Die weisse Massai
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Wo die Ziege gekocht oder gebraten wird, weiss ich nicht. Um so "uberraschter bin ich, als mir ein ganzes Vorderbein und dazu ein riesiges Buschmesser gereicht werden. Priscilla bekommt das andere Bein. „Priscil a“, sage ich, „ich habe nicht soviel Hunger, ich kann das unm"oglich alles essen!“ Sie lacht und meint, den Rest nehmen wir mit und essen morgen weiter. Die Vorstellung, zum Fr"uhst"uck bereits wieder an diesem Bein knabbern zu m"ussen, behagt mir nicht. Aber ich bewahre Haltung und esse wenigstens etwas, wobei ich allerdings wegen meines geringen Hungers bald ausgelacht werde.
Da ich hundem"ude bin und mein R"ucken extrem schmerzt, m"ochte ich wissen, wo wir schlafen k"onnen. Wir bekommen eine schmale Pritsche, auf der wir zu zweit schlafen sol en. Wasser zum Waschen ist weit und breit nicht zu sehen, und ohne Feuer ist es im Raum enorm kalt. Zum Schlafen ziehe ich mir den Pulli und eine d"unne Jacke an. Ich bin sogar froh, dass Priscilla sich neben mich quetscht, denn so ist es etwas w"armer. Mitten in der Nacht erwache ich, sp"ure ein Jucken und merke, dass diverse Tierchen an mir hoch- und runterkriechen. Ich m"ochte von der Pritsche springen, aber es ist stockfinster und bitterkalt. Mir bleibt nichts anderes "ubrig, als so bis zum Morgen zu verharren. Beim ersten Lichtstrahl wecke ich Priscil a und zeige ihr meine Beine. Sie sind "ubers"at mit roten Bisswunden, wahrscheinlich von Fl"ohen.
Viel "andern k"onnen wir nicht, denn Kleider zum Wechseln habe ich nicht. Ich m"ochte mich wenigstens waschen, aber als ich nach draussen gehe, bin ich verbl"ufft. Das ganze Gebiet ist in Nebel geh"ul t, und Reif liegt auf den saftigen Wiesen. Man k"onnte meinen, bei einem Bauern im Jura zu sein.
Heute ziehen wir weiter, um Priscillas Mutter und ihre Kinder zu besuchen. Wir marschieren "uber H"ugel und Felder und treffen ab und zu Kinder oder "altere Menschen. W"ahrend die Kinder Abstand zu mir wahren, m"ochten mich die meisten "alteren Leute, vorwiegend Frauen, ber"uhren. Einige halten lange meine Hand und murmeln etwas, was ich nat"urlich nicht verstehe. Priscil a sagt, die meisten dieser Frauen h"atten noch nie eine Weisse gesehen, geschweige denn ber"uhrt. So kommt es vor, dass w"ahrend des H"andedr"uckens noch darauf gespuckt wird, was eine besondere Ehre sein soll.
Nach etwa drei Stunden erreichen wir die H"utte, in der Priscil as Mutter lebt. Sofort st"urzen uns Kinder entgegen und kleben an Priscilla. Ihre Mutter, noch rundlicher als Priscil a, sitzt am Boden und w"ascht Kleider. Die beiden haben sich nat"urlich viel zu erz"ahlen, und ich versuche wenigstens, einen Teil zu erahnen.
Diese H"utte ist die bescheidenste, die ich bisher gesehen habe. Sie ist ebenfalls rund und mit diversen Brettern, T"uchern und Plastik zusammengeflickt. Im Inneren kann ich kaum stehen, und die Feuerstelle in der Mitte erf"ul t den Raum mit beissendem Rauch. Ein Fenster gibt es nicht. Deshalb nehme ich den Tee im Freien ein, weil mir sonst laufend die Tr"anen herunterrol en und die Augen schmerzen.
Etwas beunruhigt frage ich Priscilla, ob wir hier n"achtigen m"ussen. Sie lacht: „No, Corinne, ein anderer Bruder wohnt etwa eine halbe Stunde entfernt in einem gr"osseren H"auschen. Da werden wir "ubernachten. Hier ist kein Platz, weil hier alle Kinder schlafen, und mehr als Milch und Mais gibt es nicht zu essen.“ Erleichtert atme ich auf.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit ziehen wir weiter zum n"achsten Bruder. Auch hier erwartet uns eine freudige Begr"ussung. Die Leute waren nicht informiert, dass Priscil a kommt und weissen Besuch mitbringt. Dieser Bruder ist mir sehr sympathisch. Endlich kann ich mich gut unterhalten. Auch seine Frau spricht etwas Englisch. Beide haben die Schule besucht.
