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Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Aber kaum hatte Kreisler geendet, als Meister Abraham laut lachend rief.»Da sieht man den eingefleischten Phantasten, den vollendeten Geisterseher! – Was den Organisten betrifft, der Euch draussen in dem Park schauerliche Chorale vorgespielt hat, so ist das niemand anders gewesen, als der Nachtwind, der durch die Lufte brausend, daher fuhr, und vor dem die Saiten der Wetterharfe erklangen. Ja ja, Kreisler, die Wetterharfe habt Ihr vergessen, die zwischen den beiden Pavillons am Ende des Parks aufgespannt ist. Und was Euern Doppelganger betrifft, der im Schimmer meiner Astrallampe neben Euch her lief, so will ich Euch sogleich beweisen, dass, sobald ich nur vor die Ture trete, auch mein Doppelganger bei der Hand ist, ja, dass ein jeder, der zu mir hineintritt, solch einen Chevalier d'Honneur seines Ichs an der Seite leiden muss.

Meister Abraham trat vor die Ture, und sogleich stand in dem Schimmer ein zweiter Meister Abraham ihm zur Seite.

Kreisler merkte die Wirkung eines verborgenen Hohlspiegels, und argerte sich, wie jeder, dem das Wunderbare, woran er geglaubt, zu Wasser gemacht wird. Dem Menschen behagt das tiefste Entsetzen mehr, als die naturliche Aufklarung dessen, was ihm gespenstisch erschienen, er will sich durchaus nicht mit dieser Welt abfinden lassen; er verlangt etwas zu sehen aus einer andern, die des Korpers nicht bedarf, um sich ihm zu offenbaren.

«Ich kann, nun einmal, Meister, «sprach Kreisler,»Euren seltsamen Hang zu solchen Foppereien nicht begreifen. Ihr prapariert das Wunderbare wie ein geschickter Mundkoch, aus allerlei scharfen Ingredienzien, und meint, dass die Menschen, deren Phantasie, wie der Magen der Schlemmer, flau geworden, irritiert werden mussen durch solches Unwesen. Nichts ist abgeschmackter, als wenn man bei solchen vermaledeiten Kunststuckchen, die einem die Brust zusammenschnuren, dahinterkommt, dass alles naturlich zugegangen.«

«Naturlich! – naturlich», rief Meister Abraham,»als ein Mann vom ziemlichen Verstande, solltet Ihr doch einsehen, dass nichts in der Welt naturlich zugeht, gar nichts! – Oder glaubt Ihr, werter Kapellmeister, dass deshalb, weil wir mit uns zu Gebote stehenden Mitteln eine bestimmte Wirkung hervorzubringen vermogen, uns die aus dem geheimnisvollen Organism stromende Ursache der Wirkung klar vor Augen liegt? – Ihr habt doch sonst vielen Respekt vor meinen Kunststucken gehabt, unerachtet Ihr die Krone davon niemals schautet.«—»Ihr meint das unsichtbare Madchen,

«sprach Kreisler.

«Allerdings«, fuhr der Meister fort,»eben dieses Kunststuck – es ist wohl mehr als das – wurde Euch bewiesen haben, dass die gemeinste am leichtesten zu berechnende Mechanik oft mit den geheimnisvollsten Wundern der Natur in Beziehung treten, und dann Wirkungen hervorbringen kann, die unerklarlich, – selbst dies Wort im gewohnlichen Sinn genommen, bleiben mussen.»Hm«, sprach Kreisler, wenn Ihr nach der bekannten Theorie des Schalls verfuhret, den Apparat geschickt zu verbergen wusstet, und ein schlaues gewandtes Wesen an der Hand hattet – «

«O Chiara», rief Meister Abraham, indem Tranen in seinen Augen perlten,»o Chiara mein susses liebes Kind!«

Kreisler hatte noch nie den Alten so tief bewegt gesehen, wie dieser denn von jeher keiner wehmutigen Empfindung Raum geben wollte, sondern dergleichen wegzuspotten pflegte.

«Was ist das mit der Chiara?«fragte der Kapellmeister.

