Die weisse Massai
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Wir gehen wieder zum Somali, und ich bestel e mir dasselbe Essen. Heute habe ich fast die ganze Strecke ohne Hilfe geschafft. Mit dem Essen geht es schon viel leichter. Langsam sp"ure ich wieder Leben in meinem K"orper. Mein Bauch ist flach und nicht mehr hohl eingefal en. Im Lodging betrachte ich mich zum ersten Mal wieder in einem Spiegel. Mein Gesicht hat sich sehr ver"andert. Die Augen kommen mir riesengross vor, meine Backenknochen stechen kantig ab. Bevor wir aufbrechen, hat Lketinga noch einige Kilo Kautabak und Zucker gekauft, ich besorge Reis und Fr"uchte. Die ersten Kilometer bereiten mir enorme M"uhe, da ich st"andig vom ersten in den zweiten Gang schalten muss und viel Kraft f"ur die Kupplung ben"otige.
Lketinga, der neben mir sitzt, hilft, indem er meinem Schenkel mit dem Arm zus"atzlichen Druck verleiht. Wieder fahre ich wie in Trance, und wir erreichen nach mehreren Stunden den Festplatz.
Die Zeremonie
V"ol ig ersch"opft bin ich dennoch "uberw"altigt vom Anblick des riesigen Krals. Aus dem Nichts haben die Frauen ein neues Dorf erbaut. Es sind weit mehr als f"unfzig Manyattas. "Uberal ist Leben. Aus jeder H"utte quil t Rauch. Lketinga sucht zuerst die Manyatta von Mama, w"ahrend ich beim Landrover warte. Meine Beine zittern, und meine d"unnen Arme schmerzen. Innerhalb kurzer Zeit haben sich Kinder, Frauen und Alte um mich versammelt und starren mich an. Ich hoffe, Lketinga kommt bald zur"uck. Tats"achlich erscheint er in Begleitung von Mama. Sie macht ein finsteres Gesicht, als sie mich mustert. „Corinne, jambo… wewe Malaria?“ Ich nicke und unterdr"ucke die aufsteigenden Tr"anen.
Wir packen alles aus und lassen den abgeschlossenen Wagen vor dem Kral stehen. An etwa f"unfzehn Manyattas m"ussen wir vorbeigehen, bevor wir die von Mama erreichen. Der ganze Weg ist mit Kuhfladen "ubers"at. Nat"urlich haben al e ihre Tiere mitgebracht, die momentan unterwegs sind und erst abends heimkehren. Wir trinken Chai, und Mama unterh"alt sich aufgeregt mit Lketinga. Sp"ater erfahre ich, dass wir zwei von den drei Festtagen verpasst haben. Mein Darling ist entt"auscht und wirkt verst"ort. Er tut mir leid. Es wird einen "Altestenrat geben, bei dem die wichtigsten Alten bestimmen, ob er noch zugelassen wird und wie es weitergeht. Mama, die auch zu diesem Rat geh"ort, ist viel unterwegs, um die wichtigsten M"anner aufzusuchen.
Die Festlichkeiten beginnen erst, wenn es dunkel wird und die Tiere zur"uck sind.
Vor der Manyatta sitzend schaue ich dem Treiben zu. Lketinga l"asst sich von zwei Kriegern berichten, w"ahrend sie ihn schm"ucken und kunstvoll bemalen. Es liegt eine enorme Spannung "uber dem Kral. Ich f"uhle mich ausgeschlossen und vergessen.
Seit Stunden hat niemand auch nur ein Wort an mich gerichtet. Bald werden die K"uhe und Ziegen nach Hause kommen, und kurz darauf wird es Nacht sein. Mama kehrt zur"uck und bespricht die Situation mit Lketinga. Sie scheint etwas betrunken zu sein. Alle Alten trinken selbstgebrautes Bier in grossen Mengen.
Ich wil endlich wissen, wie es weitergeht. Lketinga erkl"art mir, dass er einen grossen Ochsen oder f"unf Ziegen f"ur die Alten schlachten muss. Dann seien sie bereit, ihn zu der Zeremonie zuzulassen. Sie w"urden vor Mamas Manyatta heute nacht den Segen sprechen, und er d"urfe den Tanz der Krieger anf"uhren, damit alle offiziell erfahren, dass ihm diese krasse Versp"atung, die normal den Ausschluss bedeutet, verziehen wird. Ich bin erleichtert. Doch er meint, im Moment besitze er keine f"unf grossen Ziegen. H"ochstens zwei, die anderen seien schwanger und die d"urfe man nicht t"oten.
