Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Mein Meister hatte heute den ganzen Vormittag hindurch in einem schweinsledernen Quartanten gelesen, als er sich endlich zur gewohnlichen Stunde entfernte, liess er das Buch aufgeschlagen auf dem Tische liegen. Schnell sprang ich herauf, um neugierig, erpicht auf die Wissenschaften, wie ich nun einmal bin, zu erschnuppern, was das wohl fur ein Buch sein konne, worin der Meister mit so vieler Anstrengung studiert. Es war das schone herrliche Werk des alten Johannes Kunisperger, vom naturlichen Einfluss der Gestirne, Planeten und zwolf Zeichen. Ja wohl, mit Recht kann ich das Werk schon und herrlich nennen, denn, indem ich las, gingen mir da nicht die Wunder meines Seins, meines Wandelns hienieden, auf in voller Klarheit? – Ha! indem ich dieses schreibe, flammt uber meinem Haupt das herrliche Gestirn, das in treuer Verwandtschaft in meine Seele herein, aus meiner Seele hinaus leuchtet – ja ich fuhle den gluhenden, sengenden Strahl des langgeschweiften Kometen auf meiner Stirne, – ja ich bin selbst der glanzende Schwanzstern, das himmlische Meteor, das in hoher Glorie prophetisch drauend durch die Welt zieht. So wie der Komet alle Sterne uberleuchtet, so verschwindet ihr – stell' ich nur nicht meine Gaben unter den Scheffel, sondern lasse mein Licht gehorig leuchten, und das dependiert ganz von mir – ja, so verschwindet ihr alle in finstre Nacht, ihr Kater, andere Tiere und Menschen! – Aber trotz der gottlichen Natur, die aus mir, dem geschwanzten Lichtgeist, herausstrahlt, teile ich doch nicht das Los aller Sterblichen? – Mein Herz ist gut, ich bin ein zu empfindsamer Kater, mochte mich gern gemutlich anschliessen den Schwachern, und gerate daruber in Trauer und Herzeleid. – Denn muss ich nicht uberall gewahren, dass ich allein stehe, wie in der tiefsten Einode, da ich nicht dem jetzigen Zeitalter, nein einem kunftigen der hohern Ausbildung angehore, da es keine einzige Seele gibt, die mich gehorig zu bewundern versteht? Und es macht mir doch so viel Freude, wenn ich tuchtig bewundert werde, selbst das Lob junger, gemeiner, ungebildeter Kater tut mir unbeschreiblich wohl. Ich weiss sie vor Erstaunen ausser sich zu setzen, aber was hilft's, sie konnen doch, bei aller Anstrengung, nicht den rechten Lobposaunenton treffen, schreien sie auch noch so sehr, Mau – Mau! – An die Nachwelt muss ich denken, die mich wurdigen wird. Schreib' ich jetzt ein philosophisches Werk, wer ist's, der die Tiefen meines Geistes durchdringt? Lass ich mich herab, ein Schauspiel zu dichten, wo sind die Schauspieler, die es aufzufuhren vermogen? Lass ich mich ein auf andere literarische Arbeiten; schreib' ich z. B. Kritiken, die mir schon deshalb anstehen, weil ich uber alles, was Dichter, Schriftsteller, Kunstler heisst, schwebe, mich gleich uberall selbst, als freilich unerreichbares Muster, als Ideal der Vollkommenheit hinstellen, deshalb auch allein ein kompetentes Urteil aussprechen kann, wer ist's, der sich auf meinen Standpunkt hinaufzuschwingen, meine Ansichten mit mir zu teilen vermag? – Gibt es denn Pfoten oder Hande, die mir den verdienten Lorbeerkranz auf die Stirne drucken konnten? – Doch dafur ist guter Rat vorhanden, das tue ich selbst, und lasse den die Krallen fuhlen, der sich etwa unterstehen mochte, an der Krone zu zupfen. – Es existieren wohl solche neidische Bestien, ich traume oft nur, dass ich von ihnen angegriffen werde, fahre, in der Einbildung, mich verteidigen zu mussen, mir selbst ins Gesicht mit meinen spitzen Waffen und verwunde klaglich das holde Antlitz. – Man wird auch wohl im edeln Selbstgefuhl etwas misstrauisch, aber es kann nicht anders sein. Hielt ich es doch neulich fur einen versteckten Angriff auf meine Tugend und Vortrefflichkeit, als der junge Ponto mit mehreren Pudeljunglingen auf der Strasse uber die neuesten Erscheinungen des Tages sprach, ohne meiner zu erwahnen, unerachtet ich doch kaum sechs Schritte von ihm an der Kellerluke meiner Heimat sass. Nicht wenig argerte es mich, dass der Fant, als ich ihm daruber Vorwurfe machte, behaupten wollte, er habe mich wirklich gar nicht bemerkt.