Dann muss ich mir erneut eine Ziege aussuchen. Ich f"uhle mich hilflos, denn ich m"ochte nicht schon wieder das z"ahe Ziegenfleisch essen. Andererseits habe ich wirklich Hunger und wage zu fragen, ob es noch etwas anderes zu essen gibt, wir Weissen seien es nicht gewohnt, so viel Fleisch zu konsumieren.
Alle lachen, und seine Frau meint, ob ich lieber ein Huhn mit Kartoffeln und Gem"use m"ochte. Bei diesem herrlichen Men"uvorschlag antworte ich begeistert: „O
yes!“
Sie verschwindet und kommt bald darauf mit einem gerupften Huhn, Kartoffeln und einer Art Blattspinat zur"uck. Diese Massai sind richtige Bauern, haben zum Teil eine Schule besucht und arbeiten hart auf ihren Feldern. Wir Frauen essen gemeinsam mit den Kindern das wirklich gute Mahl. Es ist wie ein Eintopf und schmeckt nach all den gut gemeinten Fleischbergen wunderbar.
Wir bleiben fast eine Woche und machen unsere Besuche von hier aus. Sogar warmes Wasser wird f"ur mich zubereitet, damit ich mich waschen kann. Trotzdem sind unsere Kleider dreckig und stinken f"urchterlich nach Rauch. Langsam habe ich genug von diesem Leben und sehne mich nach dem Strand in Mombasa und meinem neuen Bett. Auf meinen Wunsch abzureisen entgegnet Priscilla, wir seien noch auf eine Hochzeitszeremonie eingeladen, die in zwei Tagen stattfindet, und so bleiben wir.
Die Hochzeit findet einige Kilometer entfernt statt. Einer der reichsten Massai soll dort seine dritte Frau heiraten. Ich bin "uberrascht, dass die Massai offensichtlich so viele Frauen heiraten d"urfen, wie sie ern"ahren k"onnen. Mir kommen dabei die Ger"uchte "uber Lketinga in den Sinn. Viel eicht ist er ja wirklich schon verheiratet?
Dieser Gedanke macht mich fast krank. Doch ich beruhige mich und denke, er h"atte mir das sicher erz"ahlt. Irgend etwas anderes steckt hinter seinem Verschwinden. Ich muss es herausfinden, sobald ich in Mombasa bin.
Die Zeremonie ist beeindruckend. Hunderte von M"annern und Frauen erscheinen.
Auch der stolze Br"autigam wird mir vorgestellt, der mir anbietet, wenn ich heiraten wolle, w"are er sofort bereit, auch mich zur Frau zu nehmen. Ich bin sprachlos. Zu Priscil a gewandt fragt er sie tats"achlich, wie viele K"uhe er f"ur mich bieten m"usse.
Priscil a aber wehrt ab, und er geht.
Dann erscheint die Braut, begleitet von den zwei ersten Frauen. Es ist ein wundersch"ones M"adchen, geschm"uckt von Kopf bis Fuss. "Uber ihr Alter bin ich schockiert, denn sie ist bestimmt nicht "alter als zw"olf oder dreizehn Jahre.
Die beiden anderen Ehefrauen sind vielleicht achtzehn oder zwanzig. Der Br"autigam selbst ist sicher auch nicht sehr alt, aber immerhin etwa f"unfunddreissig.
„Wieso“, frage ich Priscil a, „werden hier M"adchen verheiratet, die fast noch Kinder sind?“ Das sei eben so, sie selbst sei nicht viel "alter gewesen. Irgendwie empfinde ich Mitleid mit dem M"adchen, das zwar stolz, aber nicht gl"ucklich aussieht.
Wieder wandern meine Gedanken zu Lketinga. Ob er "uberhaupt weiss, dass ich siebenundzwanzig Jahre alt bin? Pl"otzlich f"uhle ich mich alt, verunsichert und nicht mehr besonders attraktiv in meinen schmutzigen Kleidern. Die zahlreichen Angebote von verschiedenen M"annern, die "uber Priscilla auf mich zukommen, k"onnen dieses Gef"uhl nicht mindern. Mir gef"allt keiner, und in Bezug auf einen m"oglichen Ehemann existiert in meinen Gedanken nur Lketinga. Ich will nach Hause, nach Mombasa.
Vielleicht ist er in der Zwischenzeit gekommen. Immerhin bin ich schon fast einen Monat in Kenia.