Die weisse Massai
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W"ahrend mich die M"adchen, alle sehr jung und sch"on geschm"uckt, nur schnell mit einem neugierigen Blick streifen und dann verlegen kichern, starren mich die Krieger l"anger an. Es wird geredet, wohl meistens "uber mich. Mir ist das etwas unangenehm, da ich nicht deuten kann, was hier abl"auft. Ich kann es kaum erwarten, dass es endlich Abend wird.
Auf dem Markt kauft Lketinga sich ein Plastikbeutelchen mit rotem Farbpulver. Er zeigt dabei auf seine Haare und seine Kriegsbemalung. An einem anderen Stand verkauft jemand gr"une Stengelchen mit Bl"attern daran. Sie sind zusammengebunden zu B"undeln von etwa zwanzig Zentimetern L"ange. Hier herrscht richtiges Gez"ank zwischen f"unf oder sechs M"annern, die das Zeug begutachten.
Auch Lketinga steuert auf diesen Stand zu. Schon nimmt der Verk"aufer Zeitungspapier und wickelt zwei B"undel ein. Lketinga zahlt einen stattlichen Preis daf"ur und l"asst das Paket schnel unter seinem Kanga verschwinden. Auf dem Weg zum Lodging kauft er mindestens zehn Kaugummis. Erst im Zimmer frage ich nach diesem Kraut. Er strahlt mich an: „Miraa, it's very good. You eat this, no sleeping!“
Er packt alles aus, nimmt den Kaugummi in den Mund und entfernt die Bl"atter von den Stielen. Mit den Z"ahnen sch"alt er die Rinde von den Stengeln und kaut sie zusammen mit dem Kaugummi. Fasziniert sehe ich ihm zu, wie elegant er das wiederholt mit seinen sch"onen, schlanken H"anden. Auch ich probiere davon, spucke es aber gleich wieder aus, es schmeckt mir viel zu bitter. Ich lege mich aufs Bett, betrachte ihn, halte seine Hand und bin gl"ucklich. Die ganze Welt k"onnte ich umarmen. Ich bin am Ziel. Ihn, meine grosse Liebe, habe ich wiedergefunden.
Morgen fr"uh fahren wir nach Mombasa, und ein herrliches Leben wird beginnen.
Ich muss eingeschlafen sein. Als ich wieder erwache, sitzt Lketinga immer noch da und kaut und kaut. Auf dem Boden sieht es mittlerweile w"ust aus. "Uberal liegen Bl"atter, abgesch"alte Stengel und ausgespuckte gr"une, zerkaute Klumpen. Er schaut mich mit leicht starrem Blick an und streicht mir "uber den Kopf: „No problem, Corinne, you tired, you sleep. Tomorrow Safari.“ „And you“, frage ich, „you not tired?“
Nein, erwidert er, vor einer so grossen Reise k"onne er nicht schlafen, deshalb esse er Miraa.
Wie er das sagt, vermute ich, dass dieses Miraa so etwas wie „Mut antrinken“ sein muss, denn Alkohol darf ein Krieger nicht trinken. Ich verstehe, dass er Mut braucht, weil er nicht weiss, was auf uns zukommt und seine Erfahrungen in Mombasa nicht die besten waren. Hier ist seine Welt, und Mombasa ist zwar Kenia, aber eben nicht sein Stammesgebiet. Ich werde ihm schon helfen, denke ich und schlafe wieder ein.
Am n"achsten Morgen m"ussen wir fr"uh los, um im einzigen Bus, der nach Nyahururu f"ahrt, noch Platz zu bekommen. Da Lketinga nicht geschlafen hat, ist dies kein Problem. Ich staune, wie fit er ist und wie spontan er ohne jegliches Gep"ack, nur mit seinem Schmuck und H"ufttuch bekleidet, seinen Schlagstock in der Hand, eine so weite Reise antreten kann.
Die erste Etappe liegt vor uns. Lketinga hat das restliche Kraut verstaut und kaut nur noch auf demselben Klumpen herum. Er ist schweigsam. "Uberhaupt herrscht nicht die gleiche Lebhaftigkeit im Bus wie damals, als Jutta und ich hierher fuhren.
