Lauert
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Riley konnte Heidi Wrights tote Augen in den Schneefall starren sehen und war nicht in der Lage ihre Schuldgef"uhle abzusch"utteln. Sie wusste, dass es irrational war, aber sie sp"urte nicht, dass sie gerade irgendjemandes Zuneigung verdiente.
„Was kann ich tun?“, fragte Ryan.
„Nichts“, antwortete sie. „Bleib einfach hier bei mir sitzen.“
Sie sassen schweigend da und Riley war dankbar f"ur Ryans Anwesenheit. Die letzten Monate "uber hatten sie ihre Differenzen gehabt, aber in diesem Moment erschien er ihr als genau der gutaussehende, aufrichtige und r"ucksichtsvolle junge Mann, in den sie sich in ihrem letzten Semester an der Universit"at verliebt hatte.
In der Zwischenzeit ging sie in Gedanken immer wieder das durch, was passiert war, seitdem sie Heidi erschossen hatte. Es war alles wie im Traum und w"ahrend ihres Fluges zur"uck nach Quantico hatte Agent Crivaro ihr immer wieder gesagt, dass sie im Zustand des Schocks war.
Ich nehme an, das bin ich immer noch, dachte sie.
Sie hatte immer noch alle physischen Symptome des Schocks, einschliesslich kalter, schwitzender H"ande und eines Zustandes von immer wiederkehrendem Schwindel und Verwirrung.
Wie lange w"urde es dauern, bis diese Symptome verschwanden?
Mit emotionsloser und monotoner Stimme, die selbst ihr merkw"urdig vorkam, hatte sie Ryan soeben den gesamten Vorfall geschildert. Sie konnte sich gerade noch davor zur"uckhalten, die Ereignisse nicht aus der dritten Person Perspektive zu erz"ahlen. Es war schwierig gewesen das Wort „ich“ zu verwenden, als sie "uber ihre eigenen Handlungen sprach. Sie wollte die ganze Zeit daran glauben, dass diese ganze Sache jemand anderem passiert war.
Als sie fertig war, hatte Ryan mit einer sanften Stimme gesagt: „Eine Sache verstehe ich immer noch nicht. Ich nehme an, dass es irgendwie Sinn gemacht hat, dass Heidi so getan hat, dass sie die Geisel war, zumindest f"ur einige Momente. Es war ein verzweifelter Bluff. Aber wieso ist sie direkt auf den Parkplatz gekommen? Wieso hat sie versucht...?“
Ryan verstummte, aber sie wusste, welche Worte er nicht auszusprechen wagte.
„Wieso hat sie versucht, dich umzubringen?“
Riley erinnerte sich an den Moment, als das M"adchen im Eingang des Motelzimmers gestanden hatte, bevor sie die fatalen Schritte auf den Parkplatz machte, und wie sie Orins unverst"andlichen Protest vernommen hatte.
Sie sagte zu Ryan: „Orin wollte nicht, dass sie da raus geht. Er hatte versucht, sie zu "uberreden. Aber ich nehme an, sie dachte... sie hatte begriffen... dass es vorbei war. Sie wollte ihren Abgang machen...“
Ihre eigene Stimme verhallte nun, als ein dummes Clich'e ihr auf der Zunge lag.
„...mit Pauken und Trompeten.“
Ryan sch"uttelte den Kopf.
„Ich kann mir nicht vorstellen, wie du dich f"uhlen musst“, sagte er. „Aber meine G"ute, Riley, sie und ihr Freund haben sechs Menschen ermordet. Du kannst nicht sagen, dass sie das, was mit ihr passiert ist, nicht verdient hat.“
Riley hatte das Gef"uhl, als w"are der Klang dieses Wortes wie eine Ohrfeige.
Verdient.
In diesem Moment f"uhlte sie sich selbst so schmerzlich unw"urdig von Ryan Aufmerksamkeit oder gar Zuneigung zu erhalten. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, zu denken, dass Heidi Wright verdient hatte, was Riley ihr angetan hatte.
Hat Ryan recht? dachte sie.
Sie dachte "uber das Wenige nach, was sie vom Leben des M"adchens wusste –– einem Leben von unvorstellbarer Grausamkeit und Missbrauchs, wie es aussah. Heidi und ihr Freund hatten ihren Amoklauf begonnen, als ihr eigener Vater und Bruder sie sexuell missbraucht hatten. Riley konnte Orin keinen Vorwurf daraus machen, dass er diese M"anner umgebracht hatte. Dann, nachdem das passiert war, mussten Orin und Heidi sich beide zu verzweifelt gef"uhlt haben, um zu begreifen, was sie taten.
Und auch zu jung, dachte Riley.
Erneut konnte Riley nicht anders, als an Heidis frisches, l"achelndes Gesicht zu denken, in dem Moment, als sie die Waffe auf Riley gerichtet hatte –– dem Moment vor ihrem eigenen Tod.
Riley murmelte laut: „Heidi war nur ein Kind, Ryan. Sie hat es nicht verdient, so zu sterben. Was sie verdient hatte, war ein besseres Leben, als das, in dem sie feststeckte.
Ryan sah Riley mit einem ungl"aubigen Blick an.
„Aber du hattest keine Wahl“, sagte er. „Wenn du nicht geschossen h"attest, w"arst du jetzt ganz bestimmt...“
Er verstummte erneut. Riley wusste, welches Wort er einfach nicht aussprechen konnte.
Tot.
„Ich weiss“, sagte Riley seufzend. „Das ist was Agent Crivaro mir auch immer wieder sagt. Er sagt, es w"are gerechtfertigt. Dass es sogar Einhaltung der Vorschrift war. Es war Selbstverteidigung, ein klarer Fall ‚unmittelbarer Gefahr des Todes oder ernsthafter K"orperverletzung‘.“
„Crivaro hat recht, Riley“, sagte Ryan. „Das weisst du bestimmt.“
„Ich weiss“, sagte Riley.
Und rational betrachtet wusste sie es auch wirklich. Doch auf irgendeiner grundlegenden Ebene konnte sie dieses Urteil einfach nicht akzeptieren. Sie hatte gerade das Gef"uhl von ihrem ganzen K"orper beschuldigt zu werden. Sie fragte sich, ob sie dieses Gef"uhl jemals "uberwinden w"urde.
Ryan ber"uhrte vorsichtig ihre Hand und Riley liess zu, dass er sie festhielt. Ryans Hand f"uhlte sich beinahe heiss an, gegen den kalten Schweiss auf ihrer Haut.