Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Mir standen neue Erfahrungen bevor.
Eines Tages, als mein Meister eben in einen grossen Folianten vertieft war, den er vor sich aufgeschlagen, und ich dicht bei ihm unter dem Schreibtisch, auf einem Bogen des schonsten Royalpapiers liegend, mich in griechischer Schrift versuchte, die mir vorzuglich in der Pfote zu liegen schien, trat rasch ein junger Mann hinein, den ich schon mehrmals bei dem Meister gesehen, und der mich mit freundlicher Hochachtung, ja mit der wohltuenden Verehrung behandelte, die dem ausgezeichneten Talent, dem entschiedenen Genie gebuhrt. Denn nicht allein, dass er jedesmal, nachdem er den Meister begrusst, zu mir sprach: Guten Morgen Kater! so kraute er mir auch jedesmal mit leichter Hand hinter den Ohren, und streichelte mir sanft den Rucken, so dass ich in diesem Betragen wahre Aufmunterung fand, meine innern Gaben leuchten zu lassen vor der Welt.
Heute sollte sich alles anders gestalten!
Wie sonst niemals sprang namlich heute dem jungen Mann ein schwarzes zottiges Ungeheuer mit gluhenden Augen nach zur Ture hinein, und als es mich erblickte, gerade auf mich zu. Mich uberfiel eine unbeschreibliche Angst, mit einem Satz war ich auf dem Schreibtisch meines Meisters, und stiess Tone des Entsetzens und der Verzweiflung aus, als das Ungeheuer hoch hinaufsprang nach dem Tisch, und dazu einen morderlichen Larm machte. Mein guter Meister, dem um mich bange, nahm mich auf den Arm, und steckte mich unter den Schlafrock. Doch der junge Mann sprach: ›Seid doch nur ganz unbesorgt, lieber Meister Abraham! Mein Pudel tut keiner Katze was, er will nur spielen. Setzt den Kater nur hin, sollt Euch freuen wie die Leutchen miteinander Bekanntschaft machen werden, mein Pudel und Euer Kater.
Mein Meister wollte mich wirklich niedersetzen, ich klammerte mich aber fest an, und begann klaglich zu lamentieren, wodurch ich es denn wenigstens dahin brachte, dass der Meister mich, als er sich niederliess, dicht neben sich auf dem Stuhle litt.
Ermutigt durch meines Meisters Schutz, nahm ich, auf den Hinterpfoten sitzend, den Schweif umschlungen, eine Stellung an, deren Wurde, deren edler Stolz meinem vermeintlichen schwarzen Gegner imponieren musste. Der Pudel setzte sich vor mir hin auf die Erde, schaute mir unverwandt ins Auge, und sprach zu mir in abgebrochnen Worten, die mir freilich unverstandlich blieben. Meine Angst verlor sich nach und nach ganz und gar, und ruhig geworden im Gemut, vermochte ich zu bemerken, dass in dem Blick des Pudels nichts zu entdecken, als Gutmutigkeit und biederer Sinn. Unwillkurlich fing ich an, meine zum Vertrauen geneigte Seelenstimmung durch sanftes Hin- und Herbewegen des Schweifes an den Tag zu legen, und sogleich begann auch der Pudel mit dem kurzen Schweiflein zu wedeln auf die anmutigste Weise.
O! mein Inneres hatte ihn angesprochen, nicht zu zweifeln war an dem Anklang unserer Gemuter! – Wie, sprach ich zu mir selbst, wie konnte dich das ungewohnte Betragen dieses Fremden so in Furcht und Schrecken setzen? – Was bewies dieses Springen, dieses Klaffen, dieses Toben, dieses Rennen, dieses Heulen anders als den in Liebe und Lust, in der freudigen Freiheit des Lebens heftig und machtig bewegten Jungling? – O es wohnt Tugend, edle Pudeltumlichkeit in jener schwarz bepelzten Brust! – Durch diese Gedanken erkraftigt, beschloss ich, den ersten Schritt zu tun zu naherer engerer Einigung unserer Seelen, und herabzusteigen von dem Stuhl des Meisters.
Sowie ich mich erhob und dehnte, sprang der Pudel auf und in der Stube umher, mit lautem Klaffen! – Ausserungen eines herrlichen lebenskraftigen Gemuts! – Es war nichts mehr zu befurchten, ich stieg sogleich herab, und naherte mich behutsam leisen Schrittes dem neuen Freunde. Wir begannen jenen Akt, der in bedeutender Symbolik die nahere Erkenntnis verwandter Seelen, den Abschluss des aus dem inneren Gemut heraus bedingten Bundnisses ausdruckt, und den der kurzsichtige frevelige Mensch mit dem gemeinen unedlen Ausdruck» Beschnuffeln«, bezeichnet. Mein schwarzer Freund bezeigte Lust, etwas von den Huhnerknochen zu geniessen, die in meiner Speiseschussel lagen. So gut ich es vermochte, gab ich ihm zu verstehen, dass es der Weltbildung, der Hoflichkeit gemass sei, ihn als meinen Gast zu bewirten. Er frass mit erstaunlichem Appetit, wahrend ich von weitem zusah. – Gut war es doch, dass ich den Bratfisch beiseite gebracht und einmagaziniert unter mein Lager. – Nach der Tafel begannen wir die anmutigsten Spiele, bis wir uns zuletzt, ganz ein Herz und eine Seele, umhalsten, und fest aneinander geklammert, uns einmal uber das andere uberkugelnd, uns innige Treue und Freundschaft zuschworen.