«Es ist wohl dumm«, sprach der Meister lachelnd,»dass ich Euch heute erscheinen muss, wie ein alter weinerlicher Geck, aber die Gestirne wollen es nun einmal, dass ich von einem Moment meines Lebens mit Euch reden soll, uber den ich so lange schwieg. – Kommt her, Kreisler, schaut dieses grosse Buch, es ist das merkwurdigste, was ich besitze, das Erbstuck eines Tausendkunstlers, Severino geheissen, und eben sitze ich da und lese die wunderbarsten Sachen, und schaue die kleine Chiara an, die darin abgebildet, und da sturzt Ihr herein, ausser Euch selbst, und verachtet meine Magie in dem Augenblick, als ich eben in der Erinnerung schwelge an ihr schonstes Wunder, das mein war in der Blutezeit meines Lebens!«

«Nun erzahlt nur«, rief Kreisler,»damit ich stracks mit Euch heulen kann – «

«Es ist nun eben nicht sehr merkwurdig«, begann Meister Abraham,»dass ich, sonst ein junger kraftiger Mann, von ganz hubschem Ansehn, aus ubertriebenem Eifer und grosser Ruhmbegier, mich matt und krank gearbeitet hatte an der grossen Orgel in der Hauptkirche zu Gonionesmuhl. Der Arzt sprach: ›Laufen Sie, werter Orgelbauer, laufen Sie uber Berg und Tal, weit in die Welt hinein‹, und das tat ich denn wirklich, indem ich mir den Spass machte, uberall als Mechaniker aufzutreten, und den Leuten die artigsten Kunststucke vorzumachen. Dies ging recht gut, und brachte viel Geld ein, bis ich auf den Mann stiess, Severino geheissen, der mich derb auslachte mit meinen Kunststuckchen, und durch manches mich beinahe dahin gebracht hatte, mit dem Volk zu glauben, er stehe mit dem Teufel oder wenigstens mit andern honetteren Geistern im Bunde. Das mehreste Aufsehen erregte sein weibliches Orakel, ein Kunststuck, das eben spater unter dem Namen des unsichtbaren Madchens bekannt worden. Mitten im Zimmer, von der Decke herab, hing frei eine Kugel von dem feinsten, klarsten Glase, und aus dieser Kugel stromten, wie ein linder Hauch, die Antworten auf die an das unsichtbare Wesen gerichteten Fragen. Nicht allein das unbegreiflich scheinende dieses Phanomens, sondern auch die ins Herz dringende, das Innerste erfassende Geisterstimme der Unsichtbaren, das Treffende ihrer Antworten, ja ihre wahrhafte Weissagungsgabe, verschaffte dem Kunstler unendlichen Zulauf. Ich drangte mich an ihn, ich sprach viel von meinen mechanischen Kunststucken, er verachtete aber, wiewohl im andern Sinn, als Ihr es tut, Kreisler, all mein Wissen, und bestand darauf, ich sollte ihm eine Wasserorgel bauen zu seinem hauslichen Gebrauch, unerachtet ich ihm bewies, dass, wie auch der verstorbene Herr Hofrat Meister zu Gottingen, in seinem Traktat: ›De veterum Hydraulo‹ versichre, an einem solchen Hydraulos gar nichts sei, und nichts erspart werde, als einige Pfund Luft, die man, dem Himmel sei es gedankt, doch noch uberall umsonst haben konne. Endlich beteuerte Severino, er brauche die sanfteren Tone eines solchen Instruments, um der Unsichtbaren beizustehen, und er wolle mir das Geheimnis entdecken, wenn ich auf das Sakrament schwore, es weder selbst zu gebrauchen, noch andern zu entdecken, wiewohl er glaube, dass es nicht leicht moglich sein werde, sein Kunstwerk nachzuahmen, ohne – hier stockte er und machte ein geheimnisvolles, susses Gesicht, wie weiland Cagliostro, wenn er von seinen zaubrischen Verzuckungen zu Weibern sprach. Voll Begier, die Unsichtbare zu schauen, versprach ich die Wasserorgel zu verfertigen, so gut es ginge, und nun schenkte er mir sein Zutrauen, – gewann mich sogar lieb, als ich ihm willig Beistand leistete in seinen Arbeiten. Eines Tages, eben wollte ich zu Severino gehen, war