Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
Шрифт:
Der Geheimerat tat es auf der Stelle, und las laut:
«Dieses alte ganz einfache Bogeninstrument besteht aus drei dunnen, sieben Schuh langen Brettern, die unten, wo das Instrument auf dem Fussboden aufstehet, sechs bis sieben Zoll, oben aber kaum zwei Zoll breit und in der Form eines Triangels zusammengeleimt sind, so dass das Korpus, welches oben eine Art von Wirbelkasten hat, von unten bis oben verjungt zulauft. Eins von diesen drei Brettern macht den Sangboden aus, der mit einigen Schallochern versehen, und mit einer einzigen, etwas starken Darmsaite bezogen ist. Bei dem Spielen stellt man das Instrument schief vor sich hin, und stemmt den obern Teil desselben gegen die Brust. Mit dem Daumen der linken Hand beruhrt der Spieler die Saite da, wo die zu greifenden Tone liegen, ganz gelinde und ungefahr ebenso wie bei dem Flautino oder Flageolett auf der Geige, wahrend mit der rechten Hand die Saite mit dem Bogen angestrichen wird. Der eigentumliche Ton dieses Instruments, der dem Tone einer gedampften Trompete gleicht, wird durch den besondern Steg hervorgebracht, auf welchem die Saite unten auf dem Resonanzboden ruhet. Dieser Steg hat beinahe die Gestalt eines kleinen Schuhes, der vorn ganz niedrig und dunne, hinten hingegen hoher und starker ist. Auf dem hintern Teile desselben liegt die Saite auf, und verursacht, wenn sie angestrichen wird, durch ihre Schwingungen, dass sich der vordere und leichte Teil des Steges auf dem Sangboden auf und nieder bewegt, wodurch der schnarrende, und der gedampften Trompete ahnliche Ton, hervorgebracht wird!«—
«Baut mir ein solches Instrument«, rief der Geheimerat mit glanzenden Augen,»Meister Abraham, ich werfe meine Nagelgeige in den Winkel, beruhre nicht mehr den Euphon, sondern setze Hof und Stadt in Erstaunen, auf der Trompette marine die wunderbarsten Lieder spielend!«—
«Ich tue das«, erwiderte Meister Abraham,»und moge, bester Geheimerat, der Geist von Tante Fusschen im gruntaftnen Kleide uber Sie kommen, und Sie eben als Geist begeistern!«—
Der Geheimerat umarmte entzuckt den Meister, aber Kreisler trat zwischen beide, indem er beinahe argerlich sprach.»Ei, seid Ihr nicht argere Haselanten, als ich jemals einer gewesen bin, und dabei unbarmherzig gegen den, den Ihr zu lieben vorgebt! – Begnugt Euch doch damit, dass Ihr mit jener Beschreibung eines Instruments, dessen Ton mein Innerstes durchbebte, mir Eiswasser uber die heisse Stirn gegossen, und schweigt von der Lautenistin! – Nun, Du wolltest ja Geheimerat, ich sollte von meiner Jugend sprechen, und schnitt der Meister dazu Schattenbilder, die zu Momenten aus jener Zeit passten, so konntest Du mit der schonen, mit Kupferstichen verzierten, Ausgabe meiner biographischen Skizzen zufrieden sein. Als Du aber den Artikel aus dem Koch lasest, fiel mir sein lexikalischer Kollege Gerber ein, und ich erblickte mich, einen Leichnam, ausgestreckt auf der Tafel liegend, bereit zur biographischen Sektion. – Der Prospekt konnte sagen: ›Es ist gar nicht zu verwundern, dass in dem Innern dieses jungen Mannes durch tausend Adern und Aderchen lauter musikalisches Blut lauft, denn das war der Fall bei vielen seiner Blutsverwandten, deren Blutsverwandter er eben deshalb ist.