Bitterschokolade (Горький шоколад)
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Sie drehte sich langsam vor dem Spiegel hin und her. Das Kleid gefiel ihr und sie sah wirklich nicht gar zu fett darin aus. Besser jedenfalls als in Rock und Bluse. Sie цffnete den Pferdeschwanz und schьttelte den Kopf, bis die Haare locker ьber ihre Schultern fielen. Die Schmidhuber war hinter sie getreten und legte ihre runden Arme um sie.
»Gut siehst du aus, Eva. So solltest du die Haare immer tragen.«
»Zu Hause trau ich mich nicht. Du kennst Papa ja.« Die Schmidhuber lachte. »Eine richtige Lцwenmдhne hast du, Eva.« Sie fasste hinein in die Haare und zauste sie spielerisch. »Lass dir nicht alles gefallen. Lass dir ja nicht alles gefallen!«
»Also, was ist mit morgen Abend?«, fragte der Vater am Freitag beim Essen. Eva senkte den Kopf
»Gut.« Der Vater war zufrieden. »Wann soll ich kommen?«
»Um zehn ist es aus. Aber Michel hat gesagt, dass es meistens ein bisschen lдnger dauert. Wenn du vielleicht um halb elf kommst?«
»Ich werde pьnktlich sein.« Er war wirklich besonders freundlich.
Kunststьck, dachte Eva, wo er doch seinen Willen durchgesetzt hat.
Michel hatte es nicht schlimm gefunden, dass ihr Vater sie abholen wollte. »Ich verstehe dich nicht«, hatte er gesagt, »ich an deiner Stelle wдre froh, wenn ich abends nicht mehr mit der StraЯenbahn fahren mьsste.«
»Und wo ist das eigentlich?«, fragte der Vater.
»StaufenerstraЯe«, antwortete Eva. »Staufenerstra-Яe 34.«
Der Vater schaute hoch. Eva hatte das erwartet. Sie suchte mit unbewegtem Gesicht weiter nach Speckstьckchen. Es waren keine mehr da. »Kann ich ein bisschen Essig haben?«
Berthold gab ihr den Essig. »Wo gehst du denn hin?«, fragte er.
»Bis du mal etwas mitkriegst, kann die Welt untergehen. Ich gehe morgen Abend tanzen, m ein Freizeitheim.«
»Ach so.« Berthold war nicht weiter daran interessiert, er fuhr fort, seine Suppe zu essen.
Es klirrte laut, als der Vater seinen Lцffel auf den Teller legte. »Hast du gewusst, dass es da ist, Marianne?«
Er dehnte das »a« in »da« sehr lang, sehr von oben herab, fand Eva. So wie er das sagte, klang es so, als wдre es mindestens die Vorhцlle. Eva hatte gewusst, dass es so sein wьrde. Die Mutter warf ihr einen Blick zu, einen von diesen Schulmдdchen-Verschwцrungsblicken, einen von diesen Kumpelblicken, die Eva nicht leiden konnte. Sie wurde nervцs davon.
»Ja«, sagte die Mutter. »Natьrlich habe ich das gewusst.«
Eva дrgerte sich. »Sie hat es nicht gewusst«, sagte sie.
»Warum sollte es nicht dort drauЯen sein?«, fragte
die Mutter schnell und sammelte die leeren Teller ein. »Gleich bringe ich den Nachtisch.«
Der Vater schwieg. Er ist bцse, dachte Eva. Er wьrde mir am liebsten verbieten hinzugehen, aber jetzt traut er sich nicht mehr.
Der Schokoladenpudding war dunkelbraun, die Pfirsichhдlften aus der Dose sehr gelb, fast orange, und oben drauf prangten Schlagsahnehдufchen, mit Schokostreuseln verziert. »Das Auge isst immer mit.«
Eva schob einen Lцffel Schlagsahne in den Mund und lieЯ ihn auf der Zunge zergehen. Das neue Kleid war auch fertig geworden, die Schmidhuber hatte es heute gebracht. »Viel SpaЯ, Eva«, hatte sie gesagt. »Und vergiss nicht: Nichts gefallen lassen!«
Eva dachte an das Kleid. Streifen streckten wirklich. Das Kleid war schцn und stand ihr gut. Sie schob den Glasteller mit dem Nachtisch weg.
