Die weisse Massai
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Der Bursche steht ratlos herum, weil er nicht weiss, wo er ohne Geld "ubernachten soll. Er ist sehr scheu und hilfsbereit. Dauernd schleppt er meine Reisetasche. Ich schlage vor, in das mir bekannte Lodging zu gehen, um etwas zu trinken und nach Zimmern Ausschau zu halten. Die Wirtin begr"usst mich freudig, doch auf meine Anfrage nach zwei Zimmern sch"uttelt sie bedauernd den Kopf. Eines kann sie mir bis zum Abend frei machen, weil ich ihr Stammgast bin. Wir trinken Chai und klappern die anderen Lodgings ab. Ich bin bereit, diesen f"ur mich kleinen Betrag zu "ubernehmen. Doch alle sind belegt. Inzwischen wird es dunkel und k"alter. Ich "uberlege hin und her, ob ich den Jungen im zweiten Bett in meinem Zimmer einquartieren soll. F"ur mich w"are es kein Problem, aber wie das die Leute auffassen, weiss ich nicht. Ich frage ihn, was er zu tun gedenkt. Er erkl"art mir, er m"usse ausserhalb von Maralal verschiedene Manyattas aufsuchen. Wenn er eine Mama findet, die einen Sohn seines Alters hat, muss sie ihn aufnehmen.
Das erscheint mir nun wirklich zu umst"andlich, denn wir wollen um f"unf Uhr losfahren. Kurz entschlossen biete ich ihm mein zweites Bett an, das an der gegen"uberliegenden Wand steht. Im ersten Moment schaut er mich verlegen an und lehnt dankend ab. Er meint, er k"onne unm"oglich im Raum einer Krieger-Braut schlafen, das w"urde Probleme geben. Ich lache, nehme das Ganze nicht so ernst und sage, er sol e es eben niemandem erz"ahlen. Ich gehe zuerst ins Lodging. Dem W"achter gebe ich ein paar Schilling mit der Bitte, mich um 4.30 Uhr zu wecken. Der Junge erscheint eine halbe Stunde sp"ater. Voll angezogen liege ich bereits im Bett, obwohl es erst acht Uhr ist. Bei der Dunkelheit draussen ist nichts mehr los, ausser in vereinzelten Bars, die ich meide.
Die kahle Gl"uhbirne erhel t den h"asslichen Raum in aller Deutlichkeit. An den W"anden br"ockelt der blau gestrichene Putz ab, und "uberall sind braune Flecken, von denen sich d"unne Tropfspuren nach unten ziehen. Es sind scheussliche Reste von ausgespucktem Tabak. Daheim in der Manyatta haben das am Anfang Mama und andere "altere Besucher auch gemacht, bis ich mich dar"uber beschwerte. Jetzt spuckt Mama unter einen der Feuersteine. Das Lodging-Zimmer empfinde ich als "ausserst eklig. Der Bursche legt sich angezogen ins Bett und dreht sich sofort zur Wand. Wir l"oschen die grelle Gl"uhbirne und reden nicht mehr.
Es poltert an der T"ur. Ich schrecke aus dem Tiefschlaf auf und frage, was los ist.
Noch bevor eine Antwort kommt, sagt der Bursche, es sei schon fast f"unf Uhr. Wir m"ussen los! Wenn der Pick-up voll ist, f"ahrt er einfach ab. Wir raffen unsere Sachen zusammen und st"urzen zum verabredeten Ort. "Uberall stehen Sch"uler in kleinen Gruppen zusammen. Einige steigen in ein Fahrzeug. Der Rest wartet wie wir in der kalten Dunkelheit. Ich friere f"urchterlich. Um diese Zeit ist Maralal kalt und feucht vom Tau. Wir k"onnen nicht einmal Tee trinken, da in den Lodgings noch kein Betrieb ist.
Um sechs Uhr f"ahrt der normal verkehrende Bus "uberbesetzt und hupend an uns vorbei. Unser Fahrer ist noch nicht aufgetaucht. Er scheint es nicht eilig zu haben, da wir auf ihn angewiesen sind. Es wird hel, und wir warten nach wie vor. Nun packt mich die Wut. Ich will weg hier, und zwar heute noch bis Nairobi. Der Junge sucht verzweifelt nach einer Mitfahrgelegenheit, doch die wenigen Wagen sind restlos "uberf"ul t, es gibt nur die M"oglichkeit, von einem mit Kohlk"opfen beladenen Lastwagen mitgenommen zu werden. Ich sage sofort zu, denn wir haben keine Wahl.