‹ – Ich will namlich sagen, dass die mehrsten von meinen Tanten und Onkels, deren es, wie der Meister weiss, und Du eben erst erfahren hast, eine nicht geringe Anzahl gab, Musik trieben, und noch dazu meistenteils Instrumente spielten, die schon damals sehr selten waren, jetzt aber zum Teil verschwunden sind, so, dass ich nur noch im Traum die ganz wunderbar klingenden Konzerte vernehme, die ich ungefahr bis zu meinem zehnten, eilften Jahr horte. – Mag es sein, dass deshalb mein musikalisches Talent schon im ersten Aufkeimen die Richtung genommen hat, die in meiner Art zu instrumentieren sich kund tun soll, und die man als zu phantastisch verwirft. – Kannst Du Dich, Geheimerat, der Tranen enthalten, wenn Du recht schon auf dem uralten Instrument, auf der Viola d'Amore, spielen horst, so danke dem Schopfer fur Deine robuste Konstitution; ich fur mein Teil flennte betrachtlich, als der Ritter Esser sich darauf horen liess, fruher aber noch mehr, wenn ein grosser ansehnlicher Mann, dem die geistliche Kleidung ungemein gut stand, und der nun wieder mein Onkel war, mir darauf vorspielte. So war denn auch eines andern Verwandten Spiel auf der Viola di Gamba gar angenehm und verlockend, wiewohl derjenige Onkel, der mich erzog, oder vielmehr nicht erzog, und der das Spinett mit barbarischer Virtuositat zu hantieren wusste, ihm mit Recht Mangel an Takt vorwarf. Der Arme geriet auch bei der ganzen Familie in nicht geringe Verachtung, als man erfahren, dass er in aller Frohlichkeit nach der Musik einer Sarabande eine Menuett a la Pompadour getanzt. Ich konnte Euch uberhaupt viel erzahlen von den musikalischen Belustigungen meiner Familie, die oft einzig in ihrer Art sein mochten, aber es wurde manches Groteske mit unter laufen, woruber Ihr lachen musstet; und meine werten Verwandten Eurem Gelachter preiszugeben, das verbietet mir der Respectus Parentelis.«
«Johannes«, begann der Geheimerat,»Du wirst es mir in Deiner Gemutlichkeit nicht verargen, wenn ich eine Saite in Deinem Innern anschlage, deren Beruhrung Dich vielleicht schmerzt. – Immer sprichst Du von Onkeln, von Tanten, nicht gedenkst Du Deines Vaters, Deiner Mutter!«—
«O mein Freund«, erwiderte Kreisler mit dem Ausdruck der tiefsten Bewegung,»eben heute gedachte ich, – doch nein, nichts mehr von Erinnerungen, von Traumen, nichts von dem Augenblick, der heute alles nur gefuhlte, nicht verstandene Weh meiner fruhen Knabenzeit weckte, aber eine Ruhe kam dann in mein Gemut, die der ahnungsvollen Stille des Waldes gleicht, wenn der Gewittersturm voruber! Ja Meister, Ihr habt recht, ich stand unter dem Apfelbaum, und horchte auf die weissagende Stimme des hinsterbenden Donners! – Du kannst Dir deutlicher die dumpfe Betaubung denken, in der ich wohl ein paar Jahre fortleben mochte, als ich Tante Fusschen verloren, wenn ich Dir sage, dass der Tod meiner Mutter, der in diese Zeit fallt, keinen sonderlichen Eindruck auf mich machte. Weshalb aber mein Vater mich ganz dem Bruder meiner Mutter uberliess, oder uberlassen musste, darf ich Dir nicht sagen, da Du Ahnliches in manchem verbrauchten Familienroman, oder in irgendeiner Ifflandschen Hauskreuzkomodie nachlesen kannst. Es genugt, Dir zu sagen, dass, wenn ich meine Knaben-, ja einen guten Teil meiner Junglingsjahre, im trostlosen Einerlei verlebte, dies wohl eben dem Umstande zuzuschreiben, dass ich elternlos war. Der schlechte Vater ist noch immer viel besser, als jeder gute Erzieher, mein' ich, und mir schauert die Haut, wenn Eltern in lieblosem Unverstande ihre Kinder von sich lassen und verweisen in diese, jene Erziehungsanstalt, wo die Armen ohne Rucksicht auf ihre Individualitat, die ja niemanden anders als eben den Eltern recht klar aufgehen kann, nach bestimmter