Die weisse Massai
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Abends findet im Hotel ein Massai-Tanz mit anschliessendem Schmuckverkauf statt, und ich bin voller Hoffnung, ihn hier wiederzusehen. Wir sitzen in der ersten Reihe, als die Krieger hereinkommen. Es sind etwa zwanzig M"anner, kleine, grosse, h"ubsche, h"assliche, aber mein Massai ist nicht dabei. Ich bin entt"auscht. Trotzdem gef"allt mir ihre Darbietung, und wieder rieche ich diese Ausd"unstung, die sich von der anderer Afrikaner stark unterscheidet.
In der N"ahe des Hotels sol es ein Freiluft-Dancing, die „Bush-Baby-Disco“, geben, wo auch Einheimische hingehen k"onnen. So sage ich: „Marco, komm, wir suchen dieses Tanzlokal.“ Er wil nicht so recht, da nat"urlich die Hotel eitung auf die Gefahren hingewiesen hat, aber ich setze mich durch. Nach kurzer Wanderung entlang der dunklen Strasse ersp"ahen wir Licht und h"oren die ersten T"one von Rockmusik. Wir gehen hinein, und mir gef"allt es sofort. Endlich nicht mehr diese kahlen, klimatisierten Hotel-Discos, sondern eine Tanzfl"ache unter freiem Himmel mit einigen Bars zwischen Palmen. "Uberall hocken Touristen mit Einheimischen an den Theken. Hier geht es locker zu. Wir setzen uns an einen Tisch. Marco bestellt Bier und ich eine Cola. Dann tanze ich allein, da Marco nicht viel vom Tanzen h"alt.
Gegen Mitternacht betreten einige Massai die Disco. Ich sehe sie mir genau an, erkenne aber nur ein paar von denen, die im Hotel ihren Auftritt hatten. Entt"auscht kehre ich an den Tisch zur"uck. Ich fasse den Entschluss, die restlichen Abende in der Disco zu verbringen, denn es scheint mir die einzige M"oglichkeit zu sein, meinen Massai wiederzufinden. Marco protestiert zwar, aber allein im Hotel bleiben will er auch nicht. So machen wir uns jeden Abend nach dem Essen auf den Weg zur Bush-Baby-Disco.
Nach dem zweiten Abend, es ist bereits der 21. Dezember, hat mein Freund genug von den Ausfl"ugen. Ich verspreche ihm, es sei nur noch dieses eine Mal. Wie immer sitzen wir an dem inzwischen zu unserem Stammplatz gewordenen Tisch unter der Palme. Ich entschliesse mich zu einem Solotanz inmitten der tanzenden Schwarzen und Weissen. Er muss doch einfach kommen!
Kurz nach elf Uhr, ich bin schon ganz schweissgebadet, "offnet sich die T"ur. Mein Massai! Er legt seinen Schlagstock beim Kontrolleur nieder, geht langsam zu einem Tisch und setzt sich mit dem R"ucken zu mir. Meine Knie zittern, ich kann kaum noch stehen. Jetzt schiesst mir der Schweiss erst recht aus allen Poren. Ich muss mich an einer S"aule am Rand der Tanzfl"ache festhalten, um nicht umzukippen. Fieberhaft "uberlege ich, was ich tun k"onnte. Auf diesen Augenblick habe ich Tage gewartet. So ruhig wie m"oglich gehe ich an unseren Tisch zur"uck und sage zu Marco: „Schau, da ist der Massai, der uns geholfen hat. Hol ihn bitte an unseren Tisch und spendiere ihm ein Bier als Dankesch"on!“ Marco dreht sich um, und im selben Moment sieht uns der Massai. Er winkt, steht auf und kommt tats"achlich zu uns. „Hello, friends!“
Schon streckt er uns lachend seine Hand entgegen. Sie f"uhlt sich k"uhl und geschmeidig an. Er setzt sich neben Marco direkt mir gegen"uber. Warum nur kann ich kein Englisch! Marco bem"uht sich um ein Gespr"ach, wobei sich herausstel t, dass auch der Massai kaum Englisch spricht. Mit Gestik und Mimik versuchen wir uns zu verst"andigen. Er schaut zuerst Marco, dann mich an und fragt schliesslich, auf mich zeigend: „Your wife?“
Auf Marcos „Yes, yes“
reagiere ich emp"ort: „No, only boyfriend, no married!“
Der Massai versteht nicht. Er fragt nach Kindern. Wieder sage ich: „No, no! No married!“ So nah war er mir noch nie. Nur der Tisch ist zwischen uns, und ich kann ihn nach Herzenslust anstarren. Er ist faszinierend sch"on, mit seinem Schmuck, den langen Haaren und dem stolzen Blick! Von mir aus k"onnte die Zeit stehenbleiben. Er fragt Marco: „Warum tanzt du nicht mit deiner Frau?“ Als Marco, zum Massai gewandt, antwortet, er trinke lieber Bier, ergreife ich die Gelegenheit und mache dem Massai klar, dass ich mit ihm tanzen will. Er schaut Marco an, und als keine Reaktion kommt, stimmt er zu.
