Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Gewiss, hast du mich, geliebter Leser, beinahe beneidet um meine gluckliche Jugendzeit, um den gunstigen Stern der uber mich wachte! – In Durftigkeit von vornehmen aber armen Eltern geboren, dem schmachvollen Tode nahe, komme ich plotzlich in den Schoss des Uberflusses, in den Peruschacht der Literatur! – Nichts stort meine Bildung, nichts widerstrebt meinen Neigungen, mit Riesenschritten gehe ich der Vollkommenheit entgegen, die mich hoch erhebt uber meine Zeit. Da halt mich plotzlich ein Zollverwalter an und fordert den Tribut, dem alles hienieden unterworfen!
Wer hatte denken sollen, dass unter den Banden der sussesten, innigsten Freundschaft die Dornen verborgen, die mich ritzen, verwunden, blutig verwunden mussten!
Jeder, der ein gefuhlvolles Herz im Busen tragt, wie ich, wird aus dem, was ich uber mein Verhaltnis mit dem Pudel Ponto gesagt, sehr leicht entnehmen konnen, was der Teure mir war, und doch musste er es sein, der den ersten Anlass gab zu der Katastrophe, die mich ganzlich verderben konnte, hatte der Geist meines grossen Ahnherrn nicht uber mich gewacht. – Ja mein Leser! – ich hatte einen Ahnherrn, einen Ahnherrn, ohne den ich gewissermassen gar nicht existieren wurde – einen grossen vortrefflichen Ahnherrn, einen Mann von Stande, Ansehen, Vermogen, ausgebreiteter Wissenschaft, mit einer ganz vortrefflichen Sorte Tugend, mit der feinsten Menschenliebe begabt, einen Mann von Eleganz und Geschmack, nach dem neuesten Geschmack – einen Mann der – doch dies alles jetzt nur beilaufig gesagt, kunftig mehr von dem Wurdigen, der niemand anders war, als der beruhmte Premierminister Hinz von Hinzenfeldt, der der Welt so teuer, so uber alles wert worden unter dem Namen des gestiefelten Katers. —
Wie gesagt, kunftig mehr von dem edelsten der Kater! —
Konnt' es anders sein; musst' ich, als ich mich im Pudelischen leicht und zierlich auszudrucken vermochte, mit meinem Freunde Ponto nicht davon reden, was mir das Hochste im Leben war, namlich von mir selbst und von meinen Werken? So kam es, dass er mit meinen besondern Geistesgaben, mit meiner Genialitat, mit meinem Talent bekannt wurde, und hier entdeckte ich zu meinem nicht geringen Leid, dass ein unuberwindlicher Leichtsinn, ja ein gewisser Ubermut es dem jungen Ponto unmoglich machte, in den Kunsten und Wissenschaften etwas zu tun. Statt in Erstaunen zu geraten uber meine Kenntnis, versicherte er, dass es gar nicht zu begreifen, wie ich darauf fallen konnte, mich mit derlei Dingen abzugeben, und dass er seinerseits, was Kunste betreffe, sich lediglich darauf beschranke, uber den Stock zu springen, und seines Herrn Mutze aus dem Wasser zu apportieren, die Wissenschaften anlangend er aber der Meinung sei, dass Leute, wie ich und er, sich nur den Magen dabei verdurben und allen Appetit ganzlich verloren.
Bei einem solchen Gesprach, in dem ich mich muhte, meinen jungen leichtsinnigen Freund eines Bessern zu belehren, geschah das Entsetzliche. Denn ehe ich mir's versah, sprang…
(Mak. Bl.) —»Und immer werden Sie«, erwiderte die Benzon, mit dieser phantastischen Uberspanntheit,»mit dieser herzzerschneidenden Ironie nichts anstiften als Unruhe – Verwirrung – vollige Dissonanz aller konventionellen Verhaltnisse, wie sie nun einmal bestehen.«
«O wundervoller Kapellmeister«, rief Johannes Kreisler lachend, der solcher Dissonanzen machtig!