Schon nach den ersten paar Metern bezweifle ich, ob ich richtig gehandelt habe.
Es ist die reinste Tortur, auf den harten Dingern zu sitzen, die sich dauernd bewegen. Festhalten kann ich mich nur am Gel"ander, und das schl"agt mir st"andig in die Rippen. Bei jedem Schlagloch hebt es uns in die Luft, um anschliessend auf den harten Kohlk"opfen zu landen. Unterhalten kann man sich nicht. Es ist viel zu laut und zu gef"ahrlich, denn bei diesen Schl"agen k"onnte man sich auf die Lippen beissen.
Irgendwie "uberlebe ich die viereinhalb Stunden bis Nyahururu.
V"ol ig zerschlagen klettere ich vom Laster und verabschiede mich von meinem jungen Begleiter, da ich in ein Restaurant gehen will, um eine Toilette aufzusuchen.
Als ich meine Jeans herunterstreife, entdecke ich grosse violette Flecken an den Oberschenkeln. Mein Gott, bis ich in der Schweiz bin, sind meine mageren Beine auch noch dunkelblau unterlaufen! Meine Mutter wird der Schlag treffen, denn seit meinem letzten Besuch vor zwei Monaten habe ich mich k"orperlich sehr ver"andert.
Sie weiss bis jetzt nicht einmal, dass ich schon wieder nach Hause komme, unverheiratet und schwer angeschlagen.
Im Restaurant bestel e ich mir eine Cola und ein richtiges Essen. Es gibt H"uhnchen, und so verzehre ich ein halbes Poulet mit pappigen Pommes frites. Um hier zu "ubernachten, ist es noch zu fr"uh. Deshalb schleppe ich meine Tasche zum Busbahnhof, wo wie immer viel Betrieb ist. Ich habe Gl"uck, ein Bus nach Nairobi ist abfahrbereit. Die Strecke ist geteert, was eine Wohltat ist, und ich schlafe auf meinem Sitz ein. Als ich wieder einmal aus dem Fenster schaue, sind wir nur noch etwa eine Stunde von meinem Ziel entfernt. Wenn ich Gl"uck habe, erreichen wir die Megastadt, bevor es dunkel ist. Das Igbol liegt nicht gerade in einer ungef"ahrlichen Gegend. Es d"ammert bereits, als wir die Aussenbezirke der Stadt erreichen.
"Uberall steigen jetzt Menschen mit ihren Habseligkeiten aus, w"ahrend ich mein Gesicht krampfhaft an die Scheibe dr"ucke, um mich im Lichtermeer zu orientieren.
Bis jetzt kommt mir nichts bekannt vor. Im Bus sind noch f"unf Personen, und ich bin unschl"ussig, ob ich nicht einfach aussteigen sol, denn bis zum Busbahnhof will ich auf keinen Fal, dort ist es um diese Zeit f"ur mich zu gef"ahrlich. St"andig schaut der Chauffeur im R"uckspiegel zu mir und wundert sich, warum die Mzungu nicht aussteigt. Nach einer Weile fragt er, wohin ich wil. Ich antworte: „To Igbol-Hotel.“
Er zuckt die Schultern. Da f"al t mir der Name eines riesigen Kinos ein, das in unmittelbarer N"ahe des Igbol liegt. „Mister, you know Odeon Cinema?“
frage ich hoffnungsvol. „Odeon Cinema? This place is no good for Mzungu-lady!“
belehrt er mich. „It's no problem for me. I only go into the Igbol-Hotel. There are some more white people“,
gebe ich zur Antwort. Er wechselt ein paarmal die Fahrspur, biegt mal links, mal rechts ab und h"alt direkt vor dem Hotel. Dankbar f"ur diesen Service gebe ich ihm ein paar Schillinge. In meinem ersch"opften Zustand bin ich um jeden Meter froh, den ich nicht laufen muss.