»Ich bin satt.« Ein bisschen Schlagsahne hatte sie gegessen, sonst nichts. Der Vater nahm den Teller und \J stellte ihn vor Berthold hin. Nur nichts verkommen lassen.
Eva lag in der Badewanne und formte aus dem Schaum kleine Bдllchen, kleine weiЯe Schaumbдllchen, vцllig ohne Gewicht, die auf ihrer Haut kitzelten. Wenn sie tiefer in die Wanne hineinrutschte, konnte sie den Schaum knistern hцren. Es klang sehr laut, sehr beeindruckend. Kaum zu glauben, dass dieses kцrperlose
Zeug diese Gerдusche verursachte. Eva liebte Schaumbдder, Fichtennadelschaumbдder. Es roch nach Pinien und Urlaub. Sie musste nur die Augen zumachen. Ka-rola hatte ihr mal erzдhlt, dass man in Sьdfrankreich Lavendel am StraЯenrand pflьcken kцnnte. Frankreich.
Frankreich. Und in zwei Jahren nach Griechenland.«
Und danach, hatte Eva gedacht, danach fahre ich nicht mehr mit.
Sie lieЯ ihre Hдnde ьber die Schaumhьgel gleiten, streichelte den Schaum, bis er zerging unter ihren Handflдchen. Schцn war das warme Wasser, und schцn war die Schaumdecke, die ihren Kцrper verbarg. Im Sand hatte sie sich eingegraben, vor zwei Jahren, in Grado, im warmen Sand. Berthold hatte sie voll geschaufelt, und als sie schon unter einer dicken Sandschicht lag, nur ihr Kopf schaute noch heraus, hatte er weiter Sand auf sie geworfen, bis sie das Gefьhl bekam, zu ersticken unter der Last, wirklich begraben zu werden in der flimmernden Hitze, allein zwischen so vielen Menschen. Berthold hatte ihr Sand ins Gesicht geschaufelt und Vater, mit auffallend dьnnen Beinen fьr seinen mдchtigen Kцrper, hatte gelacht. Er hatte laut gelacht, als Eva plцtzlich anfing zu weinen und sich mit hastigen Hдnden Sand vom Kцrper schob, ungeduldig mit den sandigen Fingern ьber die Augen wischte, noch mehr Sandkцrner in die trдnenden Au-
gen brachte. Eva war wьtend gewesen, wьtend ьber den Vater, wьtend ьber Berthold, hatte sich auf den Bruder gestьrzt und sein Gesicht so lange in den Sand gedrьckt, bis er wild um sich schlug. Der Vater hatte gelacht dazu. Mit seinen dьnnen Beinen hatte er dagestanden und gelacht.
Der Schaum war weniger geworden. Er bildete nur noch schwimmende Inseln auf dem hellgrьnen Wasser. Eva konnte wieder ihren Bauch sehen und ihren Busen. Die Konturen ihres Kцrpers verschwammen, wenn sie mit der Hand im Wasser plдtscherte.
Der Vater klopfte an die Tьr. »Mach schnell, Eva. Ich muss mal.«
Eva trocknete sich ab und zog ihr Nachthemd an. In ihrem Zimmer nahm sie das Kleid, das ьber ihrem Bett lag, und hдngte es sorgfдltig auf einen Kleiderbьgel.
Michel.
Sie strich sich die nassen Haare aus der Stirn. Morgen um vier Uhr wьrden sie sich am Brunnen treffen. Eva hдngte den Kleiderbьgel an den Schrank und lieЯ sich auf ihr Bett fallen. Es war schwьl
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»Komm endlich, Eva.« Michel zog sie hinter sich her. In dem barackenartigen, hellen Bau liefen viele Kinder und Jugendliche herum.