Doch es ist Zeit, dass ich Euch, mir verwandte Seelen einer schonern Nachwelt, – o ich wollte, diese Nachwelt befande sich schon mitten in der Gegenwart, und hatte gescheute Gedanken uber Murrs Grosse, und sprache diese Gedanken laut aus, mit so heller Stimme, dass man nichts anderes vernehmen konnte vor dem lauten Geschrei, – ja, dass Ihr etwas weiteres davon erfahrt, was sich mit Eurem Murr zutrug in seinen Junglingsjahren. Passt auf gute Seelen, ein merkwurdiger Lebenspunkt tritt ein. —
Des Marzen Idus war angebrochen, die schonen milden Strahlen der Fruhlingssonne fielen auf das Dach, und ein sanftes Feuer durchgluhte mein Inneres. Schon seit ein paar Tagen hatte mich eine unbeschreibliche Unruhe, eine unbekannte, wunderbare Sehnsucht geplagt, – jetzt wurde ich ruhiger, doch nur um bald in einen Zustand zu geraten, den ich niemals geahnt! —
Aus einer Dachluke, unfern von mir, stieg leis und linde ein Geschopf heraus, – o, dass ich es vermochte, die Holdeste zu malen! – Sie war ganz weiss gekleidet, nur ein kleines schwarzes Samtkappchen bedeckte die niedliche Stirn, so wie sie auch schwarze Strumpfchen an den zarten Beinen trug. Aus dem lieblichsten Grasgrun der schonsten Augen funkelte ein susses Feuer, die sanften Bewegungen der feingespitzten Ohren liessen ahnen, dass Tugend in ihr wohne und Verstand, so wie das wellenformige Ringeln des Schweifes hohe Anmut aussprach und weiblichen Zartsinn! —
Das holde Kind schien mich nicht zu erschauen, es blickte in die Sonne, blinzelte und nieste. – O der Ton durchbebte mein Innerstes mit sussen Schauern, meine Pulse schlugen – mein Blut wallte siedend durch alle Adern, – mein Herz wollte zerspringen, – alles unnennbar schmerzliche Entzucken, das mich ausser mir selbst setzte, stromte heraus in dem lang gehaltenen Miau! – das ich ausstiess. Schnell wandte die Kleine den Kopf nach mir, blickte mich an, Schreck, kindliche susse Scheu in den Augen. – Unsichtbare Pfoten rissen mich hin zu ihr mit unwiderstehlicher Gewalt – aber, sowie ich auf die Holde lossprang, um sie zu erfassen, war sie, schnell wie der Gedanke, hinter dem Schornstein verschwunden! – Ganz Wut und Verzweiflung rannte ich auf dem Dache umher, und stiess die klaglichsten Tone aus, alles umsonst – sie kam nicht wieder! – Ha welcher Zustand! – mir schmeckte kein Bissen, die Wissenschaften ekelten mich an, ich mochte weder lesen noch schreiben. –
Da ich nun wusste, dass es seine Richtigkeit hatte mit meinem Verliebtsein, kam Trost in meine Seele. Ich beschloss, mich gehorig mit Speis' und Trank zu starken, und dann die Kleine aufzusuchen, der ich mein ganzes Herz zugewandt. Eine susse Ahnung sagte mir, dass sie vor der Ture des Hauses sitze, ich stieg die Treppe hinab, und fand sie wirklich! – O welch ein Wiedersehen! – wie wallte in meiner Brust das Entzucken, die unnennbare Wonne des Liebesgefuhls. – Miesmies, so wurde die Kleine geheissen, wie ich von ihr spater erfuhr, Miesmies sass da in zierlicher Stellung auf den Hinterfussen, und putzte sich, indem sie mit den Pfotchen mehrmals uber die Wangen, uber die Ohren fuhr. Mit welcher unbeschreiblichen Anmut besorgte sie vor meinen Augen das, was Reinlichkeit und Eleganz erfordern, sie bedurfte nicht schnoder Toiletten-Kunste, um die Reize, die ihr die Natur verliehen, zu erhohen! Bescheidner als das erste Mal nahte ich mich ihr, setzte mich zu ihr hin! – Sie floh nicht, sie sah mich an mit forschendem Blick, und schlug dann die Augen nieder. –
Kaum konnt' ich mich aus den Krallen der mordlustigen Bestien retten, die meinen Stand nicht achteten; mit vollem Angstgeschrei lief ich die Treppe hinauf. Als der Meister mich erblickte, rief er, laut lachend:»Murr, Murr, wie siehst du aus? Ha ha! ich merke schon, was geschehen, du hast Streiche machen wollen, wie der im ›Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier‹, und dabei ist's dir ubel ergangen!«– Und dabei brach der Meister zu meinem nicht geringen Verdruss aufs neue aus in ein schallendes Gelachter. Der Meister hatte ein Gefass mit lauwarmem Wasser fullen lassen, darein stulpte er mich ohne Umstande einigemal ein, so dass mir vor Niesen und Prusten Horen und Sehen verging, wickelte mich dann fest in Flanell ein, und legte mich in meinen Korb.