das Volk auf der Strasse zusammengelaufen. Man sagte mir, ein anstandig gekleideter Mann sei ohnmachtig zu Boden gefallen. Ich drangte mich durch, und erkannte Severino, den man eben aufhob und ins nachste Haus trug. Ein Arzt, der des Weges gekommen, nahm sich seiner an. Severino schlug, nachdem verschiedene Mittel angewandt, mit einem tiefen Seufzer die Augen auf. Der Blick, mit dem er unter den krampfhaft zusammengezogenen Augenbrauen mich anstarrte, war furchtbar, alle Schrecken des Todeskampfs gluhten darin in dustrem Feuer. Seine Lippen bebten, er versuchte zu reden, und vermocht's nicht. Endlich schlug er einigemal heftig mit der Hand auf die Westentasche. Ich fasste hinein, und zog einige Schlussel hervor. ›Das sind die Schlussel Eurer Wohnung‹, sprach ich, er nickte mit dem Kopfe. ›Das ist‹, fuhr ich fort, indem ich ihm einen von den Schlusseln vor Augen hielt, ›der Schlussel zu dem Kabinett, in das Ihr mich niemals hineinlassen wolltet.‹ Er nickte auf's neue. Als ich aber weiter fragen wollte, begann er wie in furchterlicher Angst zu achzen und zu stohnen, kalte Schweisstropfen standen ihm auf der Stirne, er breitete die Arme aus, und bog sie im Zirkel zusammen, wie wenn man etwas umfasst, und wies auf mich. ›Er will‹, sprach der Arzt, ›dass Sie seine Sachen, seine Apparate, in Sicherheit bringen, vielleicht; stirbt er, behalten sollen?‹ Severino nickte starker mit dem Kopfe, schrie endlich: ›Corre!‹ und sank auf's neue ohnmachtig zuruck. Schnell eilte ich nun nach Severinos Wohnung, vor Neugier, vor Erwartung bebend, offnete ich das Kabinett, in dem die geheimnisvolle Unsichtbare verschlossen sein musste, und erstaunte nicht wenig, als ich es ganz leer fand. Das einzige Fenster war dicht verhangt, so dass das Licht nur hinein dammerte, und ein grosser Spiegel hing an der Wand, der Ture des Zimmers gegenuber. Sowie ich zufallig vor diesen Spiegel trat, und meine Gestalt im schwachen Schimmer erblickte, durchstromte mich ein seltsames Gefuhl, als befande ich mich auf dem Isolierstuhl einer Elektrisiermaschine. In demselben Augenblick sprach die Stimme des unsichtbaren Madchens auf italienisch: ›Verschont mich nur heute Vater! Geisselt mich nicht so grausam, Ihr seid ja doch nun gestorben!‹ – Schnell offnete ich die Ture des Zimmers, so, dass das volle Licht hineinstromte, aber keine lebendige Seele konnt' ich erblicken. ›Es ist gut, Vater‹, sprach die Stimme, ›dass Ihr Herrn Liscov geschickt habt, aber der lasst es nicht mehr zu, dass Ihr mich geisselt, er zerbricht den Magnet, und Ihr konnt nicht mehr aus dem Grabe heraus, in das er Euch legen lasst, Ihr moget Euch strauben, wie Ihr wollt, denn Ihr seid doch nun ein Verstorbener, und gehort nicht mehr dem Leben.‹ Ihr konnt wohl denken, Kreisler, dass mich tiefe Schauer durchbebten, da ich niemand sah, und die Stimme doch dicht vor meinen Ohren schwebte. ›Teufel‹, sprach ich laut, um mich zu ermutigen, ›sah ich nur irgendwo ein lumpiges Flaschchen, so wurd ich es zerschmeissen, und der diable boiteux stunde, seinem Kerker entronnen, leibhaftig vor mir, aber so – ‹ Nun kam es mir plotzlich vor, als gingen die leisen Seufzer, die durch das Kabinett wehten, aus einem Verschlage hervor, der in der Ecke stand, und mir viel zu klein schien, um ein menschliches Wesen zu beherbergen. Doch springe ich hin, offne den Schieber, und zusammengekrummt, wie ein Wurm, liegt ein Madchen darin, starrt mich an mit grossen, wunderbar schonen Augen, streckt endlich mir den Arm entgegen, als ich rufe: ›Komm heraus, mein Lammchen, komm heraus meine kleine Unsichtbare!