Norm zugeschnitten und appretiert werden. – Was nun eben die Erziehung betrifft, so darf sich kein Mensch auf Erden daruber verwundern, dass ich ungezogen bin, denn der Oheim zog oder erzog mich ganz und gar nicht, sondern uberliess mich der Willkur der Lehrer, die ins Haus kamen, da ich keine Schule besuchen, und auch durch irgendeine Bekanntschaft mit einem Knaben meines Alters die Einsamkeit des Hauses, das der unverheiratete Oheim mit einem alten trubsinnigen Bedienten allein bewohnte, nicht storen durfte. – Ich besinne mich nur auf drei verschiedene Falle, in denen der beinahe bis zum Stumpfsinn gleichgultige, ruhige Oheim einen kurzen Akt der Erziehung vornahm, indem er mir eine Ohrfeige zuteilte, so, dass ich wirklich wahrend meiner Knabenzeit drei Ohrfeigen empfangen. Ich konnte Dir, mein Geheimerat, da ich eben zum Schwatzen so aufgelegt, die Geschichte von den drei Ohrfeigen als ein romantisches Kleeblatt auftischen, doch hebe ich nur die mittelste heraus, da ich weiss, dass Du auf nichts so erpicht bist, als auf meine musikalischen Studien, und es Dir nicht gleichgultig sein kann, zu erfahren, wie ich zum erstenmal komponierte. – Der Oheim hatte eine ziemlich starke Bibliothek, in der ich nach Gefallen stobern und lesen durfte was ich wollte; mir fielen Rousseau's ›Bekenntnisse‹ in der deutschen Ubersetzung in die Hande. Ich verschlang das Buch, das eben nicht fur einen zwolfjahrigen Knaben geschrieben, und das den Samen manches Unheils in mein Inneres hatte streuen konnen. Aber nur ein einziger Moment aus allen, zum Teil sehr verfanglichen, Begebenheiten erfullte mein Gemut so ganz und gar, dass ich alles ubrige daruber vergass. Gleich elektrischen Schlagen traf mich namlich die Erzahlung, wie der Knabe Rousseau von dem machtigen Geist seiner innern Musik getrieben, sonst aber ohne alle Kenntnis der Harmonik, des Kontrapunkts, aller praktischen Hilfsmittel, sich entschliesst, eine Oper zu komponieren, wie er die Vorhange des Zimmers herablasst, wie er sich aufs Bette wirft, um sich ganz der Inspiration seiner Einbildungskraft hinzugeben, wie ihm nun sein Werk aufgeht, gleich einem herrlichen Traum! – Tag und Nacht verliess mich nicht der Gedanke an diesen Moment, mit dem mir die hochste Seligkeit uber den Knaben Rousseau gekommen zu sein schien! – Oft war es mir, als sei ich auch schon dieser Seligkeit teilhaftig geworden, und dann, nur von meinem festen Entschlusse hange es ab, mich auch in dies Paradies hinaufzuschwingen, da der Geist der Musik in mir ebenso machtig beschwingt sei. Genug, ich kam dahin, es meinem Vorbilde nachmachen zu wollen. Als namlich an einem sturmischen Herbstabend, der Oheim wider seine Gewohnheit das Haus verlassen, liess ich sofort die Vorhange herab, und warf mich auf des Oheims Bett, um, wie Rousseau, eine Oper im Geiste zu empfangen. So vortrefflich aber die Anstalten waren, so sehr ich mich abmuhte, den dichterischen Geist heranzulocken, doch blieb er im storrischen Eigensinn davon. Durchaus summte mir, statt aller herrlichen Gedanken, die mir aufgehen sollten, ein altes erbarmliches Lied vor den Ohren, dessen weinerlicher Text begann: ›Ich liebte nur Ismenen, Ismene liebt' nur mich‹, und liess, so sehr ich mich dagegen straubte, nicht nach. ›Jetzt kommt der erhabene Priesterchor: Hoch von Olympos Hoh'n‹, rief ich mir zu, aber: ›Ich liebte nur Ismenen‹, summte die Melodie fort und unaufhorlich fort, bis ich zuletzt fast einschlief. Mich weckten laute Stimmen, indem ein unertraglicher Geruch mir in die Nase fuhr und den Atem versetzte. Das ganze Zimmer war von dickem Rauch erfullt, und in dem Gewolk stand der Oheim, und trat die Reste der flammenden Gardine, die den Kleiderschrank verbarg, nieder und rief: ›Wasser her – Wasser her!