Die weisse Massai
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Ich strahle Lketinga an, und bevor Marco antworten kann, sage ich „Yes!“
Morgen ist unser drittletzter Tag, und ich habe mir vorgenommen, meinem Massai mitzuteilen, dass ich Marco nach den Ferien verlassen werde. Neben dem, was ich f"ur Lketinga empfinde, erscheint mir al es andere, was vorher war, l"acherlich. Ich will ihm das morgen irgendwie klarmachen und ihm auch sagen, dass ich bald al ein zur"uckkommen werde. Nur einmal denke ich kurz dar"uber nach, was er f"ur mich empfindet, doch sofort gebe ich mir selbst die Antwort. Er muss einfach genauso empfinden wie ich!
Heute ist Weihnachten. Bei vierzig Grad im Schatten ist hier von weihnachtlicher Stimmung al erdings nichts zu sp"uren. Ich mache mich f"ur den Abend so sch"on wie m"oglich und ziehe mein bestes Ferienkleid an. An unserem Tisch haben wir zum Fest Champagner bestellt, der teuer ist, daf"ur um so schlechter und viel zu warm serviert. Um zehn Uhr ist von Lketinga und seinen Freunden noch nichts zu sehen.
Was ist, wenn er ausgerechnet heute nicht kommt? Wir sind nur noch morgen hier, und tags darauf geht es in aller Fr"uhe zum Flughafen. Erwartungsvoll starre ich zur T"ur und hoffe inst"andig, dass er kommen wird. Da taucht ein Massai auf. Er schaut sich um und kommt z"ogernd auf uns zu. „Hello“, begr"usst er uns und fragt, ob wir die Weissen seien, die mit Lketinga verabredet sind. Ich habe einen Klumpen im Hals und bekomme einen Schweissausbruch, w"ahrend wir nicken. Er berichtet uns, Lketinga sei am Nachmittag am Strand gewesen, was normalerweise f"ur Einheimische verboten ist. Dort wurde er von anderen Schwarzen wegen seiner Haare und seiner Kleidung geh"anselt. Als stolzer Krieger wehrte er sich seiner Haut und schlug mit seinem Rungu, dem Schlagstock, auf seine Gegner ein. Die Strandpolizei nahm ihn kurzerhand mit, weil sie seine Sprache nicht verstanden. Jetzt sei er irgendwo in einem Gef"angnis zwischen der S"ud- und Nordk"uste. Er sei hier, um uns das mitzuteilen, und w"unsche uns im Namen von Lketinga eine gute Heimreise.
Marco "ubersetzt, und als ich begreife, was geschehen ist, st"urzt f"ur mich eine Welt zusammen. Nur mit gr"osster Anstrengung kann ich die Tr"anen der Entt"auschung zur"uckhalten. Ich flehe Marco an: „Frag, was wir tun k"onnen, wir sind nur noch morgen hier!“ Er antwortet k"uhl: „Das ist hier eben so, wir k"onnen nichts machen, und ich bin froh, wenn wir endlich zu Hause sind.“ Ich lasse nicht locker: „Edy“, so heisst der Massai, „k"onnen wir ihn suchen?“ Ja, er sammle heute abend bei den anderen Massai Geld und morgen um zehn Uhr fahre er los und versuche, ihn zu finden. Es sei schwierig, weil man nicht wisse, in welches der f"unf Gef"angnisse er gebracht worden sei.
Ich bitte Marco darum, dass wir mitgehen, er habe uns ja schliesslich auch geholfen.
Nach l"angerem Hin und Her wil igt er ein, und wir verabreden uns mit Edy um zehn Uhr vor dem Hotel. Die ganze Nacht kann ich nicht schlafen. Ich weiss immer noch nicht, was in mich gefahren ist. Ich weiss nur, dass ich Lketinga wiedersehen will, ja muss, bevor ich in die Schweiz zur"uckfliege.
Auf der Suche
Marco hat es sich anders "uberlegt und bleibt im Hotel. Er versucht noch, mir das Vorhaben auszureden, aber gegen diese Kraft, die mir sagt, ich muss gehen, kommen al e gutgemeinten Ratschl"age nicht an. So lasse ich ihn zur"uck und verspreche, gegen zwei Uhr wieder da zu sein. Edy und ich fahren in Richtung Mombasa mit dem Matatu. Diese Art von Taxi benutze ich zum ersten Mal. Es ist ein kleiner Bus mit zirka acht Sitzpl"atzen. Als er h"alt, befinden sich bereits dreizehn Leute darin, dichtgedr"angt zwischen ihrem Gep"ack. Der Kontrolleur h"angt draussen am Fahrzeug. Ich schaue ratlos in das Gew"uhl. „Go, go in!“ sagt Edy, und ich klettere "uber Taschen und Beine und halte mich in geb"uckter Haltung fest, damit ich in den Kurven nicht auf die anderen falle.
Gott sei Dank steigen wir nach etwa f"unfzehn Kilometern aus. Wir sind in Ukunda, dem ersten gr"osseren Dorf, das ein Gef"angnis hat. Gemeinsam gehen wir hinein.
