Die weisse Massai
Шрифт:
Langsam beginne ich durchzudrehen. Wir waren den ganzen Morgen unterwegs, und vor einer halben Stunde fuhr er an uns vorbei, in der gr"unen Minna. Edy schaut mich ratlos an. Wir sollten besser ins Hotel gehen, er werde es morgen wieder versuchen, er wisse jetzt, wo Lketinga sei. Ich k"onne ihm ja das Geld geben, er werde ihn ausl"osen.
Ich muss nicht lange "uberlegen und bitte Edy, noch einmal mit mir zur Nordk"uste zu fahren. Er ist nicht begeistert, aber er kommt mit. Schweigend fahren wir den langen Weg zur"uck, und st"andig frage ich mich, warum, Corinne, warum tust du das? Was wil ich Lketinga "uberhaupt sagen? Ich weiss es nicht, ich werde einfach von dieser unheimlichen Kraft weitergetrieben.
Kurz vor sechs Uhr erreichen wir erneut das Gef"angnis an der Nordk"uste. Es steht noch derselbe bewaffnete Mann dort. Er erkennt uns und berichtet, dass Lketinga vor etwa zweieinhalb Stunden angekommen sei. Jetzt bin ich v"ol ig wach. Edy erkl"art, wir wollten den Massai herausholen. Der W"achter sch"uttelt den Kopf und meint, vor Silvester gehe das nicht, da der Gefangene noch keine Verhandlung gehabt habe und der Chef des Gef"angnisses bis dahin in Ferien sei.
Mit allem habe ich gerechnet, damit aber nicht. Selbst mit Geld ist Lketinga nicht freizubekommen. Mit M"uh und Not bringe ich den W"achter soweit, mir zumindest zu erlauben, Lketinga f"ur zehn Minuten zu sehen, da er verstanden hat, dass ich morgen abfliege. Und dann kommt er strahlend heraus auf das Gel"ande. Ich erschrecke zutiefst.
Er tr"agt keinen Schmuck mehr, hat die Haare in ein schmutziges Tuch gewickelt und stinkt f"urchterlich. Dennoch scheint er sich zu freuen und wundert sich nur, warum ich ohne Marco hier bin. Ich k"onnte schreien, der merkt auch gar nichts! Ich sage ihm, dass wir morgen nach Hause fliegen, ich aber so schnell wie m"oglich wiederkommen werde. Ich schreibe ihm meine Adresse auf und bitte ihn um seine.
Nur z"ogernd schreibt er m"uhsam seinen Namen und die P. O. Box auf. Ich kann ihm gerade noch das Geld zustecken, und schon nimmt ihn der W"arter wieder mit. Beim Weggehen schaut er zur"uck, bedankt sich und sagt, ich solle Marco gr"ussen.
Langsam gehen wir zur"uck und warten in der einfal enden Dunkelheit auf einen Bus. Erst jetzt merke ich, wie ersch"opft ich bin, heule pl"otzlich los und kann nicht mehr aufh"oren. Im "uberf"ul ten Matatu starren alle die weinende Weisse mit dem Massai an. Mir ist es egal, ich will am liebsten sterben.
Es ist bereits nach 20 Uhr, als wir die Likoni-F"ahre erreichen. Marco f"allt mir wieder ein, und ich bekomme Schuldgef"uhle, weil ich seit mehr als sechs Stunden "uber die vereinbarte Zeit hinaus verschwunden bin.
W"ahrend wir auf die F"ahre warten, sagt Edy: „No bus, no Matatu to Diani-Beach.“
Ich glaube, mich verh"ort zu haben. „Ab 20 Uhr fahren keine "offentlichen Busse mehr bis zum Hotel.“ Das kann nicht wahr sein! Wir stehen im Dunkeln bei der F"ahre, und dr"uben geht es nicht weiter. Ich gehe die wartenden Autos ab, ob sich unter den Insassen Weisse befinden. Zwei heimkehrende Safari-Busse sind dabei. Ich klopfe an die Scheibe und frage, ob ich mitfahren kann. Der Fahrer verneint, er d"urfe keine Fremden aufnehmen. Die Insassen sind Inder, die ohnehin schon al e Pl"atze belegt haben. Im letzten Moment f"ahrt ein Auto auf die Rampe, und ich habe Gl"uck. Zwei italienische Nonnen, denen ich mein Problem erkl"aren kann, sitzen darin. Angesichts meiner Situation sind sie bereit, mich und Edy zum Hotel zu bringen.
