Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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Meister Abraham versicherte, dass Kreisler allerdings sonst in ganz anderen Verhaltnissen gelebt, die es ihm sogar vergonnt an der furstlichen Tafel zu speisen, und dass nur der verwustende Sturm der Zeit ihn aus diesen Verhaltnissen vertrieben. Ubrigens wunsche er aber, dass der Schleier den er uber die Vergangenheit geworfen, unverruckt liegen bleiben moge.
«Also«, nahm der Furst das Wort,»von Adel, vielleicht Baron – Graf – vielleicht gar – Nun man muss nicht zu weit gehen in traumerischer Hoffnung! – Ich habe ein Faible fur dergleichen Mysterien! Es war eine schone Zeit nach der franzosischen Revolution als Marquis Siegellack fabrizierten und Comtes Nachtmutzen strickten von Filet, und nichts sein wollten als simple Monsieurs, und man sich erlustigte auf dem grossen Maskenball. – Ja, was den Herrn von Kreisler betrifft! – Die Benzon versteht sich auf so etwas, sie ruhmte ihn, sie empfahl mir ihn, sie hat recht. An der Manier den Hut unter dem Arm zu halten, erkannte ich gleich den Mann von Bildung von feinem gelauterten Ton.«
Der Furst setzte noch einiges Lob uber Kreisler's aussere Erscheinung hinzu, so dass Meister Abraham uberzeugt war, sein Plan musse gelingen. Er hatte namlich im Sinn, den Herzensfreund dem eingebildeten Hofstaat einzuschieben als Kapellmeister, und ihn so in Sieghartsweiler festzuhalten. Als er nun aber auf's neue davon sprach, erwiderte der Furst ganz entschieden, dass daraus ganz und gar nichts werden konne.
«Sagt selbst«, fuhr er dann fort,»Meister Abraham, ob es moglich sein wurde den angenehmen Mann in meinen engeren Familienkreis zu ziehen, wenn ich ihn zum Kapellmeister, und so zu meinem Offizianten mache? – Ich konnte ihm eine Hofcharge verleihen, und ihn zum Maitre de Plaisirs oder des Spectacles machen, aber der Mann versteht die Musik aus dem Grunde, und ist auch, wie Ihr sagt, im Theaterwesen wohl erfahren. Nun weiche ich aber nicht ab von dem Grundsatz meines hochst seligen in Gott ruhenden Herrn Vaters, der immer behauptete, besagter Maitre musse um des Himmels willen sich auf die Sachen, deren Maitre er reprasentiere, nicht verstehen, da er sich sonst gar zu sehr darum bekummere, und sich viel zu sehr fur die Menschen, die dabei beschaftigt, als da sind Schauspieler, Musikanten u. s. w., interessiere. – Also dafur behalte Herr von Kreisler die Maske des fremden Kapellmeisters, und schreite damit hinein in die inneren Gemacher des furstlichen Hauses nach dem Beispiel eines hinlanglich vornehmen Mannes, der vor einiger Zeit in der freilich verwerflichen Maske eines schnoden Histrionen die auserlesensten Zirkel mit den anmutigsten Faxen amusierte.«
«Und da Ihr gewissermassen«, rief der Furst dem Meister Abraham, der sich fortbegeben wollte, zu,»den Charge d'affaires des Herrn von Kreisler zu machen scheinet, so will ich es Euch nicht verhehlen, dass nur zwei Dinge mir nicht recht an ihm gefallen wollen, die vielleicht mehr Gewohnheiten sind, als wirkliche Dinge. – Ihr versteht schon, wie ich das meine. – Furs erste starrt er mir, wenn ich mit ihm spreche, geradezu ins Antlitz. Ich habe doch konsiderable Augen, kann furchterlich daraus blitzen, wie weiland Friedrich der Grosse, kein Kammerjunker, kein Page wagt es aufzuschauen, wenn ich den entsetzlichen Blick auf ihn schiessend frage, ob das mauvais sujet schon wieder Schulden gemacht, oder den Marzipan aufgefressen, aber der Herr von Kreisler, den mag ich anblitzen, wie ich will, er macht sich gar nichts daraus, sondern lachelt mich an auf eine Weise, dass – ich selbst die Augen niederschlagen muss. Dann hat der Mann eine solche besondere Art zu sprechen, zu antworten, das Gesprach fortzufuhren, dass man zuweilen ordentlich glaubt, das, was man selbst gesagt, sei eben nicht sonderlich gewesen, man ware gewissermassen ein Be-. Beim St. Januar, Meister, das ist ganz unausstehlich, und Ihr musst dafur sorgen, dass Herr von Kreisler sich diese Dinge oder Gewohnheiten abgewohne.«
Meister Abraham versprach zu tun, was Furst Irenaus von ihm verlangte, und wollte aufs neue davon, da erwahnte der Furst noch des besonderen Widerwillens, den Prinzessin Hedwige gegen den Kreisler geaussert, und meinte, dass das Kind seit einiger Zeit von seltsamen Traumen und Einbildungen geplagt werde, weshalb der Leibarzt die Molkenkur zum nachsten Fruhjahr angeraten. Hedwiga sei namlich jetzt auf den sonderbaren Gedanken geraten, dass Kreisler dem Tollhause entsprungen, und allerlei Unheil anrichten werde bei nachster Gelegenheit.