Ich schlage vor, den Verwandten welche abzukaufen. Dabei ziehe ich ein B"undel Geld hervor und gebe es ihm. Er wil erst nicht, da er weiss, dass heute jede Ziege das Doppelte kosten wird. Aber Mama spricht energisch auf ihn ein. Er steckt das Geld ein und verl"asst beim ersten Klingeln der Gl"ockchen, das die R"uckkehr der Tiere ank"undigt, die H"utte.
Unsere Manyatta f"ullt sich nach und nach mit weiteren Frauen. Mama kocht Ugali, ein Maisgericht, und es wird viel geredet. Die H"utte ist vom Feuer nur sp"arlich erhellt.
Ab und zu versucht eine Frau ein Gespr"ach mit mir. Eine j"ungere Frau mit Kleinkind sitzt neben mir und bestaunt zuerst meine Arme, die vol er Massai-Schmuck sind, und sp"ater wagt sie auch, in meine langen glatten Haare zu fassen. Wieder wird gelacht, und sie zeigt auf ihren kahlen Kopf, der nur mit einem Perlenband geschm"uckt ist. Ich sch"uttle den Kopf. Mich mit einer Glatze vorzustellen, f"allt mir schwer.
Draussen ist es bereits stockdunkel, als ich ein grunzendes Ger"ausch vernehme.
Es ist das typische Ger"ausch der M"anner, wenn sie in erregtem Zustand sind, sei es bei Gefahr oder auch beim Sex. Augenblicklich ist es still in der H"utte. Mein Krieger streckt den Kopf herein, verschwindet aber beim Anblick der vielen Frauen gleich wieder. Ich h"ore Stimmen, die immer lauter werden. Pl"otzlich ert"ont ein Schrei, und sofort fallen mehrere Personen in eine Art Summen oder Gurren ein. Neugierig krieche ich hinaus und bin "uberrascht, wie viele Krieger und junge M"adchen vor unserer H"utte zum Tanz versammelt sind. Die Krieger sind sch"on bemalt und tragen ein rotes H"ufttuch. Ihre Oberk"orper sind frei und mit gekreuzten Perlenketten geschm"uckt. Die rote Bemalung ist vom Hals bis zur Mitte der Brust im Spitz zulaufend. Mindestens drei Dutzend Krieger bewegen ihre K"orper im gleichen Rhythmus. Die M"adchen, zum Teil sehr jung, vielleicht neun- bis etwa f"unfzehnj"ahrig, tanzen in einer Reihe, den M"annern zugewandt, im Rhythmus den Kopf bewegend mit. Nur ganz allm"ahlich wird der Rhythmus gesteigert. Nach gut einer Stunde springen die ersten Krieger in die H"ohe, die typischen Massai-Spr"unge.
Mein Krieger sieht wunderbar aus. Er springt wie eine Feder h"oher und h"oher. Die langen Haare flattern bei jedem Sprung. Die nackten Oberk"orper gl"anzen vor Schweiss.
Man sieht alles nur undeutlich in der sternenklaren Nacht, daf"ur sp"urt man f"ormlich die Erotik, die sich durch das stundenlange Tanzen verbreitet. Die Gesichter sind ernst und die Augen starr. Ab und zu ert"ont ein wilder Schrei, oder ein Vorsprecher singt, und die anderen fal en mit ein. Es ist phantastisch, und f"ur Stunden vergesse ich meine Krankheit und M"udigkeit.
Die M"adchen suchen sich immer wieder andere Krieger aus, denen sie mit ihren nackten Br"usten und dem riesigen Halsschmuck entgegenwippen. Bei ihrem Anblick "uberkommt mich Traurigkeit. Mir wird bewusst, dass ich mit meinen siebenundzwanzig Jahren hier schon alt bin. Vielleicht nimmt Lketinga sp"ater so ein junges M"adchen als Zweitfrau. Von Eifersucht geplagt, f"uhle ich mich deplaziert und ausgeschlossen.
Die Gruppe formiert sich zu einer Art Polonaise, und Lketinga f"uhrt stolz die Kolonne an. Er sieht wild und unnahbar aus. Langsam geht der Tanz zu Ende. Die M"adchen begeben sich kichernd etwas abseits. Die Alten sitzen in ihre Wolldecken geh"ullt im Kreis am Boden. Die Morans bilden ebenfal s einen Kreis. Nun wird der Segen von den Alten gesprochen. Einer spricht einen Satz, und alle sagen „Enkai“, das Massai-Wort f"ur Gott. Dies wiederholt sich eine halbe Stunde lang, dann ist das gemeinsame Fest f"ur heute beendet. Lketinga kommt zu mir und meint, ich solle nun mit Mama schlafen gehen. Er gehe mit den anderen Kriegern in den Busch, um eine Ziege zu schlachten. Geschlafen wird nicht, sondern von alten und kommenden Zeiten gesprochen. Ich kann das gut verstehen und w"unsche ihm eine wunderbare Nacht.