Die weisse Massai
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In Maralal herrscht ebenfalls Zuckerknappheit. Es werden keine Hundertkilos"acke verkauft, der Nachschub ist noch nicht eingetroffen. Ohne Zucker lohnt es sich nicht, nach Barsaloi zur"uckzufahren. Als nach drei Tagen endlich Zucker eintrifft, werden die S"acke rationiert vergeben. Statt zwanzig S"acken bekommen wir nur acht. Am f"unften Tag k"onnen wir wieder mit einem Lastwagen abfahren.
In den Tagen in Maralal habe ich einige neue Sachen besorgt, die begehrten Kangas, Kautabak f"ur die Alten und sogar zwanzig Paar Reifen-Sandalen in jeder Gr"osse. Leider reicht das verdiente Geld nicht aus f"ur die Neuanschaffungen. Ich brauche Geld von der Bank und nehme mir vor, den Kilopreis f"ur Mais und Zucker etwas zu erh"ohen, obwohl er staatlich vorgeschrieben ist. Aber bei den hohen Transportkosten ist es unm"oglich, denselben Preis wie in Maralal zu verlangen.
Zus"atzlich m"ussen wir das 200-Liter-Fass mit Benzin auff"ullen.
Diesmal l"asst mich Lketinga nicht al ein mit dem Landrover fahren, weil er bef"urchtet, erneut auf Elefanten oder B"uffel zu stossen. Doch wer sol den Lori begleiten? Lketinga schickt einen Bekannten mit, dem er glaubt vertrauen zu k"onnen.
Gegen Mittag fahren wir los und erreichen Barsaloi ohne Schwierigkeiten. Es ist wirklich merkw"urdig: Wenn mein Mann dabei ist, l"auft al es problemlos.
Im Shop herrscht absolute Ruhe. Anna kommt uns gelangweilt entgegen. In den f"unf Tagen ist auch der Rest Maismehl verkauft worden. Nur ab und zu erscheint jemand, um Teepulver oder Omo zu erwerben. Die Kasse ist halb vol mit Scheinen, doch kontrol ieren kann ich es kaum, da ja noch einiges im Lager ist. Ich vertraue Anna.
Wir kehren in unsere Manyatta zur"uck, in der zwei Krieger friedlich schlafen. Ich bin nicht besonders erbaut, meine Manyatta besetzt vorzufinden, doch weiss ich, dass dies das Gastrecht gebietet. Alle M"anner, die zur Altersgruppe von Lketinga geh"oren, haben das Recht, in unserer H"utte auszuruhen oder zu "ubernachten. Auch Chai muss ich ihnen anbieten. W"ahrend ich das Feuer entfache, unterhalten sich die drei M"anner. Lketinga "ubersetzt mir, dass in Sitedi einem Krieger der Oberschenkel von einem B"uffel aufgeschlitzt wurde. Er muss sofort mit dem Auto hin und ihn zum Arzt bringen. Ich bleibe da, weil der Lori in den n"achsten zwei Stunden eintreffen muss. Mit ungutem Gef"uhl gebe ich meinem Mann den Autoschl"ussel. Es ist die gleiche Strecke, auf der er vor einem Jahr den Wagen demolierte.
Ich gehe hinunter zu Anna, und wir bringen den Shop in Ordnung, damit alles bereit ist zum Abladen. Gegen Abend z"unden wir die zwei neuen Petroleumlampen an. Zudem habe ich einen einfachen Holzkohle-Kocher besorgt, damit ich gelegentlich im hinteren Teil des Shops Tee oder Essen kochen kann.
Endlich kommt der Lori. Bald stehen wieder eine Menge Leute um den Shop. Das Abladen ist schnel erledigt. Diesmal z"ahle ich die S"acke mit, um sicher zu sein, ob alles dabei ist, doch wie sich herausstellt, ist mein Misstrauen nicht angebracht. Als die Ware abgeladen ist, herrscht Chaos. "Uberall t"urmen sich Kartons, die wir noch ausr"aumen m"ussen.
Pl"otzlich steht mein Mann im Shop. Ich m"ochte wissen, ob alles in Ordnung ist. „No problem, Corinne, but this man has a big problem“, ist seine Antwort. Er hat den Verwundeten zum Buscharzt gebracht, der das Bein ges"aubert und die 20 cm lange Wunde ohne Narkose gen"aht hat. Jetzt sei er bei uns in der Manyatta, weil er jeden Tag zur Kontrolle muss.
Lketinga hat in Maralal kiloweise Miraa eingekauft, das er zu guten Preisen weiterverkauft. Die ganzen Townpeople kommen wegen des Krautes, sogar zwei Somalis betreten zum ersten Mal unseren Shop. Auch sie sind scharf auf Miraa.