Noch bevor ich einen Fuss "uber die Schwelle gesetzt habe, h"alt uns ein bulliger Typ auf. Fragend sehe ich Edy an. Er verhandelt, und nach etlichen Minuten, nachdem ich angewiesen wurde, stehenzubleiben, "offnet der Typ eine T"ur hinter sich. Da es im Inneren dunkel ist und ich draussen in der Sonne stehe, kann ich nicht viel erkennen.
Daf"ur schl"agt uns ein so schrecklicher Gestank entgegen, dass ich Brechreiz versp"ure. Der Dicke schreit etwas in das dunkle Loch, und nach ein paar Sekunden erscheint ein Mensch, der v"ol ig verwahrlost aussieht. Es ist anscheinend ein Massai, doch ohne Schmuck. Ich sch"uttle erschreckt den Kopf und frage Edy: „Ist nur dieser Massai hier?“ Offensichtlich ist es so, und der Gefangene wird zur"uckgestossen zu den anderen, die am Boden kauern. Wir gehen, und Edy sagt: „Komm, wir nehmen noch mal ein Matatu, die sind schneller als die grossen Busse, und suchen in Mombasa weiter.“
Wieder geht es hin"uber mit der Likoni-F"ahre und weiter mit dem n"achsten Bus an den Stadtrand zum dortigen Gef"angnis. Es ist wesentlich gr"osser als das letzte. Auch hier werde ich als Weisse grimmig angeschaut. Der Mann hinter der Barriere nimmt keine Notiz von uns. Er liest gelangweilt in seiner Zeitung, und wir stehen ratlos herum. Ich stupse Edy an: „Frag doch mal!“ Nichts passiert, bis Edy mir erkl"art, ich solle diesem Kerl unauff"allig einige Kenia-Schillinge hinlegen. Aber wieviel? Ich habe in meinem Leben noch nie jemanden bestechen m"ussen. Also lege ich 100 Kenia-Schillinge hin, was etwa zehn Franken entspricht. Scheinbar achtlos streicht er das Geld ein und schaut uns endlich an. Nein, in letzter Zeit sei kein Massai namens Lketinga eingeliefert worden. Es seien zwei Massai hier, aber die seien viel kleiner als der Beschriebene. Ich will sie trotzdem sehen, denn vielleicht t"auscht er sich ja, und das Geld hat er bereits genommen. Mit einem finsteren Blick auf mich erhebt er sich und sperrt eine T"ur auf.
Was ich hier sehe, schockiert mich. In einem Raum ohne Fenster hocken zusammengepfercht mehrere Personen, die einen auf Pappkartons, die anderen auf Zeitungen oder direkt auf dem Betonboden. Durch den Lichtstrahl geblendet, halten sie sich die H"ande vor die Augen. Nur ein kleiner Gang zwischen den kauernden Menschen ist frei. Im n"achsten Augenblick sehe ich auch, warum, denn ein Angestel ter kommt, um einen K"ubel mit „Essen“ hineinzusch"utten, direkt auf den Betongang. Es ist unfassbar, so f"uttert man bestenfalls Schweine! Bei dem Wort Massai kommen zwei M"anner heraus, aber keiner von beiden ist Lketinga. Ich bin entmutigt. Was erwartet mich "uberhaupt, wenn ich ihn finde?
Wir fahren in die Innenstadt, nehmen ein anderes Matatu und rumpeln zirka eine Stunde zur Nordk"uste. Edy beruhigt mich und meint, hier m"usse er sein. Doch wir kommen gar nicht erst bis zum Eingang. Ein bewaffneter Polizist fragt, was wir wollen. Edy erkl"art unser Anliegen, doch der andere sch"uttelt den Kopf, seit zwei Tagen h"atten sie keinen Neuen bekommen. Wir verlassen den Ort, und ich bin v"ollig ratlos.
Edy sagt, es sei bereits sp"at, wenn ich um zwei Uhr zur"uck sein wolle, m"ussten wir uns beeilen. Ich wil aber nicht ins Hotel. Nur noch heute habe ich Zeit, Lketinga zu finden. Edy schl"agt vor, wir sol ten noch mal beim ersten Gef"angnis nachfragen, weil die Insassen oft verlegt werden. Also fahren wir in der br"utenden Hitze wieder zur"uck nach Mombasa.
Als sich unsere F"ahre mit einer entgegenkommenden kreuzt, sehe ich, dass sich auf dem anderen Schiff fast keine Menschen, sondern nur Fahrzeuge befinden, wovon eines besonders hervorsticht. Es ist knallgr"un und vergittert. Edy sagt, dies sei der Gefangenentransporter. Mir wird "ubel beim Gedanken an diese armen Gesch"opfe, aber weiter denke ich nicht. Ich bin m"ude, durstig und total verschwitzt.
Um 14.30 Uhr sind wir wieder in Ukunda.
Vor dem Gef"angnis steht jetzt ein anderer W"achter, der wesentlich freundlicher wirkt. Edy erkl"art nochmals, wen wir suchen, und es wird lebhaft diskutiert. Ich verstehe nichts. „Edy, was ist los?“ Er erkl"art mir, Lketinga sei vor einer knappen Stunde an die Nordk"uste, von der wir gerade kommen, gebracht worden. Er sei in Kwale gewesen, dann kurz hier und jetzt auf dem Weg zu dem Gef"angnis, in dem er bis zu seiner Verhandlung bleiben m"usse.