Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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«Die Welt«, rief der Professor heftig,»die ganze Welt! – O es ist entsetzlich! Aller Glaube an die innere, hohere, angeborene Geisteskraft, die allein nur den Gelehrten, den Kunstler schafft, geht ja uber jenen heillosen, tollen Grundsatz zum Teufel!«
«Ereifert Euch nicht«, sprach der Meister lachelnd,»soviel wie ich weiss, ist bis jetzt in unserm guten Deutschland nur ein einziges Produkt jener Erziehungsmethode aufgestellt worden, von dem die Welt eine Zeit lang sprach, und zu sprechen aufhorte, als sie einsah, dass das Produkt eben nicht sonderlich geraten. Zudem fiel die Blutezeit jenes Praparats in die Periode, als gerade die Wunderkinder in die Mode gekommen, die, wie sonst muhsam abgerichtete Hunde und Affen, gegen ein billiges Entree ihre Kunste zeigten.«
«So sprecht Ihr nun«, nahm der Professor das Wort,»Meister Abraham, und man wurde Euch glauben, kennte man nicht den verborgenen Schalk in Euch, wusste man nicht, dass Euer ganzes Leben eine Reihe der wunderlichsten Experimente darbietet. Gesteht es nur Meister Abraham, gesteht es nur, Ihr habt ganz im Stillen, im geheimsten Geheim, experimentiert nach jenem Grundsatz, aber uberbieten wolltet Ihr den Mann, den Verfertiger jenes Praparats von dem wir sprachen. – Ihr wolltet, wart Ihr ganz fertig, hervortreten mit Eurem Zogling, und alle Professoren in der ganzen Welt in Erstaunen versetzen und Verzweiflung, Ihr wolltet den schonen Grundsatz: ›non ex quovis ligno fit Mercurius‹ ganz und gar zu Schanden machen! – Nun kurz, der quovis ist da, aber kein Mercurius, sondern ein Kater!« —»Was sagt Ihr«, rief der Meister, indem er laut auflachte, was sagt Ihr, ein Kater?«
«Leugnet es nur nicht«, fuhr der Professor fort,»an dem Kleinen dort in der Kammer habt Ihr jene abstrakte Erziehungsmethode versucht, Ihr habt ihn lesen, schreiben gelehrt, Ihr habt ihm die Wissenschaft beigebracht, so dass er sich schon jetzt unterfangt den Autor zu spielen, ja sogar Verse zu machen.«
«Nun
«So?«fragte der Professor mit gedehntem Ton, zog ein Heft aus der Tasche, das ich augenblicklich fur das mir von dem jungen Ponto geraubte Manuskript erkannte, und las:
Ich hoffe, dass jeder meiner gutigen Leser die Musterhaftigkeit dieses herrlichen Sonetts, das aus der tiefsten Tiefe meines Gemuts hervorfloss, einsehen, und mich um so mehr bewundern wird, wenn ich versichere, dass es zu den ersten gehort, die ich uberhaupt verfertigt habe. Der Professor las es aber, in seiner Bosheit, so ohne allen Nachdruck, so abscheulich vor, dass ich mich kaum selbst erkannte, und dass ich von plotzlichem Jahzorn, wie er jungen Dichtern wohl eigen, ubermannt, im Begriff war, aus meinem Schlupfwinkel hervor, dem Professor ins Gesicht zu springen, und ihn die Scharfe meiner Krallen fuhlen zu lassen. Der kluge Gedanke, dass ich doch, wenn beide, der Meister und der Professor, sich uber mich her machten, notwendig den Kurzern ziehen musse, liess mich meinen Zorn mit Gewalt niederkampfen, jedoch entfuhr mir unwillkurlich ein knurrendes Miau, das mich unfehlbar verraten haben wurde, hatte der Meister nicht, da der Professor mit dem Sonett fertig, aufs neue eine drohnende Lache aufgeschlagen, die mich beinahe noch mehr krankte als des Professors Ungeschick.