‹ – Ich fasse endlich die Hand, die sie emporhalt, und ein elektrischer Schlag fahrt mir durch alle Glieder.‹ – ›Halt, Meister Abraham«, rief Kreisler,»was ist das, als ich zum erstenmal zufallig der Prinzessin Hedwiga Hand beruhrte, ging es mir ebenso, und noch immer, wiewohl schwacher, fuhl' ich dieselbe Wirkung, wenn sie mir sehr gnadig die Hand reicht.»Hoho«, erwiderte Meister Abraham, am Ende ist unser Prinzesslein eine Art von Gymnotus electricus oder Raja torpedo oder Trichiurus indicus, wie in gewisser Art meine susse Chiara es war, oder auch wohl nur eine muntere Hausmaus, wie jene, die dem wackern Signor Cotugno eine tuchtige Ohrfeige versetzte, als er sie beim Rucken erfasste, um sie zu sezieren, was Ihr freilich mit der Prinzessin nicht im Sinn haben konntet! – Doch sprechen wir ein andermal von der Prinzessin, und bleiben wir jetzt bei meiner Unsichtbaren! – Als ich, erschrocken uber den unvermuteten Schlag des kleinen Torpedo zuruckprallte, sprach das Madchen mit wunderbar anmutigem Ton auf deutsch:»Ach, nehmet es doch nur ja nicht ubel, Herr Liscov, aber ich kann nicht anders, der Schmerz war gar zu gross.«– Ohne mich weiter mit meinem Erstaunen aufzuhalten, fasste ich die Kleine sanft bei den Schultern, zog sie aus dem abscheulichen Gefangnis, und ein zart gebautes, liebliches Ding in der Grosse eines zwolfjahrigen Madchens, nach der korperlichen Ausbildung zu urteilen aber wenigstens sechzehn Jahre alt, stand vor mir. Schaut nur dort in's Buch hinein, das Bild ist ahnlich, und Ihr werdet gestehen mussen, dass es kein lieblicheres, ausdrucksvolleres Antlitz geben kann, wozu Ihr aber rechnen musst, dass das wunderbare, das Innerste entzundende Feuer der schonsten schwarzen Augen in keinem Bilde zu erreichen. Jeder, der nicht auf eine Schneehaut und Flachshaar erpicht ist, musste das Gesichtlein fur vollendet schon anerkennen, denn freilich war die Haut meiner Chiara etwas zu braun, und ihr Haar glanzte im brennenden Schwarz. – Chiara – Ihr wisst nun schon, dass die kleine Unsichtbare so geheissen war – Chiara fiel vor mir nieder, ganz Wehmut und Schmerz, ein Tranenstrom sturzte ihr aus den Augen, und sie sprach mit einem unnennbaren Ausdruck: ›Je suis sauvee.‹ Ich fuhlte mich von dem tiefsten Mitleid durchdrungen, ich ahnte entsetzliche Dinge! – Man brachte jetzt Severinos Leiche, ein zweiter Anfall des Schlages hatte ihn, gleich nachdem ich ihn verlassen, getotet. Sowie Chiara den Leichnam gewahrte, versiegten ihre Tranen, sie schaute den toten Severino an mit ernstem Blick, und entfernte sich dann, als die Leute, die mitgekommen, sie neugierig betrachteten und lachend meinten, das sei wohl gar am Ende das unsichtbare Madchen in dem Kabinett. Ich fand es unmoglich, das Madchen allein zu lassen bei dem Leichnam, die gutmutigen Wirtsleute erklarten sich bereit, sie bei sich aufzunehmen. Als ich nun aber, nachdem sich alles entfernt, hineintrat in's Kabinett, sass Chiara vor dem Spiegel in dem seltsamsten Zustande. Mit fest auf den Spiegel gerichteten Augen schien sie nichts zu gewahren, gleich einer Mondsuchtigen. Sie lispelte unverstandliche Worte, die aber immer deutlicher und deutlicher wurden, bis sie, deutsch, franzosisch, italienisch, spanisch, wechselnd von Dingen sprach, die sich auf entfernte Personen zu beziehen schienen. – Ich bemerkte zu meinem nicht geringen Erstaunen, dass gerade die Stunde eingetreten, in der Severino das weibliche Orakel reden zu lassen pflegte. – Endlich schloss Chiara die Augen, und schien in tiefen Schlaf verfallen. Ich nahm das arme Kind in meine Arme, und trug sie herab zu den Wirtsleuten. Am andern Morgen fand ich die kleine heiter und ruhig, erst jetzt schien sie ihre Freiheit ganz zu begreifen, und erzahlte alles, was ich zu wissen verlangte. – Es wird Euch nicht verschnupfen, Kapellmeister, unerachtet Ihr sonst auf gute Geburt was haltet, dass meine kleine Chiara nichts anders war, als ein Zigeunermagdlein, die mit einer ganzen Bande des schmutzigen Volks auf dem Markte in irgendeiner grossen Stadt, von Haschern bewacht, sich von der Sonne braten liess, als eben Severino voruberging. ›Blanker Bruder, soll ich Dir wahrsagen?