Ich war beinahe besinnungslos vor Wut und Schmerz, ich vermochte kein Glied zu ruhren. Endlich wirkte die Warme wohltatig auf mich, ich fuhlte meine Gedanken sich ordnen.»Ha«, klagte ich,»welch neue bittere Tauschung des Lebens! – Das ist also die Liebe, die ich schon so herrlich besungen, die das Hochste sein, die uns mit namenloser Wonne erfullen, die uns in den Himmel tragen soll! – Ha! – mich hat sie in die Gosse geworfen! – ich entsage einem Gefuhl, das mir nichts eingebracht als Bisse, ein abscheuliches Bad, und niedertrachtige Einmummung in schnoden Flanell!«– Aber kaum war ich wieder in Freiheit und genesen, als aufs neue Miesmies mir unaufhorlich vor Augen stand, und ich, jener ausgestandenen Schmach wohl eingedenk, zu meinem Entsetzen gewahrte, dass ich noch in Liebe. Mit Gewalt nahm ich mich zusammen, und las als ein vernunftiger gelehrter Kater den Ovid nach, da ich mich wohl erinnerte, in der» Ars amandi «auch auf Rezepte gegen die Liebe gestossen zu sein.
Ich las die Verse:
Venus otia amat. Qui finem quaeris amorisCedit amor rebus; res age, tutus eris;Mit neuem Eifer wollt' ich mich dieser Vorschrift gemass in die Wissenschaften vertiefen, aber Miesmies hupfte auf jedem Blatte mir vor den Augen, Miesmies dachte – las – schrieb ich! – Der Autor, dacht' ich muss andere Arbeit meinen, und da ich von andern Katern gehort, dass die Mausejagd ein ungemein angenehmes zerstreuendes Vergnugen sein solle, war es ja moglich, das unter den rebus auch die Mausejagd begriffen sein konnte. Ich begab mich daher, sowie es finster worden, in den Keller, und durchstrich die dustern Gange indem ich sang:»Im Walde schlich ich still und wild, gespannt mein Feuerrohr – «
Ha! – statt des Wildes, das ich zu jagen trachtete, schaute ich aber wirklich ihr holdes Bild, aus den tiefen Grunden trat es wirklich uberall hervor! Und dabei zerschnitt der herbe Liebesschmerz mein nur zu leicht verwundbar Herz! Und ich sprach:»Lenk auf mich die holden Blicke, Jungfraulichen Morgenschein, Und als Braut und Braut'gam wandeln Murr und Miesmies selig heim. «Also sprach ich, freud'ger Kater, Hoffend auf des Sieges Preis. – Armer! mit verhullten Augen floh die scheue Katz dachein! —
So geriet ich Bedaurenswurdiger immer mehr und mehr in Liebe, die ein feindlicher Stern mir zum Verderben in meiner Brust entzundet zu haben schien. Wutend, mich auflehnend gegen mein Schicksal, fiel ich auf's neue her uber den Ovid und las die Verse:
Exige quod cantet, si qua est sine voce puella,Non didicit chordas tangere, posce lyram.«Ha«, rief ich zu ihr hinauf auf's Dach; – Ha ich werde sie wiederfinden die susse Huldin, da, wo ich sie zum erstenmal erblickte aber singen soll sie, ja singen, und bringt sie nur eine einzige falsche Note heraus, dann ist's vorbei, dann bin ich geheilt, gerettet. – Der Himmel war heiter, und der Mond bei dem ich der holden Miesmies Liebe zugeschworen, schien wirklich, als ich auf das Dach stieg, um sie zu erlauern. Lange gewahrte ich sie nicht, und meine Seufzer wurden laute Liebesklagen.