«Sagt«, sprach der Furst,»sagt Meister Abraham, ob der vernunftige Mann wohl nur die mindeste Spur der Geisteszerruttung an sich tragt?«Abraham erwiderte, dass Kreisler zwar ebensowenig verruckt sei, als er selbst, jedoch sich zuweilen etwas seltsam gebarde, und in einen Zustand gerate, der beinahe dem des Prinzen Hamlet zu vergleichen, dadurch aber nur um so interessanter werde. – Soviel wie ich weiss«, nahm der Furst das Wort,»war der junge Hamlet ein vortrefflicher Prinz aus einem alten angesehenen Regentenhause, der sich nur zu Zeiten mit der sonderbaren Idee herumtrug, dass samtliche Hofleute sich auf das Flotenblasen verstehen sollten. Hohen Personen steht es wohl an, auf Seltsames zu verfallen, es vermehrt den Respekt. Was bei dem Mann ohne Rang und Stand eine Absurditat zu nennen, ist bei ihnen bloss die angenehme Kapriole eines ungemeinen Geistes, welche Staunen erregen muss, und Bewunderung. – Herr von Kreisler sollte fein im geraden Wege bleiben, will er aber durchaus den Prinzen Hamlet imitieren, so ist das ein schones Streben nach dem Hohern, vielleicht veranlasst durch seine uberwiegende Neigung zu den musikalischen Studien. Man mag es ihm verzeihen, wenn er bisweilen sich wunderlich betragen will.«—
Es schien, als wenn Meister Abraham heute nun einmal nicht aus dem Zimmer des Fursten kommen sollte; denn wiederum rief der Furst ihn zuruck, als er schon die Ture geoffnet, und verlangte zu wissen, woher der seltsame Widerwille der Prinzessin Hedwiga gegen den Kreisler wohl ruhren moge. Meister Abraham erzahlte die Art, wie Kreisler der Prinzessin und Julien zum erstenmal im Park zu Sieghartshof erschienen und meinte, dass die aufgeregte Stimmung, in der der Kapellmeister damals gewesen, auf eine Dame von zarten Nerven wohl habe feindlich wirken mussen.
Der Furst gab mit einiger Heftigkeit zu erkennen, wie er hoffe, dass Herr von Kreisler nicht wirklich zu Fusse nach Sieghartshof gekommen, sondern dass der Wagen hier oder dort im breiten Fahrwege des Parks gehalten, da nur gemeine Abenteurer zu Fusse zu reisen pflegten.
Meister Abraham meinte, dass man zwar das Beispiel eines tapfern Offiziers vor Augen habe, der von Leipzig nach Syrakus gelaufen, ohne sich ein einziges Mal die Stiefel versohlen zu lassen, was aber den Kreisler betreffe, so sei er uberzeugt, dass ein Wagen wirklich im Park gehalten. – Der Furst war zufrieden. —
Wahrend sich dies im Gemach des Fursten begab, sass Johannes bei der Ratin Benzon vor dem schonsten Flugel, den jemals die kunstreiche Nannette Streicher gebaut, und begleitete Julien das grosse leidenschaftliche Rezitativ der Klytamnestra aus Glucks» Iphigenia in Aulis.«—
Gegenwartiger Biograph ist leider genotigt, seinen Helden, soll das Portrat richtig sein, als einen extravaganten Menschen darzustellen, der, vorzuglich was die musikalische Begeisterung betrifft, oft dem ruhigen Beobachter beinahe wie ein Wahnsinniger erscheint. Er hat ihm schon die ausschweifende Redensart nachschreiben mussen, dass,»als Julia sang,»aller sehnsuchtige Schmerz der Liebe, alles Entzucken susser Traume, die Hoffnung, das Verlangen, durch den Wald wogte und niederfiel wie erquickender Tau in die duftenden Blumenkelche, in die Brust horchender Nachtigallen.
Julia, einer vollen metallreichen, glockenreinen Stimme machtig, sang mit dem Gefuhl, mit der Begeisterung, die aus dem im Innersten bewegten Gemut hervorstromt, und darin mochte wohl der wunderbare, unwiderstehliche Zauber liegen, den sie auch heute ubte. Der Atem jedes Zuhorers stockte, als sie sang; jeder fuhlte seine Brust beengt von sussem, namenlosem Weh, erst ein paar Augenblicke, nachher als sie geendet, brach das Entzucken los im sturmischen ungemessensten Beifall. Nur Kreisler sass da, stumm und starr, zuruckgelehnt in den Sessel: dann stand er leise und langsam auf, Julia wandte sich zu ihm mit einem Blick, der deutlich fragte:»War es denn auch wohl so recht?«– Errotend schlug sie aber die Augen nieder, als Kreisler, die Hand aufs Herz legend, mit zitternder Stimme lispelte:»Julia!«und dann mit gebucktem Haupte mehr schlich als ging hinter den Kreis, den die Damen geschlossen.
Mit Muhe hatte die Ratin Benzon Prinzessin Hedwiga dahin vermocht, in der Abendgesellschaft zu erscheinen, wo sie den Kapellmeister Kreisler antreffen musste. Sie gab nur nach, als die Ratin ihr sehr ernsthaft vorstellte, wie kindisch es sein wurde, einen Mann zu meiden, bloss weil er nicht zu den, auf eine Art und Weise, wie Scheidemunze ausgepragten, zu rechnen, sondern sich in freilich hin und wieder bizarrer Eigentumlichkeit darstelle. Zudem habe Kreisler auch Eingang gefunden bei dem Fursten, und unmoglich wurd' es daher sein, den seltsamen Eigensinn durchzufuhren.