Die weisse Massai
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Die Ladeklappe wird heruntergelassen, und alle dr"angen zwischen den abfahrenden Autos an Land. Von dem Massai sehe ich nur noch seinen gl"anzenden R"ucken, als er geschmeidig zwischen den anderen, schwerf"allig schleppenden Menschen verschwindet. Aus, vorbei, denke ich und k"onnte in Tr"anen ausbrechen.
Weshalb mich das so mitnimmt, weiss ich nicht.
Wir haben wieder festen Boden unter den F"ussen und dr"angen zu den Bussen.
Mittlerweile ist es finster geworden, in Kenia bricht die Dunkelheit innerhalb einer halben Stunde herein. Die vielen Busse f"ullen sich in kurzer Zeit mit Menschen und Gep"ack. Wir stehen ratlos da. Zwar wissen wir den Namen unseres Hotels, aber nicht, an welchem Strand es liegt. Ungeduldig stosse ich Marco an: „Frag doch mal jemanden!“ Das sei meine Sache, meint er, dabei war ich noch nie in Kenia und spreche kein Englisch. Es war ja seine Idee, nach Mombasa zu fahren. Ich bin traurig und denke an den Massai, der sich bereits in meinem Kopf festgesetzt hat.
In v"olliger Dunkelheit stehen wir da und streiten. Alle Busse sind weg, als hinter uns eine dunkle Stimme „Hello!“ sagt. Wir drehen uns gleichzeitig um, und mir bleibt fast das Herz stehen. „Mein“ Massai! Einen Kopf gr"osser als ich, obwohl ich bereits 1,80 m gross bin. Er schaut uns an und redet in einer Sprache auf uns ein, die wir beide nicht verstehen. Mein Herz scheint aus der Brust zu springen, meine Knie zittern. Ich bin v"ol ig durcheinander. Marco versucht w"ahrenddessen zu erkl"aren, wohin wir m"ussen. „No problem“, erwidert der Massai, wir sollen warten. Etwa eine halbe Stunde vergeht, in der ich nur diesen sch"onen Menschen ansehe. Er beachtet mich kaum, Marco hingegen reagiert sehr irritiert. „Was ist eigentlich los mit dir?“ wil er wissen. „Du starrst diesen Mann geradezu penetrant an, ich muss mich sch"amen.
Reiss dich zusammen, so kenne ich dich ja gar nicht!“ Der Massai steht dicht neben uns und sagt kein Wort. Nur durch die Umrisse seines langen K"orpers und seinen Geruch, der auf mich erotisch wirkt, sp"ure ich, dass er noch da ist.
Am Rande des Busbahnhofs gibt es kleine Gesch"afte, die eher wie Baracken aussehen und al e dasselbe anbieten: Tee, S"ussigkeiten, Gem"use, Fr"uchte und Fleisch, das an Haken h"angt. Vor den nur schwach mit Petroleumlampen beleuchteten Buden stehen Menschen in zerlumpten Kleidern. Als Weisse fallen wir hier sehr auf.
„Lass uns zur"uck nach Mombasa gehen und ein Taxi suchen. Der Massai versteht doch nicht, was wir wollen, und ich traue ihm nicht. Ausserdem glaube ich, dass du von ihm richtig verhext bist“, sagt Marco. Mir allerdings erscheint es wie eine F"ugung, dass ausgerechnet er unter all den Schwarzen auf uns zugekommen ist.
Als kurz darauf ein Bus h"alt, sagt der Massai „Come, come!“, schwingt sich hinein und reserviert uns zwei Pl"atze. Wird er wieder aussteigen oder mitfahren, frage ich mich. Zu meiner Beruhigung setzt er sich auf die andere Seite des Durchgangs direkt hinter Marco. Der Bus f"ahrt auf einer Landstrasse, die v"ollig im Dunkeln liegt. Ab und zu sieht man zwischen den Palmen und Str"auchern ein Feuer und ahnt die Anwesenheit von Menschen. Die Nacht verwandelt alles, wir haben v"ollig die Orientierung verloren. Marco erscheint die Strecke viel zu lang, so dass er mehrmals den Versuch macht auszusteigen. Nur durch mein gutes Zureden und nach ein paar Worten des Massai sieht er ein, dass wir dem Fremden vertrauen m"ussen. Ich habe keine Angst, im Gegenteil, ich m"ochte ewig so weiterfahren. Die Anwesenheit meines Freundes beginnt mich zu st"oren. Alles sieht er negativ und obendrein versperrt er mir die Sicht! Krampfhaft "uberlege ich: „Was ist, wenn wir am Hotel eintreffen?“
Nach gut einer Stunde ist der gef"urchtete Moment gekommen. Der Bus h"alt, und Marco steigt erleichtert aus, nachdem er sich bedankt hat. Ich schaue noch einmal den Massai an, bringe kein Wort hervor und st"urze aus dem Bus. Er f"ahrt weiter, irgendwohin, viel eicht sogar nach Tansania.
Von diesem Moment an will sich bei mir keine Ferienstimmung mehr einstellen.
Ich denke viel "uber mich, Marco und mein Gesch"aft nach. Seit bald f"unf Jahren betreibe ich in Biel eine exklusive Secondhand-Boutique mit einer Abteilung f"ur Brautkleider. Nach anf"anglichen Schwierigkeiten l"auft das Gesch"aft bestens, und ich besch"aftige mittlerweile drei Schneiderinnen. Mit siebenundzwanzig Jahren habe ich es geschafft, auf einen ansehnlichen Lebensstandard zu kommen.