‹ rief ihm das achtjahrige Madchen an. Severino sah der Kleinen lange in die Augen, liess sich dann wirklich die Zuge seines Handtellers deuten, und ausserte ein besonderes Erstaunen. Er musste etwas ganz Besonderes an dem Madchen gefunden haben, denn sogleich trat er zu dem Polizei-Lieutenant, der den Zug der verhafteten Zigeuner fuhrte, und meinte, er wolle was Erkleckliches geben, wenn es ihm vergonnt wurde, das Zigeunermadchen mit sich zu nehmen. Der Polizei-Lieutenant erklarte barsch, es sei hier kein Sklavenmarkt; setzte indessen hinzu, da die Kleine doch eigentlich nicht zu den wirklichen Menschen zu rechnen, und das Zuchthaus nur molestiere, so stande sie zu Befehl, wenn der Herr zehn Dukaten zur Stadtarmenkasse zahlen wolle. Severino zog sogleich seinen Beutel hervor, und zahlte die Dukaten ab. Chiara und ihre alte Grossmutter, beide hatten die ganze Verhandlung gehort, fingen an zu heulen und zu schreien, und wollten sich nicht trennen, da traten aber die Hascher hinzu, schmissen die Alte auf den Leiterwagen, der zum Abfahren bereit stand; der Polizei-Lieutenant, der vielleicht seinen Beutel in dem Augenblick fur die Stadtarmenkasse halten mochte, steckte die blanken Dukaten ein, und Severino schleppte die kleine Chiara fort, die er dadurch moglichst zu beruhigen suchte, dass er ihr auf demselben Markt, wo er sie gefunden, ein hubsches neues Rocklein kaufte, und sie uberdies mit Zuckerwerk futterte. – Es ist gewiss, dass Severino damals eben das Kunststuck mit dem unsichtbaren Madchen im Kopf hatte, und in der kleinen Zigeunerin alle Anlagen fand, die Rolle der Unsichtbaren zu ubernehmen. Neben einer sorgfaltigen Erziehung suchte er auf ihren Organismus, der zu einem erhohten Zustande besonders geeignet, zu wirken. Er brachte diesen erhohten Zustand, in dem ein prophetischer Geist in dem Madchen aufgluhte, durch kunstliche Mittel hervor, – denkt an Mesmer und seine furchtbaren Operationen – und versetzte sie jedesmal, wenn sie wahrsagen sollte, in diesen Zustand. Ein ungluckliches Ungefahr liess ihn wahrnehmen, dass die Kleine nach empfundenem Schmerz vorzuglich reizbar war, und dass dann ihre Gabe, das fremde Ich zu durchschauen, bis zum Unglaublichen stieg, so dass sie ganz vergeistigt schien. Und nun geisselte sie der entsetzliche Mensch jedesmal vor der Operation, die sie in den Zustand des hohern Wissens versetzte, auf die grausamste Weise. Zu dieser Qual kam noch, dass Chiara, die Armste, oft tagelang, wenn Severino abwesend, sich zusammenkrummen musste in jenem Verschlag, damit, drange selbst jemand in das Kabinett, doch Chiara's Gegenwart ein Geheimnis bliebe. Ebenso machte sie die Reisen mit Severino in jenem Kasten. Unglucklicher, furchterlicher, war Chiara's Schicksal, als das jenes Zwerges, den der bekannte Kempelen mit sich fuhrte, und der, in dem Turken versteckt, Schach spielen musste. – Ich fand in Severinos Pult eine namhafte Summe in Gold und Papieren, es gelang mir, der kleinen Chiara dadurch ein gutes Einkommen zu sichern, den Apparat zum Orakel, das heisst die akustischen Vorrichtungen, im Zimmer