Eine dreiviertel Stunde fahren wir durch die Dunkelheit, und ich bekomme Angst vor Marco. Wie wird er reagieren? Selbst wenn er mir eine Ohrfeige verpasst, w"urde ich das verstehen, er w"are v"ollig im Recht. Ja, ich hoffe sogar, dass er soweit geht und ich dadurch vielleicht wieder zu mir komme. Immer noch begreife ich nicht, was in mich gefahren ist und warum ich die Kontrolle "uber jegliche Vernunft verloren habe. Ich merke nur, dass ich so m"ude bin wie nie in meinem Leben zuvor und das erste Mal grosse Angst empfinde, vor Marco und vor mir selbst.
Beim Hotel verabschiede ich mich von Edy und stehe kurz darauf vor Marco. Er schaut mich traurig an, kein Geschrei, keine langen Worte, nur dieser Blick. Ich fal e ihm um den Hals und weine schon wieder. Marco f"uhrt mich in unser H"auschen und spricht beruhigend auf mich ein. Mit allem habe ich gerechnet, nur nicht mit einem so liebevol en Empfang. Er sagt nur: „Corinne, es ist al es gut. Ich bin so froh, dass du "uberhaupt noch lebst. Ich wollte gerade zur Polizei gehen und eine Vermisstenmeldung aufgeben. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben und gedacht, dich nicht mehr zu sehen. Soll ich dir etwas zu essen holen?“ Ohne meine Antwort abzuwarten, geht er und kommt mit einem beladenen Teller zur"uck. Es sieht k"ostlich aus, und ihm zuliebe esse ich, soviel ich kann. Erst nach dem Essen fragt er:
„Und, hast du ihn wenigstens gefunden?“ „Ja“, antworte ich und berichte ihm al es. Er schaut mich an und meint: „Du bist eine verr"uckte, aber sehr starke Frau. Wenn du etwas wil st, gibst du nicht auf, nur warum kann nicht ich den Platz dieses Massai einnehmen?“ Eben das weiss ich nicht. Ich kann mir auch nicht erkl"aren, welches magische Geheimnis diesen Mann umgibt. H"atte mir jemand vor zwei Wochen gesagt, ich w"urde mich in einen Massai-Krieger verlieben, ich h"atte ihn ausgelacht.
Nun stehe ich vor einem riesengrossen Chaos.
W"ahrend des Heimflugs fragt Marco: „Wie soll es nun weitergehen mit uns, Corinne? Es liegt an dir.“ Es f"allt mir schwer, Marco das Ausmass meiner Verwirrung deutlich zu machen. „Ich suche mir so schnel wie m"oglich eine eigene Wohnung, auch wenn es nicht f"ur sehr lange sein wird, denn ich will wieder nach Kenia, vielleicht f"ur immer“, antworte ich. Marco sch"uttelt nur traurig den Kopf.
Ein langes halbes Jahr
Bis ich endlich eine neue Wohnung oberhalb von Biel finde, vergehen zwei Monate. Der Umzug ist einfach, da ich nur meine Kleider mitnehme und einige pers"onliche Sachen, den Rest "uberlasse ich Marco. Am schwersten f"allt es mir, meine zwei Katzen zur"uckzulassen. Aber angesichts der Tatsache, dass ich sowieso weggehe, gibt es nur diese L"osung. Mein Gesch"aft betreibe ich weiterhin, aber mit weniger Engagement, weil ich st"andig von Kenia tr"aume. Ich besorge mir alles, was ich finden kann "uber dieses Land, auch dessen Musik. Von fr"uh bis sp"at h"ore ich im Gesch"aft Suaheli-Songs. Meine Kunden merken nat"urlich, dass ich nicht mehr so aufmerksam bin, doch erz"ahlen kann und mag ich nicht.
T"aglich warte ich auf Post. Dann endlich, nach fast drei Monaten, bekomme ich Nachricht. Nicht von Lketinga, daf"ur von Priscilla. Sie schreibt viel Belangloses.
Immerhin erfahre ich, dass Lketinga drei Tage, nachdem wir abgereist waren, freigelassen wurde. Noch am gleichen Tag schreibe ich an die Adresse, die ich von Lketinga bekommen habe, und berichte von meinem Vorhaben, im Juni oder Juli wieder nach Kenia zu fahren, diesmal jedoch allein.
Ein weiterer Monat verstreicht, und endlich erhalte ich einen Brief von Lketinga. Er bedankt sich f"ur meine Hilfe und w"urde sich sehr freuen, wenn ich sein Land wieder besuchen w"urde. Am selben Tag st"urme ich in das n"achste Reiseb"uro und buche f"ur drei Wochen im Juli im selben Hotel.