Marco lernte ich kennen, als es beim Einrichten meiner Boutique Schreinerarbeiten zu erledigen gab. Er war h"oflich und lustig, und da ich in Biel neu zugezogen war und niemanden kannte, nahm ich eines Tages seine Einladung zum Essen an. Langsam entwickelte sich unsere Freundschaft, und nach einem halben Jahr zogen wir zusammen. Wir gelten in Biel als „Traumpaar“, haben viele Freunde, und al e warten auf unseren Hochzeitstermin. Doch ich gehe v"ollig in der Aufgabe als Gesch"aftsfrau auf und bin auf der Suche nach einem zweiten Laden in Bern. Mir bleibt kaum Zeit f"ur Gedanken an Hochzeit oder Kinder. Marco ist von meinen Pl"anen allerdings nicht sehr angetan, sicher auch, weil ich schon jetzt wesentlich mehr verdiene als er. Das macht ihm zu schaffen und hat in letzter Zeit zu Auseinandersetzungen gef"uhrt.
Und nun diese f"ur mich v"ollig neue Erfahrung! Ich versuche immer noch zu begreifen, was da in mir vorgeht. Mit meinen Gef"uhlen bin ich weit weg von Marco und merke, dass ich ihn kaum wahrnehme. Dieser Massai hat sich in meinem Gehirn festgesetzt. Ich kann nichts essen. Im Hotel haben wir die besten Buffets, aber ich bringe nichts mehr hinunter. In meinem Bauch haben sich anscheinend die Ged"arme verknotet. Den ganzen Tag sp"ahe ich zum Strand oder spaziere an ihm entlang, in der Hoffnung, ihn zu erblicken. Ab und zu sehe ich einige Massai, aber al e sind kleiner und weit entfernt von seiner Sch"onheit. Marco l"asst mich gew"ahren, es bleibt ihm ja nichts anderes "ubrig. Er freut sich auf die Heimreise, weil er fest davon "uberzeugt ist, dass sich dann alles normalisiert. Doch dieses Land hat mein Leben aus den Fugen gerissen, und es wird nichts mehr so sein wie bisher.
Marco beschliesst, eine Safari ins Massai-Mara zu unternehmen. Mir behagt diese Idee nicht besonders, denn unter diesen Umst"anden habe ich keine Chance, den Massai wiederzufinden. Aber mit einer Zweitagesreise bin ich einverstanden.
Die Safari ist anstrengend, weil es mit den Bussen weit ins Landesinnere geht. Wir fahren bereits mehrere Stunden, und Marco geht alles zu langsam. „Wegen der paar Elefanten und L"owen h"atten wir wirklich nicht diese Strapaze auf uns nehmen m"ussen, die k"onnen wir auch bei uns im Zoo sehen.“ Mir aber gef"al t die Fahrt. Bald erreichen wir die ersten Massai-D"orfer. Der Bus h"alt, und der Fahrer fragt, ob wir Lust h"atten, die H"utten und deren Bewohner zu besichtigen. „Klar“, sage ich, und die anderen Safariteilnehmer schauen mich kritisch an. Der Fahrer handelt einen Preis aus. In weissen Turnschuhen stapfen wir durch lehmigen Morast, darauf bedacht, nicht auf die Kuhfladen zu treten, die "uberall herumliegen. Kaum sind wir bei den H"utten, den Manyattas, st"urzen sich die Frauen mit ihrer Kinderschar auf uns, zerren an unseren Kleidern und wollen praktisch al es, was wir an uns tragen, gegen Speere, Stoffe oder Schmuck eintauschen.
Inzwischen sind die M"anner in die H"utten gelockt worden. Ich kann mich nicht "uberwinden, in diesem Morast noch einen einzigen Schritt zu machen. So reisse ich mich von den rabiaten Frauen los und st"urme zur"uck zum Safaribus, gefolgt von Hunderten von Fliegen. Auch die anderen G"aste eilen zum Bus und rufen:
„Losfahren!“ Der Chauffeur l"achelt und meint: „Jetzt seid ihr hoffentlich gewarnt vor diesem Stamm, den letzten unzivilisierten Menschen in Kenia, mit denen auch die Regierung ihre Schwierigkeiten hat.“
Im Bus stinkt es f"urchterlich, und die Fliegen sind eine Plage, w"ahrend Marco lacht und meint: „So, jetzt weisst du wenigstens, woher dein Sch"onling kommt und wie es bei denen ausschaut.“ An meinen Massai habe ich komischerweise in diesen Minuten "uberhaupt nicht gedacht.
Schweigend fahren wir weiter, vorbei an grossen Elefantenherden. Nachmittags erreichen wir ein Touristenhotel. Es ist fast unwirklich, in dieser Halbw"uste in einem luxuri"osen Hotel zu "ubernachten. Als erstes beziehen wir unsere Zimmer und gehen unter die Dusche. Das Gesicht, die Haare, al es klebt. Dann gibt es ein "uppiges Abendessen, und selbst ich versp"ure nach fast f"unf Tagen Hungerns so etwas wie Appetit. Am n"achsten Morgen stehen wir sehr fr"uh zur L"owenbesichtigung auf und tats"achlich finden wir drei noch schlafende Tiere. Dann treten wir den langen Heimweg an. Je n"aher wir Mombasa kommen, desto mehr "uberkommt mich ein merkw"urdiges Gl"ucksgef"uhl. F"ur mich steht fest: Noch knapp eine Woche sind wir hier, und ich muss meinen Massai wiederfinden.