und Kabinett vernichtete ich, sowie manches andere Kunstwerk, das nicht transportabel, wogegen ich nach Severinos deutlich ausgesprochenem Vermachtnis manches Geheimnis aus seinem Nachlass mir zu eigen machte. Dies alles abgetan, nahm ich von der kleinen Chiara, die die Wirtsleute halten wollten wie ihr liebes Kindlein, den wehmutigsten Abschied, und verliess den Ort. – Ein Jahr war vergangen, ich wollte zuruck nach Gonionesmuhl, wo der hochlobliche Magistrat die Reparatur der Stadtorgel von mir verlangte, aber der Himmel hatte ein besonderes Wohlgefallen daran, mich als Taschenspieler hinzustellen vor den Leuten, und gab daher einem verfluchten Spitzbuben die Macht, meine Borse, in der mein ganzer Reichtum befindlich, zu stehlen, und mich so zu zwingen, noch als beruhmter, mit vielen Attesten und Konzessionen versehener Mechaniker Kunste zu machen des notigen Proviants halber. – Das geschah an einem Ortchen unsern Sieghartsweiler. Eines Abends sitze ich und hammere und feile an einem Zauberkastchen, da geht die Ture auf, ein weibliches Wesen tritt herein, ruft: ›Nein, ich konnte es nicht langer ertragen, ich musste Euch nach, Herr Liscov – ich ware gestorben vor Sehnsucht! – Ihr seid mein Herr, gebietet uber mich!‹ – sturzt auf mich zu, will mir zu Fussen fallen, ich fange sie auf in meinen Armen – es ist Chiara! – Kaum erkenne ich das Madchen, wohl einen Fuss hoher, starker ist sie geworden, ohne dass das den zartesten Formen ihres Wuchses geschadet! – ›Liebe susse Chiara!‹ – rief ich tief bewegt, und druckte sie an meine Brust! ›Nicht wahr‹, spricht nun Chiara, ›Ihr leidet mich bei Euch, Herr Liscov, Ihr verstosset nicht die arme Chiara, die Euch Freiheit und Leben zu verdanken hat?‹ – Und damit springt sie schnell an den Kasten, den eben ein Postknecht hineinschiebt, druckt den Kerl so viel Geld in die Hand, dass er mit einem grossen Katzensprung zur Ture hinaus, laut ruft: ›Ei der Daus, das liebe Mohrenkind‹, offnet den Kasten, nimmt dieses Buch heraus, gibt mir es sprechend: ›Da, Herr Liscov, nehmt das Beste aus Severinos Nachlass, das Ihr vergessen‹, fangt an, wahrend ich das Buch aufschlage, ganz getrost Kleider und Wasche auszupacken – Ihr moget denken, Kreisler, dass mich die kleine Chiara in nicht geringe Verlegenheit setzte; aber – nun ist es Zeit, Kerl! dass Du auf mich was halten lernst, da Du, weil ich Dir half, dem Oheim die reifen Birnen vom Baume naschen, und ihm holzerne mit saubrer Malerei hinhangen, oder ihm gedungtes Pommeranzenwasser hinstellen in der Giesskanne, womit er die auf dem Rasen zum Bleichen ausgespannten weissen Kanevashosen begoss, und einen schonen Marmor herausbrachte ohne Muhe, – kurz, weil ich Dich zu tollen Narrenstreichen anfuhrte, da Du, sag' ich, sonst mich selbst zu nichts anderm machtest, als zu einem puren Schalksnarren, der niemals ein Herz, oder wenigstens die Hanswurstjacke so dick daruber gelegt hatte, dass er nichts von seinen Schlagen spurte! – Bruste Dich nicht, Mensch, mit Deiner Empfindsamkeit, mit Deinen Tranen, denn siehe, schon wieder muss ich, so wie Du es nur zu oft tust, niedertrachtig flennen; aber der Teufel hole doch alles, wenn man erst im hohen Alter jungen Leuten das Innere aufschliessen soll wie eine Chambre garnie.«– Meister Abraham trat ans Fenster, und schaute hinaus in die Nacht. Das Gewitter war voruber, im Sauseln des Waldes horte man die einzelnen Tropfen fallen, die der Nachtwind herabschuttelte. Von fern her aus dem Schlosse ertonte lustige Tanzmusik.»Prinz Hektor«, sprach Meister Abraham,»eroffnet die Partie a la chasse mit einigen Sprungen, glaub ich –