‹ bis der alte Diener Wasser in reichlicher Fulle herbeibrachte, uber den Boden ausgoss, und so das Feuer loschte. Der Rauch zog langsam durch die Fenster. ›Wo ist nur der Unglucksvogel,‹ fragte der Oheim, indem er im Zimmer umherleuchtete. Ich wusste wohl, welchen Vogel er meinte, und blieb mauschenstill im Bette, bis der Oheim hinantrat und mir mit einem zornigen: ›Will Er wohl gleich heraus!‹ auf die Beine half. ›Steckt mir der Bosewicht das Haus uber dem Kopfe an,‹ fuhr der Onkel fort! Ich versicherte, auf weiteres Befragen, ganz ruhig, dass ich auf dieselbe Weise wie der Knabe Rousseau nach dem Inhalt seiner Bekenntnisse es getan, eine Opera seria im Bett komponiert hatte, und dass ich durchaus gar nicht wisse, wie der Brand entstanden. – ›Rousseau? komponiert? Opera seria? – Pinsel!‹ – So stotterte der Oheim vor Zorn, und teilte mir die kraftige Ohrfeige zu, die ich als die zweite empfing, so dass ich, vor Schreck erstarrt, sprachlos stehen blieb, und in dem Augenblick horte ich wie einen Nachklang des Schlages ganz deutlich: ›Ich liebte nur Ismenen‹ usw. usw. Sowohl gegen dieses Lied, als gegen die Begeisterung des Komponierens uberhaupt, empfand ich von diesem Augenblick an einen lebhaften Widerwillen.«
«Aber wie war nur das Feuer entstanden?«fragte der Geheimerat.
«Noch in diesem Augenblick,
«So ist es mir, nahm der Geheimerat das Wort, aber ganz unbegreiflich, dass der Oheim Deiner Neigung nicht Freiheit liess, sondern Dich hineinzwang in eine andere Laufbahn. Soviel ich namlich weiss, ist Deine Kapellmeisterschaft eben nicht von lange her.«
«Und auch nicht weit her«, rief Meister Abraham lachend, und fuhr, indem er das Bildnis eines kleinen, wunderlich gebauten Mannes an die Wand warf, weiter fort.»Aber nun muss ich mich des wackern Oheims, den mancher verruchte Neffe den O weh Onkel nannte, weil er sich mit Vornamen Ottfried Wenzel schrieb, ja nun muss ich mich seiner annehmen, und der Welt versichern, dass wenn der Kapellmeister Johannes Kreisler es sich einfallen liess, Legationsrat zu sein und sich abzuqualen mit seiner innersten Natur ganz widrigen Dingen, niemand weniger daran schuld ist, als eben der O weh Onkel.«—»O still davon, Meister, sprach Kreisler, und nehmt mir dort den Oheim von der Wand, denn mocht' er auch wirklich lacherlich genug aussehen, so mag ich doch eben heute uber den Alten, der lange im Grabe ruht, nicht lachen!«—
«Ihr ubernehmt Euch heute ja ganz in geziemlicher Empfindsamkeit«, erwiderte der Meister; Kreisler achtete aber nicht darauf, sondern sprach, sich zum kleinen Geheimerat wendend:»Du wirst es bedauern, mich zum Schwatzen gebracht zu haben, da ich Dir, der vielleicht das Ausserordentliche erwartete, nur Gemeines, wie es sich tausendmal im Leben wiederholt, auftischen kann. – So ist es auch gewiss, dass es nicht Erziehungszwang, nicht besonderer Eigensinn des Schicksals, nein, dass es der gewohnlichste Lauf der Dinge war, der mich fortschob, so dass ich unwillkurlich dort hinkam, wo ich eben nicht hin wollte. Hast du nicht bemerkt, dass es in jeder Familie einen gibt, der sich, sei es durch besonderes Genie, oder durch das gluckliche Zusammentreffen gunstiger Ereignisse, zu einer gewissen Hohe hinaufschwang, und der nun, ein Heros, in der Mitte des