Mein Mann schaut sie b"ose an und fragt herablassend, was sie hier wollen. Mir ist sein Verhalten peinlich, weil die beiden freundlich sind und sie durch unser Business schon genug Schaden haben. Sie bekommen ihr Miraa und gehen. Gegen 21 Uhr ist der Shop soweit, dass wir morgen den Verkauf weiterf"uhren k"onnen.
Als ich in meine H"utte krieche, liegt dort ein st"ammiger Krieger mit einem dick verbundenen Bein. Er st"ohnt leise vor sich hin. Ich frage, wie es ihm geht. Okay, ist seine Antwort. Doch das heisst hier noch lange nichts. Kein Sambura w"urde jemals das Gegenteil behaupten, auch wenn er kurz vor dem letzten Atemzug steht. Er schwitzt sehr, und es riecht stark nach einem Gemisch aus Schweiss und Jod. Als kurze Zeit sp"ater Lketinga in die H"utte kommt, hat er zwei B"undel Miraa dabei. Er spricht den Verletzten an, doch die Antwort kommt nur stockend. Vermutlich hat der Mann hohes Fieber. Nach einigem Hin und Her darf ich seine Temperatur messen.
Das Fieberthermometer zeigt 40,5
W"ahrend Lketinga bei seinem Gef"ahrten bleibt, gehe ich am n"achsten Morgen zum Laden. Das Gesch"aft l"auft wie verr"uckt, da sich die Nachricht vom Zucker- und Maismehlnachschub wie ein Lauffeuer verbreitet hat. An diesem Tag macht Anna einen schlappen Eindruck. Immer wieder setzt sie sich. Zwischendurch rennt sie nach draussen und "ubergibt sich. Beunruhigt frage ich, was los ist. Doch Anna meint, es geht schon, viel eicht habe sie leichte Malaria. Ich schicke sie nach Hause, und der Mann, der unseren Lori begleitet hat, bietet sich an, mir zu helfen. Ich bin froh "uber diese Unterst"utzung, da er wirklich zupacken kann. Nach mehreren Stunden schmerzt mein Kreuz wieder f"urchterlich. Ob es an der Schwangerschaft oder am ewigen B"ucken liegt, weiss ich nicht. Nun bin ich Ende des dritten Monats, vermute ich. Ausser einer kleinen W"olbung sieht man noch nichts. Mein Mann zweifelt inzwischen meine Mutterschaft an und meint statt dessen, ich h"atte vielleicht ein Geschw"ur im Bauch.
Nach geraumer Zeit betritt Lketinga den Laden. Im ersten Moment stutzt er und herrscht den Mann an, was er hinter der Theke mache. Ich bediene weiter. Der Mann erz"ahlt von Annas schlechtem Befinden und dass sie deswegen nach Hause ging. Wir arbeiten weiter, und mein Mann sitzt da und kaut immer noch Miraa, was mich ungehalten werden l"asst. Ich schicke ihn zum Veterin"ar, um nachzuschauen, ob heute eine Ziege get"otet worden ist, denn ich wil ein gutes Essen mit Fleisch und Kartoffeln machen. Mittags wil ich schliessen, damit ich im hinteren Teil kochen und mich waschen kann. Doch Lketinga und der Helfer wollen durcharbeiten. Auf meinem neuen Holzkohleofen koche ich ein schmackhaftes Eintopfgericht. Endlich kann ich wieder einmal in Ruhe essen. Die H"alfte hebe ich f"ur Lketinga auf. Mit vol em Magen kann ich besser arbeiten.
Nach 19 Uhr sind wir zu Hause. Der Verwundete hockt in unserer H"utte. Es scheint ihm besser zu gehen. Doch welch ein Chaos herrscht hier! "Uberall liegen abgefressene Miraa-Stengel und zerkaute Kaugummi-Klumpen herum. Der Kochtopf steht mit angeklebtem Maisessen neben der Feuerstelle, und rundherum liegen Essensbrocken, auf denen sich Ameisen tummeln. Dazu kommt der "uble Geruch in der H"utte. Mir verschl"agt es fast den Atem. Ich komme m"ude von der Arbeit und muss nun erst die H"utte s"aubern, ganz zu schweigen vom Topf f"ur den Chai, den ich mit den Fingern"ageln sauber kratzen muss.
Als ich meinen Unmut meinem Mann gegen"uber "aussere, stosse ich auf Unverst"andnis. In seinem Miraarausch f"uhlt er sich angegriffen und meint, ich wol e seinem Freund, der gerade mit dem Leben davongekommen ist, nicht helfen. Dabei verlange ich nur etwas Ordnung. Humpelnd verl"asst der Krieger mit meinem Mann die H"utte, und sie gehen zu Mama. Ich h"ore eine heftige Diskussion und f"uhle mich ausgestossen und einsam. Um meine Fassung nicht zu verlieren, krame ich meinen Kassettenrecorder hervor und h"ore deutsche Musik. Nach einiger Zeit streckt Lketinga seinen Kopf in die H"utte und schaut mich missmutig an. „Corinne, what's the problem? Why you hear this music? What's the meaning?“