«Seien Sie ernst«, fuhr die Ratin fort,»Sie entkommen mir nicht durch bittern Scherz! Ich halte Sie fest, lieber Johannes! – Ja, so will ich Sie nennen, mit dem sanften Namen Johannes, damit ich wenigstens hoffen darf, dass hinter der Satyrmaske am Ende ein sanftes, weiches Gemut verborgen. Und dann! – nimmermehr werde ich mich davon uberzeugen, dass der bizarre Name: Kreisler, nicht eingeschwarzt, nicht einem ganz andern Familien-Namen untergeschoben sein sollte!«
«Ratin«, sprach Kreisler, indem sein ganzes Gesicht in einem seltsamen Muskelspiel an tausend Falten und Furchen vibrierte,»teuerste Ratin, was haben Sie gegen meinen ehrlichen Namen? – Vielleicht fuhrte ich sonst einen andern, aber das ist lange her, und mir geht es so wie dem Ratgeber in Tiecks ›Blaubart‹, der da sagt: ›Ich hatte sonst einmal einen ganz vortrefflichen Namen, durch die Lange der Zeit hab' ich ihn fast vergessen, ich kann mich nur noch dunkel daran erinnern. ‹«
Besinnen Sie sich, Johannes, rief die Ratin, ihn mit leuchtenden Blicken durchbohrend, der halbvergessene Name kommt Ihnen gewiss wieder in die Gedanken!
«Durchaus nicht, Teuerste«, erwiderte Kreisler,»es ist unmoglich, und ich vermute beinahe, dass die dunkle Erinnerung, wie ich sonst, was eben meine aussere Gestalt rucksichts des Namens als Lebenspasseport betrifft, anders gestaltet, aus der angenehmen Zeit herruhrt, da ich eigentlich noch gar nicht geboren. – Erzeigen Sie mir die Gute, Verehrungswurdigste, betrachten Sie meinen schlichten Namen im gehorigen Licht, und Sie werden ihn, was Zeichnung, Kolorit und Physiognomie betrifft, allerliebst finden! Noch mehr! stulpen Sie ihn um, sezieren Sie ihn mit dem grammatischen Anatomiermesser, immer herrlicher wird sich sein innerer Gehalt zeigen. Es ist ganz unmoglich, Vortreffliche! dass Sie meines Namens Abstammung in dem Worte Kraus finden, und mich, nach der Analogie des Wortes Haarkrausler, fur einen Tonkrausler, oder gar fur einen Krausler uberhaupt halten konnen, da ich mich alsdann eben Krausler schreiben musste. Sie konnen nicht wegkommen von dem Worte Kreis, und der Himmel gebe, dass Sie dann gleich an die wunderbaren Kreise denken mogen, in denen sich unser ganzes Sein bewegt, und aus denen wir nicht herauskommen konnen, wir mogen es anstellen wie wir wollen. In diesen Kreisen kreiselt sich der Kreisler, und wohl mag es sein, dass er oft, ermudet von den Sprungen des St. Veits-Tanzes, zu dem er gezwungen, rechtend mit der dunklen unerforschlichen Macht, die jene Kreise umschrieb, sich mehr als es einem Magen, der ohnedies nur schwachlicher Konstitution, zusagt, hinaussehnt ins Freie. Und der tiefe Schmerz dieser Sehnsucht mag nun wieder eben jene Ironie sein, die Sie, Verehrte! so bitter tadeln, nicht beachtend, dass die kraftige Mutter einen Sohn gebar, der in das Leben eintritt wie ein gebietender Konig. Ich meine den Humor, der nichts gemein hat mit seinem ungeratenen Stiefbruder, dem Spott! – Ja, sprach die Ratin, eben dieser Humor, dieser Wechselbalg einer ausschweifenden, grillenhaften Phantasie ohne Gestalt, ohne Farbe, von dem ihr harten Mannerseelen selbst nicht wisst, fur wen ihr ihn ausgeben sollt nach Stand und Wurden, eben dieser ist es, den ihr uns gern als etwas Grosses, Herrliches unterschieben mochtet, wenn ihr alles, was uns lieb und wert, in bitterm Hohne zu vernichten trachtet. Wissen Sie wohl, Kreisler, dass Prinzessin Hedwiga noch jetzt ganz ausser sich ist uber Ihre Erscheinung, uber Ihr Betragen im Park? Reizbar, wie sie ist, verwundet sie jeder Scherz, in dem sie nur die leiseste Verspottung ihrer Personlichkeit findet, uberdies aber beliebten Sie, lieber Johannes, sich ihr als ein vollkommen Wahnsinniger darzustellen, und ihr so ein Entsetzen zu erregen, das sie hatte auf das Krankenlager werfen konnen. Ist das zu entschuldigen?«
