters bestatigt, den man durch die Schalloffnung auf dem Boden deutlich wahrnahm. Schwarz eingeatzt waren namlich die Worte:»Stefano Pacini fec. Venet. 1532«.
Julia konnte es nicht unterlassen, sie schlug einen Akkord auf dem zierlichen Instrument an, und erschrak beinahe uber den machtigen, vollen Klang, der aus dem kleinen Dinge heraustonte.»O herrlich – herrlich!« rief sie aus und spielte weiter. Da sie aber gewohnt, nur ihren Gesang mit der Guitarre zu begleiten, so konnte es nicht fehlen, dass sie bald unwillkurlich zu singen begann, indem sie weiter fortwandelte. Die Prinzessin folgte ihr schweigend. Julia hielt inne; da sprach Hedwiga:»Singe, spiele auf dem zauberischen Instrumente, vielleicht gelingt es Dir, die bosen, feindlichen Geister, die Macht haben wollten uber mich, hinabzubeschworen in den Orkus.«
«Was willst Du«, erwiderte Julia,»mit Deinen bosen Geistern, die sollen uns beiden fremd sein und bleiben, aber singen will ich und spielen; denn ich wusste nicht, dass jemals mir ein Instrument so zur Hand gewesen, mir uberhaupt so zugesagt hatte, als eben dieses. Mir scheint auch, als wenn meine Stimme viel besser dazu laute als sonst.«– Sie begann eine bekannte italienische Canzonetta und verlor sich in allerlei zierliche Melismen, gewagte Laufe und Capriccios, Raum gebend dem vollen Reichtum der Tone, der in ihrer Brust ruhte.
War die Prinzessin erschrocken uber den Anblick des Unbekannten, so erstarrte Julia zur Bildsaule, als er, da sie eben in einen andern Gang einbiegen wollte, plotzlich vor ihr stand.
Der Fremde, wohl an dreissig Jahre alt, war nach dem Zuschnitt der letzten Mode schwarz gekleidet. In seinem ganzen Anzuge fand sich durchaus nichts Sonderbares, Ungewohnliches, und doch hatte sein Ansehen etwas Seltsames, Fremdartiges. Trotz der Sauberkeit seiner Kleidung war eine gewisse Nachlassigkeit sichtbar, die weniger von Mangel an Sorgfalt, als davon herzuruhren schien, dass der Fremde gezwungen worden, einen Weg zu machen, auf den er nicht gerechnet, und zu dem sein Anzug nicht passte. Mit aufgerissener Weste, das Halstuch nur leicht umschlungen, die Schuhe dick bestaubt, auf denen die goldnen Schnallchen kaum sichtbar, stand er da, und narrisch genug sah es aus, dass er an dem kleinen dreieckigen Hutchen, das nur bestimmt, unter den Armen getragen zu werden, die hintere Krempe herabgeschlagen hatte, um sich gegen die Sonne zu schutzen. Er hatte sich durchgedrangt durch das tiefste Dickicht des Parks, denn sein wirres schwarzes Haar hing voller Tannadeln. Fluchtig schaute er die Prinzessin an und liess dann den seelenvollen leuchtenden Blick seiner grossen dunkeln Augen auf Julia ruhen, deren Verlegenheit noch dadurch erhoht wurde, so dass ihr, wie es in dergleichen Fallen ihr zu geschehen pflegte, die Tranen in die Augen traten.