Kreises steht, zu dem die lieben Verwandten demutig hinaufblicken, dessen gebietende Stimme vernommen wird in entscheidenden Spruchen, von denen keine Appellation moglich? – So ging es mit dem jungern Bruder meines Oheims, der dem musikalischen Familiennest entflohen war, und in der Residenz als geheimer Legationsrat, in der Nahe des Fursten, eine ziemlich wichtige Person vorstellte. Sein Emporsteigen hatte die Familie in eine staunende Bewunderung gesetzt, die nicht nachliess. Man nannte den Legationsrat mit feierlichem Ernst, und wenn es hiess: ›Der geheime Legationsrat hat geschrieben, der geheime Legationsrat hat das und das geaussert‹, so horchte alles in stummer Ehrfurcht auf. Dadurch schon seit meiner fruhesten Kindheit daran gewohnt, den Oheim in der Residenz als einen Mann anzusehen, der das hochste Ziel alles menschlichen Strebens erreicht, musste ich es naturlich finden, dass ich gar nichts anders tun konnte, als in seine Fusstapfen treten. Das Bildnis des vornehmen Oheims hing in dem Prunkzimmer, und keinen grossern Wunsch hegte ich, als so frisiert, so gekleidet umherzugehen, wie der Oheim auf dem Bilde. Diesen Wunsch gewahrte mein Erzieher, und ich muss wirklich, als zehnjahriger Knabe, anmutig genug ausgesehen haben, im himmelhoch frisierten Toupet, und kleinen zirkelrunden Haarbeutel, im zeisiggrunen Rock mit schmaler silberner Stickerei, seidenen Strumpfen und kleinem Degen. Dies kindische Streben ging tiefer ein, als ich alter worden, da, um mir Lust zur trockensten Wissenschaft einzuflossen, es genugte, mir zu sagen, dies Studium sei mir notig, damit ich, dem Oheim gleich, dereinst Legationsrat werden konne. Dass die Kunst, welche mein Inneres erfullte, mein eigentliches Streben, die wahre einzige Tendenz meines Lebens sein durfe, fiel mir um so weniger ein, als ich gewohnt war, von Musik, Malerei, Poesie, nicht anders reden zu horen, als von ganz angenehmen Dingen, die zur Erheiterung und Belustigung dienen konnten. Die Schnelle, mit der ich, ohne dass sich jemals auch nur ein einziges Hindernis offenbart hatte, durch mein erlangtes Wissen, und durch den Vorschub des Oheims in der Residenz, in der Laufbahn, die ich gewissermassen selbst gewahlt, vorwarts schritt, liess mir keinen Moment ubrig, mich umzuschauen, und die schiefe Richtung des Weges, den ich genommen, wahrzunehmen. Das Ziel war erreicht, umzukehren nicht mehr moglich, als in einem nicht geahnten Moment die Kunst sich rachte, der ich abtrunnig worden, als der Gedanke eines ganzen verlornen Lebens mich mit trostlosem Weh erfasste, als ich mich in Ketten geschlagen sah, die mir unzerbrechlich dunkten!«—
«Gluckselig, heilbringend also die Katastrophe«, rief der Geheimerat,»die Dich aus den Fesseln befreite!«
«Sage das nicht«, erwiderte Kreisler,»zu spat trat die Befreiung ein. Mir geht es, wie jenem Gefangenen, der, als er endlich befreit wurde, dem Getummel der Welt, ja dem Licht des Tages, so entwohnt war, dass er, nicht vermogend der goldnen Freiheit zu geniessen, sich wieder zurucksehnte in den Kerker.«
«Das ist«, nahm Meister Abraham das Wort,»nun eine von Euern konfusen Ideen, Johannes, mit denen Ihr Euch und andere plagt! – Geht! geht! – Immer hat es das Schicksal mit Euch gut gemeint, aber dass Ihr nun einmal nicht im gewohnlichen Trott bleiben konnt, dass Ihr rechts, links hinausspringt aus dem Wege, daran ist niemand schuld als Ihr selbst. Recht habt Ihr indessen wohl, dass, was Eure Knabenjahre betrifft, Euer Stern besonders waltete, und –