«

«Und Chiara?«fragte Kreisler.

«Recht, mein Sohn«, fuhr Meister Abraham fort, indem er sich erschopft in den Lehnstuhl niederliess,»dass Du mich erinnerst an Chiara, denn ich muss in dieser verhangnisvollen Nacht den Kelch der bittersten Erinnerungen nun einmal ausschlurfen bis auf den letzten Tropfen. – Ach! – so wie Chiara geschaftigt hin und her hupfte, wie aus ihren Blicken die reinste Freude strahlte, da fuhlt' ich es wohl, dass es mir ganz unmoglich sein wurde, mich jemals von ihr zu trennen, dass sie mein Weib werden musse. – Und doch sprach ich: ›Aber Chiara, was soll ich mit Dir anfangen, wenn Du nun hier bleibst?‹ – Chiara trat vor mich hin und sprach sehr ernst: ›Meister, Ihr findet in dem Buche, das ich Euch gebracht, die genaue Beschreibung des Orakels, Ihr habt ja ohnedies die Vorrichtungen dazu gesehen. – Ich will Euer unsichtbares Madchen sein!› – ›Chiara‹, rief ich ganz besturzt, ›was sprichst Du? – Kannst Du mich fur einen Severino halten!‹ – ›O, schweigt von Severino‹, erwiderte Chiara. – Nun, was soll ich Euch alles umstandlich erzahlen, Kreisler, Ihr wisst ja schon, dass ich alle Welt in Erstaunen setzte mit meinem unsichtbaren Madchen, und moget mir wohl zutrauen, dass ich es verabscheute, auch nur durch irgendein kunstliches Mittel meine liebe Chiara aufzuregen, oder auf irgendeine Weise ihre Freiheit zu verschranken. – Sie deutete mir selbst Zeit und Stunde an, wenn sie sich fahig fuhlte, oder vielmehr fuhlen wurde, die Rolle der Unsichtbaren zu spielen, und nur dann sprach mein Orakel. – Uberdies war meiner Kleinen jene Rolle zum Bedurfnis geworden. Gewisse Umstande, die Ihr kunftig erfahren sollt, brachten mich nach Sieghartsweiler. Es lag in meinem Plan, sehr geheimnisvoll aufzutreten. Ich bezog eine einsame Wohnung bei der Witwe des furstlichen Mundkochs, durch die ich sehr bald das Gerucht von meinen wunderbaren Kunststucken an den Hof brachte. Was ich erwartet hatte, geschah. Der Furst, ich meine den Vater des Fursten Irenaus, suchte mich auf, und mein weissagende Chiara war die Zauberin, die, wie von uberirdischer Kraft beseelt, ihm oft sein eigenes Inneres erschloss, so dass er manches, was ihm sonst verschleiert gewesen, jetzt klar durchschaute. Chiara, die mein Weib worden, wohnte bei einem mir vertrauten Mann in Sieghartshof, und kam zu mir im Dunkel der Nacht, so dass ihre Gegenwart ein Geheimnis blieb. Denn seht Kreisler, so versessen sind die Menschen auf Wunder, das, war auch das Kunststuck mit dem unsichtbaren Madchen nicht anders moglich, als durch die Mitwirkung eines menschlichen Wesens, sie doch das ganze Ding fur eine dumme Fopperei geachtet haben wurden, sobald sie erfuhren, dass das unsichtbare Madchen von Fleisch und Bein. So wie denn in jener Stadt den Severino nach seinem Tode, alle Leute einen Betruger schalten, da es herausgekommen, dass eine kleine Zigeunerin im Kabinett gesprochen, ohne die kunstliche akustische Einrichtung die den Ton aus der Glaskugel kommen liess, auch nur im mindesten zu beachten. – Der alte Furst starb, ich hatte die Kunststucke, die Geheimniskramerei mit meiner Chiara, herzlich satt, ich wollte mit meinem lieben Weibe hinziehen nach Gonionesmuhl, und wieder Orgeln bauen. Da blieb eine Nacht Chiara, die zum letztenmal, die Rolle des unsichtbaren Madchens spielen sollte, aus, ich musste die Neugierigen unbefriedigt fortschicken. Mir schlug das Herz vor banger Ahnung. – Am Morgen lief ich nach Sieghartshof, Chiara war zur gewohnlichen Stunde fortgegangen. – Nun Kerl! was schaust Du mich so an? ich hoffe, dass Du keine alberne Frage tun wirst! – Du weisst es ja – Chiara war spurlos verschwunden, nie – nie hab' ich sie wiedergesehen!«—