Wieder schaukelt der Bus durch tausend Schlagl"ocher. Lketinga hat seinen zweiten Kanga "uber den Kopf gezogen, nur die Augen stechen noch hervor. So sind seine sch"onen Haare vor Staub gesch"utzt. Ich halte mir ein Taschentuch vor Nase und Mund, damit ich einigermassen atmen kann. Etwa auf halber Strecke st"osst mich Lketinga an und zeigt auf einen grauen, langen H"ugel. Erst beim genauen Hinsehen erkenne ich, dass dies Hunderte von Elefanten sind. Dieses Bild ist gigantisch. Soweit das Auge reicht, ziehen diese Kolosse gem"utlich dahin, zwischen ihnen erkennt man Elefantenkinder. Im Bus herrscht wildes Geschnatter. Alle schauen dem Elefantenzug nach. Wie ich erfahre, sieht man so etwas nur ganz selten.
Endlich ist das erste Ziel erreicht, um die Mittagszeit sind wir in Nyaharuru. Wir gehen Chai trinken und essen einen Brotfladen. Eine halbe Stunde sp"ater f"ahrt schon der n"achste Bus nach Nairobi, wo wir gegen Abend eintreffen. Ich schlage Lketinga vor, hier zu "ubernachten und am Morgen den Bus nach Mombasa zu nehmen. Er wil nicht in Nairobi bleiben, die Lodgings seien viel zu teuer. Da ich ja alles finanziere, finde ich es r"uhrend und versichere ihm, dass dies kein Problem sei.
Er meint jedoch, Nairobi sei gef"ahrlich und es gebe viel Polizei. Obwohl wir seit sieben Uhr morgens unentwegt im Bus sitzen, will er die l"angste Strecke ohne Unterbrechung weiterfahren. Doch weil ich merke, wie unselbst"andig er sich in Nairobi bewegt, willige ich ein.
Wir gehen kurz etwas trinken und essen. Ich bin froh, dass er nun wenigstens mit mir isst, obwohl er seinen Kanga tief ins Gesicht zieht, damit man ihn nicht erkennt.
Der Busbahnhof ist nicht weit entfernt, und wir gehen die wenigen hundert Meter zu Fuss. Hier in Nairobi schauen sogar die Einheimischen komisch hinter Lketinga her, teils belustigt, teils ehrf"urchtig. Er passt nicht in diese hektische, moderne Stadt. Als mir das bewusst wird, bin ich froh, dass es mit dem Pass nicht geklappt hat.
Endlich haben wir einen der begehrten Nachtbusse bekommen und warten auf die Weiterfahrt. Lketinga holt wieder Miraa hervor und kaut. Ich versuche mich zu entspannen, weil mein ganzer K"orper schmerzt. Nur meinem Herzen geht es gut.
Nach vier Stunden, in denen ich mehr oder weniger ged"ost habe, h"alt der Bus in Voi.
Die meisten, auch ich, steigen aus, um ihre Notdurft zu verrichten. Doch als ich das verschissene WC–Loch ersp"ahe, warte ich lieber weitere vier Stunden. Mit zwei Flaschen Cola besteige ich den Bus. Nach einer halben Stunde geht die Reise weiter. Diesmal kann ich nicht mehr einschlafen. Wir rasen auf der schnurgeraden Strecke durch die Nacht. Ab und zu begegnen wir einem Bus, der in die andere Richtung f"ahrt. Autos sieht man nahezu keine.
Zweimal passieren wir eine Polizeisperre. Der Bus muss anhalten, da auf der Fahrbahn Holzbalken mit langen N"ageln liegen. Dann l"auft auf jeder Seite ein Polizist mit Maschinenpistole bewaffnet den Bus entlang und leuchtet mit einer Taschenlampe in jedes Gesicht. Nach f"unf Minuten geht die n"achtliche Fahrt weiter.
Ich weiss bald nicht mehr, wie ich sitzen sol, als ich ein Schild „245 Kilometer bis Mombasa“ erblicke. Gott sei Dank, jetzt ist es nicht mehr so weit bis nach Hause.