«Hoho«, rief der Meister, wahrhaftig,»das Sonett ist eines Katers vollkommen wurdig; aber noch immer verstehe ich nicht Euern Spass, Professor, sagt mir nur lieber gerade zu, wo Ihr hinauswollt.«
Der Professor, ohne dem Meister zu antworten, blatterte im Manuskript, und las weiter:
«Nein«, unterbrach hier der Meister den lesenden Professor,»mein Freund, Ihr macht mich in der Tat ungeduldig, Ihr oder ein anderer Schalk hat sich den Spass gemacht, im Geist eines Katers, der nun gerade mein guter Murr sein soll, Verse zu machen, und nun foppt Ihr mich den ganzen Morgen damit herum. Der Spass ist ubrigens nicht ubel, und wird vorzuglich dem Kreisler sehr wohl gefallen, der wohl nicht unterlassen durfte, damit eine kleine Parforcejagd anzustellen, in der Ihr am Ende selbst ein gehetztes Wild sein konntet. Aber nun lasst Eure sinnreiche Einkleidung fahren und sagt mir ganz ehrlich und trocken, was es mit Eurem seltsamen Spass eigentlich fur eine Bewandnis hat.«
Der Professor schlug das Manuskript zusammen, sah dem Meister ernst ins Auge, und sprach dann:»Diese Blatter brachte mir vor einigen Tagen mein Pudel Ponto, der, wie Euch bekannt sein wird, mit Eurem Kater Murr in freundschaftlichen Verhaltnissen lebt. Zwar trug er das Manuskript zwischen den Zahnen, wie er nun einmal alles zu tragen gewohnt ist, indessen legte er es mir doch ganz unversehrt in den Schoss, und gab mir dabei deutlich zu verstehen, dass er es von keinem andern habe, als von seinem Freunde Murr. Als ich nun einen Blick hineinwarf, fiel mir gleich die ganz besondere, eigentumliche Handschrift auf, als ich aber einiges gelesen, stieg in mir, selbst weiss ich nicht auf welche unbegreifliche Art, der seltsame Gedanke auf, Murr konne das alles selbst gemacht haben. So sehr mir die Vernunft, ja eine gewisse Lebenserfahrung, der wir alle nicht entgehen konnen, und die am Ende nun wieder weiter nichts ist, als die Vernunft, so sehr mir also eben diese Vernunft sagt: dass jener Gedanke unsinnig, da Kater weder zu schreiben noch Verse zu machen im Stande, so konnte ich ihn doch durchaus nicht los werden. Ich beschloss Euern Kater zu beobachten, und stieg, da ich von meinem Ponto wusste, dass Murr viel auf Eurem Boden hausiere, auf meinen Boden, nahm einige Dachziegel herab, so dass ich mir die freie Aussicht in Eure Dachluken verschaffte. Was gewahrte ich! – Hort es und erstaunt! – In dem einsamsten Winkel des Bodens sitzt Euer Kater! – sitzt aufgerichtet vor einem kleinen Tisch, auf dem Schreibzeug und Papier befindlich, sitzt und reibt sich bald mit der Pfote Stirn und Nacken, fahrt sich uber's Gesicht, tunkt bald die Feder ein, schreibt, hort wieder auf, schreibt von neuem, uberliest das Geschriebene, knurrt (ich konnte es horen) knurrt und spinnt vor lauter Wohlbehagen. – Um ihn her liegen verschiedene Bucher, die, nach ihrem Einband, aus Eurer Bibliothek entnommen.«—
«Das ware ja der Teufel«, rief der Meister,»nun so will ich denn gleich nachsehen, ob mir Bucher fehlen.«
Damit stand er auf, und trat an den Bucherschrank. Sowie er mich erblickte, prallte er drei Schritte zuruck, und blickte mich an voll Erstaunen. Aber der Professor rief:»Seht Ihr wohl, Meister? Ihr denkt, der Kleine sitzt harmlos in der Kammer, in die Ihr ihn eingesperrt, und er hat sich hinein geschlichen in den Bucherschrank, um zu studieren, oder noch wahrscheinlicher, um uns zu belauschen. Nun hat er alles gehort was wir gesprochen, und kann seine Massregeln darnach nehmen.«»Kater«, begann der Meister, indem er fortwahrend den Blick voll Erstaunen auf mir ruhen liess,»Kater, wenn ich wusste dass du, deine ehrliche, naturliche Natur ganz und gar verleugnend, dich wirklich darauf verlegtest, solche vertrakte Verse zu machen, wie sie der Professor vorgelesen, wenn ich glauben konnte, dass du wirklich den Wissenschaften nachstelltest, statt den Mausen, ich glaube, ich konnte dir die Ohren wund zwicken, oder gar«
Mich uberfiel eine schreckliche Angst, ich kniff die Augen zu, und tat, als schliefe ich fest.
«Aber nein, nein«, fuhr der Meister fort,»schaut nur einmal her, Professor, wie mein ehrlicher Kater so sorglos schlaft, und sagt selbst, ob er in seinem gutmutigen Antlitz etwas tragt, das auf solche geheime wunderbare Schelmereien, wie Ihr sie ihm Schuld gebt, gedeutet werden konnte – Murr! – Murr!
–
So rief der Meister mich an, und ich unterliess nicht wie gewohnlich mit meinem Krr – Krr – zu antworten, die Augen aufzuschlagen, mich zu erheben und einen hohen, sehr anmutigen Katzenbuckel zu machen.