Ich weiss nicht, was dieses Zusammentreffen schoner Seelen, dieses Einandererkennen herziger Junglingsgemuter, Lacherliches in sich tragen konnte; so viel ist aber gewiss, dass beide, mein Meister und der fremde junge Mann, unaufhorlich aus vollem Halse lachten, zu meinem nicht geringen Verdruss.
Auf mich hatte die neue Bekanntschaft einen tiefen Eindruck gemacht, so dass ich in der Sonne und im Schatten, auf dem Dach und unter dem Ofen, nichts dachte, nichts sann, nichts traumte, nichts empfand als, Pudel – Pudel – Pudel! Dadurch ging mir das innerste Wesen des Pudeltums machtig auf, mit glanzenden Farben, und durch diese Erkenntnis wurde das tiefsinnige Werk geboren, dessen ich schon erst erwahnte, namlich: Gedanke und Ahnung, oder Kater und Hund. Sitten, Gebrauche, Sprache beider Geschlechter, entwickelte ich als tief bedingt durch ihr eigentumlichstes Wesen und bewies, wie beide nur diverse Strahlen, aus einem Prisma geworfen. Vorzuglich fasste ich den Charakter der Sprache auf, und bewies, dass da Sprache uberhaupt nur symbolische Darstellung des Naturprinzips in der Gestaltung des Lauts sei, mithin es nur eine Sprache geben konne, auch das Katzische und Hundische in der besondern Formung des Pudelischen, Zweige eines Baumes waren, von hoherem Geist inspirierte Kater und Pudel sich daher verstunden. Um meinen Satz ganz ins klare zu stellen, fuhrte ich mehrere Beispiele aus beiden Sprachen an und machte auf die gleichen Stammwurzeln aufmerksam, von: Bau – Bau – Mau – Miau – Blaf blaf – Anvau – Korr – Kurr – Ptsi – Pschrzi usw.
Nachdem das Buch vollendet, fuhlte ich die unwiderstehlichste Lust, das Pudelische wirklich zu erlernen, welches mir, vermoge meines neu erworbenen Freundes, des Pudels Ponto, wiewohl nicht ohne Muhe, gelang, da das Pudelische fur uns Kater wirklich eine schwere Sprache. Genies finden sich indes in alles, und eben diese Genialitat ist es, die ein beruhmter menschlicher Schriftsteller verkennt, wenn er behauptet, dass, um eine fremde Sprache, mit allen Eigentumlichkeiten des Volks, dem Volke nachzusprechen, man durchaus was weniges ein Narr sein musse. Mein Meister hatte freilich dieselbe Meinung, und mochte eigentlich nur die gelehrte Kenntnis der fremden Sprache statuieren, welche Kenntnis er dem Parlieren entgegensetzte, worunter er die Fertigkeit verstand, in einer fremden Sprache uber nichts und um nichts reden zu konnen. Er ging so weit, dass er das Franzosisch sprechen unserer Herren und Damen vom Hofe fur eine Art von Krankheit hielt, die, wie kataleptische Zufalle, mit schrecklichen Symptomen eintrete, und horte ich ihn diese absurde Behauptung gegen den Hofmarschall des Fursten selbst ausfuhren.
«Erzeigen Sie,
Ein sinnreicher Gelehrter gibt in irgendeinem Buche den Rat, dass man sich bemuhen moge in der fremden Sprache, die man rasch erlernen will, zu denken. Der Rat ist vortrefflich, seine Ausfuhrung aber nicht ohne Gefahr. Es gelang mir namlich sehr bald, pudelisch zu denken, ich vertiefte mich aber in diese pudelischen Gedanken so sehr, dass meine eigentliche Sprachfertigkeit zuruckblieb, und ich selbst nicht verstand was ich dachte. Diese nicht verstandenen Gedanken brachte ich meistenteils zu Papier, und ich erstaune uber die Tiefe dieser Sprache, die ich unter dem Titel» Akanthusblatter «gesammelt, und die ich noch nicht verstehe.
Ich glaube, dass diese kurzen Andeutungen uber die Geschichte meiner Jugendmonate hinreichen durften, dem Leser ein deutliches Bild davon zu geben was ich bin und wie ich es wurde.
Unmoglich kann ich mich aber von der Blutezeit meines merkwurdigen ereignisreichen Lebens trennen, ohne noch eines Vorfalls zu erwahnen, der gewissermassen meinen Ubertritt in die Jahre der reifern Bildung bezeichnet. Die Katerjugend wird daraus lernen, dass keine Rose ohne Dornen ist, und dass dem machtig emporstrebenden Geiste manches Hindernis gelegt, mancher Stein des Anstosses in den Weg geworfen wird, an dem er sich die Pfoten wund stossen muss. – Und der Schmerz solcher Wunden ist empfindlich, sehr empfindlich! —