Zweiter Abschnitt
Lebenserfahrungen des Junglings
Auch ich war in Arkadien
(M. f. f.) —»Narrisch genug und zugleich ungemein merkwurdig war' es doch«, sprach eines Tages mein Meister zu sich selbst,»wenn der kleine graue Mann dort unter dem Ofen wirklich die Eigenschaften besitzen sollte, die der Professor ihm andichten will! – Hm! ich dachte, er konnte mich dann reich machen, mehr als mein unsichtbares Madchen es getan. Ich sperrt' ihn ein in einen Kaficht, er musste seine Kunste machen vor der Welt, die reichlichen Tribut dafur gern zahlen wurde. Ein wissenschaftlich gebildeter Kater will doch immer mehr sagen, als ein fruhreifer Junge, dem man die Exercitia eingetrichtert. Uberdem erspart' ich mir einen Schreiber! – Ich muss dem Dinge naher auf die Spur kommen!«
Ich gedachte, als ich des Meisters verfangliche Worte vernahm, der Warnung meiner unvergesslichen Mutter Mina, und wohl mich hutend, auch nur durch das geringste Zeichen zu verraten, dass ich den Meister verstanden, nahm ich mir fest vor, auf das sorgfaltigste meine Bildung zu verbergen. Ich las und schrieb daher nur des Nachts, und erkannte auch dabei mit Dank die Gute der Vorsehung, die meinem verachteten Geschlechte manchen Vorzug vor den zweibeinigen Geschopfen, die sich, Gott weiss warum, die Herren der Schopfung nennen, gegeben hat. Versichern kann ich namlich, dass ich bei meinen Studien weder des Lichtziehers noch des Olfabrikanten bedurfte, da der Phosphor meiner Augen hell leuchtet in der finstersten Nacht. Gewiss ist es daher auch, dass meine Werke erhaben sind uber den Vorwurf, der irgendeinem Schriftsteller aus der alten Welt gemacht wurde, dass namlich die Erzeugnisse seines Geistes nach der Lampe rochen. Doch innig uberzeugt von der hohen Vortrefflichkeit, mit der mich die Natur begabt hat, muss ich doch gestehen, dass alles hienieden gewisse Unvollkommenheiten in sich tragt, die wieder ein gewisses abhangiges Verhaltnis verraten. Von den leiblichen Dingen, die die Arzte nicht naturlich nennen, unerachtet sie mir eben recht naturlich dunken, will ich gar nicht reden, sondern nur rucksichts unseres psychischen Organismus bemerken, dass sich auch darin jene Abhangigkeit recht deutlich offenbaret. Ist es nicht ewig wahr, dass unsern Flug oft Bleigewichte hemmen, von denen wir nicht wissen, was sie sind, woher sie kommen, wer sie uns angehangt?
Doch besser und richtiger ist es wohl, wenn ich behaupte, dass alles Ubel vom bosen Beispiel herruhrt, und dass die Schwache unserer Natur lediglich darin liegt, dass wir dem bosen Beispiel zu folgen gezwungen sind. Uberzeugt bin ich auch, dass das menschliche Geschlecht recht eigentlich dazu bestimmt ist, dies bose Beispiel zu geben.
Bist du geliebter Katerjungling, der du dieses liesest, nicht einmal in deinem Leben in einen Zustand geraten, der, dir selbst unerklarlich, dir uberall die bittersten Vorwurfe und vielleicht auch – einige tuchtige Bisse deiner Kumpane zuzog? Du warst trage, zankisch, ungebardig, gefrassig, fandest an nichts Gefallen, warst immer da, wo du nicht sein solltest, fielst allen zur Last, kurz, warst ein ganz unausstehlicher Bursche! – Troste dich o Kater! Nicht aus deinem eigentlichen, tiefern Innern formte sich diese heillose Periode deines Lebens, nein, es war der Zoll, den du dem uber uns waltenden Prinzip dadurch darbrachtest, dass auch du dem bosen Beispiel der Menschen, die diesen vorubergehenden Zustand eingefuhrt haben, folgtest. Troste dich o Kater! denn auch mir ist es nicht besser ergangen!