«Ebensowenig«, erwiderte Kreisler,»als wenn ein Prinzesslein es unternimmt, in dem offnen Park ihres Herrn Papas einem Fremden von honettem Ansehen, der ihr zufallig begegnet, durch ihre kleine Person imponieren zu wollen.«
«Dem sei wie ihm wolle«, fuhr die Ratin fort,»genug, Ihre abenteuerliche Erscheinung in unserm Park hatte bose Folgen haben konnen. Dass diese abgewandt, dass die Prinzessin wenigstens sich an den Gedanken gewohnt Sie wiederzusehen, alles das haben wir meiner Julia zu verdanken. Sie allein nimmt Sie in Schutz, indem sie in allem, was Sie begonnen, was Sie gesprochen, nur den Erguss einer uberspannten Laune findet, wie sie oft einem tief verletzten oder zu reizbaren Gemut eigen. Mit einem Wort, Julia, die erst vor kurzer Zeit Shakespeares: ›Wie es euch gefallt‹, kennen gelernt, hat Sie gerade mit dem melancholischen Monsieur Jacques verglichen.«
«O du ahnendes Himmelskind!« rief Kreisler, indem ihm die Tranen in die Augen traten.
«Uberdies«, sprach die Benzon weiter,»hat meine Julia in Ihnen, als Sie auf der Guitarre phantasierten und, wie sie erzahlt, dazwischen sangen und sprachen, den sublimen Musiker und Komponisten erkannt. Sie meint, in dem Augenblick sei ihr ein ganz besonderer Geist der Musik aufgegangen, sie habe, wie von unsichtbarer Macht dazu gezwungen, singen und spielen mussen, und das sei ihr gar anders gegluckt, als sonst jemals. – Erfahren Sie nur, Julia konnte sich gar nicht darin finden, dass sie den seltsamen Mann nicht wiedersehen, dass er ihr nur wie ein anmutig wunderlicher, musikalischer Spuk erschienen sein solle; wogegen die Prinzessin mit aller ihr eignen Heftigkeit behauptete, dass ein zweiter Besuch des gespenstischen Wahnsinnigen ihr den Tod geben wurde. Da die Madchen sonst ein Herz und eine Seele sind, und niemals eine Entzweiung unter ihnen stattgefunden, so konnt' ich mit vollem Recht behaupten, dass sich jene Szene aus fruher Kindheit umgekehrt wiederhole, als Julia einen etwas bizarren Skaramuz, der ihr einbeschert worden, durchaus in den Kamin werfen wollte, die Prinzessin hingegen ihn in Schutz nahm und fur ihren Liebling erklarte.«
«Ich lasse mich«, fiel Kreisler der Benzon laut lachend in die Rede,»ein zweiter Skaramuz, von der Prinzessin in den Kamin werfen, und vertraue der sussen Huld der holden Julia.«–
Kreisler war, als die Ratin dies alles sprach, in tiefes Nachdenken versunken. Er starrte zur Erde nieder und fingerte an der Stirn wie einer, der sich auf etwas Vergessenes zu besinnen trachtet.
«Ach«, begann er, als die Ratin schwieg,»das ist eine sehr alberne Geschichte, kaum des Erzahlens wert. Doch so viel ist gewiss, dass das, was die kleine Prinzessin fur die wirren Reden eines Wahnwitzigen zu halten geruht hat, in der Wahrheit begrundet ist. In der Tat befand ich mich damals, als ich das Ungluck hatte, die kleine Reizbare im Park zu erschrecken, auf einer Visitenfahrt, denn ich kam eben von einer Visite, die ich niemanden anders abstattete, als dem Durchlauchtigsten Grossherzoge selbst, und hier in Sieghartsweiler wollte ich nun ja eben mit den ausserordentlichsten, angenehmsten Visiten kontinuieren.«