Meister Abraham sprang rasch auf, und sturzte ans Fenster. Ein tiefer Seufzer machte den Blutstropfen Luft, die aus der aufgerissenen Herzwunde quollen. Kreisler ehrte den tiefen Schmerz des Greises durch Schweigen.»Ihr konnet nun«, begann endlich Meister Abraham,»nicht mehr zuruck nach der Stadt, Kapellmeister. Mitternacht ist heran, draussen, Ihr wisst es, hausen bose Doppelganger, und allerlei anderes bedrohliches Zeug konnt' uns in den Kram pfuschen. Bleibt bei mir! Toll, ganz toll musst es ja – «

(M. f. f.) aber sein, wenn dergleichen Unschicklichkeiten vorfielen an heiliger Statte, – ich meine im Auditorio. – Es wird mir so enge, so beklommen um's Herz – ich vermag, von den erhabensten Gedanken durchstromt, nicht weiter zu schreiben – ich muss abbrechen, muss ein wenig spazieren gehen!

Ich kehre zuruck an den Schreibtisch, mir ist besser – Aber wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund uber, und auch wohl der Federkiel des Dichters! – Ich hort' einmal den Meister Abraham erzahlen, in einem alten Buche stande etwas von einem kuriosen Menschen, dem eine besondere Materia peccans im Leibe rumorte, die nicht anders abging, als durch die Finger. Er legte aber hubsches weisses Papier unter die Hand, und fing so alles, was nur von dem bosen rumorenden Wesen abgehen wollte, auf, und nannte diesen schnoden Abgang Gedichte, die er aus dem Innern geschaffen. Ich halte das Ganze fur eine boshafte Satire, aber wahr ist es, zuweilen fahrt mir ein eignes Gefuhl, beinahe mocht' ich's geistiges Leibkneifen nennen, bis in die Pfoten, die alles hinschreiben mussen, was ich denke. – Eben jetzt geht's mir so – es kann mir Schaden tun, betorte Kater konnen in ihrer Verblendung bose werden, sogar mich ihre Krallen fuhlen lassen, aber es muss heraus! —

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