Wir tanzen, er mehr h"upfend wie beim Volkstanz, ich europ"aisch. Er bewegt keinen Muskel im Gesicht. Ich weiss nicht, ob ich ihm "uberhaupt gefal e. Dieser Mann, so fremd er mir ist, zieht mich wie ein Magnet an. Nach zwei Songs kommt langsame Musik, und ich w"urde ihn am liebsten an mich dr"ucken. Statt dessen reisse ich mich zusammen und gehe von der B"uhne, ich w"urde sonst v"ollig die Kontrolle verlieren.
Am Tisch reagiert Marco prompt: „Corinne, komm, wir gehen ins Hotel, ich bin m"ude.“ Aber ich will nicht. Der Massai gestikuliert wieder mit Marco. Er will uns einladen, uns morgen seine Wohnst"atte zeigen und eine Bekannte vorstel en. Ich stimme schnel zu, bevor Marco widersprechen kann. Wir verabreden uns vor dem Hotel.
In der Nacht liege ich schlaflos auf dem Bett, und gegen Morgen ist mir klar, dass meine Zeit mit Marco zu Ende ist. Fragend schaut er mich an, und pl"otzlich bricht es aus mir heraus: „Marco, ich kann nicht mehr. Ich weiss nicht, was mir mit diesem v"ollig fremden Mann passiert ist. Ich weiss nur, dieses Empfinden ist st"arker als jede Vernunft.“ Marco tr"ostet mich und meint gutm"utig, wenn wir wieder in der Schweiz seien, werde sich al es wieder einrenken. Kl"aglich erwidere ich: „Ich will nicht mehr zur"uck. Ich will hier bleiben in diesem sch"onen Land bei den liebenswerten Menschen und vor allem bei diesem faszinierenden Massai.“ Marco versteht mich nat"urlich nicht.
Bei br"utender Hitze stehen wir am n"achsten Tag wie verabredet vor dem Hotel.
Pl"otzlich taucht er auf der anderen Seite der Strasse auf und kommt her"uber. Nach kurzer Begr"ussung sagt er: „Come, come!“ und wir folgen ihm. Wir gehen ungef"ahr zwanzig Minuten durch Wald und Gestr"upp. Da und dort springen Affen, manche halb so gross wie wir, vor uns her. Wieder bewundere ich den Gang des Massai. Er scheint den Boden kaum zu ber"uhren. Es ist fast wie ein Schweben, obwohl seine F"usse in schweren Autoreifen-Sandalen stecken. Marco und ich wirken dagegen wie Trampeltiere.
Dann kommen f"unf Rundh"auschen in Sicht, in einem Kreis zusammengestel t, "ahnlich wie im Hotel, nur viel kleiner, und statt Beton sind hier Natursteine aufeinander gestapelt, mit rotem Lehm verputzt. Das Dach ist aus Stroh. Vor einem H"auschen steht eine st"ammige Frau mit einem grossen Busen. Der Massai stellt sie uns als seine Bekannte Priscilla vor, und erst jetzt erfahren wir den Namen des Massai: Lketinga.
Priscilla begr"usst uns freundlich, und zu unserer Verwunderung spricht sie gut Englisch. „You like tea?“ fragt sie. Ich nehme dankend an. Marco meint, es sei viel zu heiss, er h"atte lieber ein Bier. Das bleibt hier nat"urlich Wunschvorstellung. Priscilla holt einen kleinen Spirituskocher hervor, stel t ihn vor unsere F"usse, und wir warten, bis das Wasser kocht. Wir erz"ahlen von der Schweiz, von unserer Arbeit und fragen, wie lange sie hier schon wohnen. Priscilla lebt bereits seit zehn Jahren an der K"uste.
Lketinga hingegen sei neu hier, er sei erst vor einem Monat angekommen und spreche deshalb fast noch kein Wort Englisch.
Wir fotografieren, und jedesmal, wenn ich in Lketingas N"ahe komme, zieht er mich k"orperlich sp"urbar an. Ich muss mich zusammenreissen, damit ich ihn nicht ber"uhre.
Wir trinken den Tee, der ausgezeichnet schmeckt, aber verdammt heiss ist. Wir verbrennen uns beinahe die Finger an den Emailletassen.
Es beginnt, rasch dunkel zu werden, und Marco sagt: „Komm jetzt, wir m"ussen langsam zur"uck.“ Wir verabschieden uns von Priscilla und tauschen, mit dem Versprechen zu schreiben, unsere Adressen aus. Schweren Herzens trabe ich hinter Marco und Lketinga zur"uck. Vor dem Hotel fragt er: „Tomorrow Christmas, you come again to Bush-Baby?“