Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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So wie Kreisler erzahlt, wurde in der Familie von dem Herrn Liscov immer mit hoher Bewunderung gesprochen. Man nannte ihn den geschicktesten Kunstler, den es geben konne, und bedauerte nur, dass seine tollen Grillen, seine ausgelassenen Einfalle ihn von jedermann entfernt hielten. Als einen besondern Glucksfall ruhmte dieser, jener, dass Herr Liscov wirklich da gewesen und seinen Flugel neu befiedert und gestimmt habe. Eben von Liscov's phantastischen Streichen wurde dann auch manches erzahlt, welches auf den kleinen Johannes ganz besonders wirkte, so dass er sich von dem Mann, ohne ihn zu kennen, ein ganz bestimmtes Bild entwarf, sich nach ihm sehnte und als der Oheim versicherte, Herr Liscov wurde vielleicht kommen und den schadhaften Flugel reparieren, jeden Morgen fragte, ob Herr Liscov denn nicht endlich erscheinen werde. Dieses Interesse des Knaben fur den unbekannten Herrn Liscov steigerte sich aber bis zur hochsten anstaunenden Ehrfurcht, als er in der Hauptkirche, die der Oheim in der Regel nicht zu besuchen pflegte, zum erstenmal die machtigen Tone der grossen schonen Orgel vernahm, und als der Oheim ihm sagte, niemand anders, als eben Herr Abraham Liscov habe dies herrliche Werk verfertigt. Von diesem Augenblick an verschwand auch das Bild, das Johannes sich von Herrn Liscov entworfen, und ein ganz anderes trat an seine Stelle. Herr Liscov musste nach des Knaben Meinung ein grosser, schoner Mann sein, von stattlichem Ansehen, hell und stark sprechen, und vor allen Dingen einen pflaumfarbnen Rock tragen, mit breiten goldnen Tressen wie der Pate Kommerzienrat, der so gekleidet ging, und vor dessen reicher Tracht der kleine Johannes den tiefsten Respekt hegte.
Als eines Tages der Oheim mit Johannes am offnen Fenster stand, kam ein kleiner hagerer Mann die Strasse herab geschossen, in einem Rockelor von hellgrunem Berkan, dessen offne Armelklappen seltsam im Winde auf und nieder flatterten. Dazu hatte er ein kleines dreieckiges Hutchen martialisch auf die weissgepuderte Frisur gedruckt, und ein zu langer Haarzopf schlangelte sich herab uber den Rucken. Er trat hart auf, dass das Strassenpflaster drohnte, und stiess auch bei jedem zweiten Schritt mit dem langen spanischen Rohr, das er in der Hand trug, heftig auf den Boden. Als der Mann vor dem Fenster vorbeikam, warf er aus seinen funkelnden pechschwarzen Augen dem Oheim einen stechenden Blick zu, ohne seinen Gruss zu erwidern. Dem kleinen Johannes bebte es eiskalt durch alle Glieder, und zugleich war es ihm zu Mute, als musse er uber den Mann entsetzlich lachen, und konne nur nicht dazu kommen, weil ihm die Brust so beengt.»Das war der Herr Liscov,
«Ist das wohl«, sprach der Oheim,»ein Betragen fur einen gesetzten Mann, der in den Studiis nicht unerfahren, der als privilegierter Orgelbauer zu den Kunstlern zu rechnen, und dem Gesetze des Landes verstatten einen Degen zu tragen? Sollte man nicht vermeinen, er habe schon am lieben fruhen Morgen zu tief ins Glas geguckt, oder sei dem Tollhause entsprungen? Aber ich weiss es, nun wird er herkommen und den Flugel in Ordnung bringen.«
Der Oheim hatte recht. Schon andern Tages war Herr Liscov da, aber statt die Reparatur des Flugels vorzunehmen, verlangte er, der kleine Johannes sollte ihm vorspielen. Dieser wurde auf den mit Buchern bepackten Stuhl gesetzt, Herr Liscov ihm gegenuber am schmalen Ende des Flugels, stutzte beide Arme auf das Instrument, und sah dem Kleinen starr ins Antlitz, welches ihn dermassen ausser Fassung brachte, dass die Menuetts, die Arien, die er aus dem alten Notenbuche abspielte, holpricht genug gingen. Herr Liscov blieb ernst, aber plotzlich rutschte der Knabe herab, und versank unter des Flugels Gestell, woruber der Orgelbauer, der ihm mit einem Ruck die Fussbank unter den Fussen weggezogen, eine unmassige Lache aufschlug. Beschamt rappelte sich der Knabe hervor, doch in dem Augenblick sass Herr Liscov auch schon vor dem Flugel, hatte einen Hammer hervorgezogen, und hammerte auf das arme Instrument so unbarmherzig los, als wolle er alles in tausend Stucke schlagen.»Herr Liscov sind Sie von Sinnen!«schrie der Onkel, aber der kleine Johannes, ganz entrustet, ganz ausser sich uber des Orgelbauers Beginnen, stemmte sich mit aller Gewalt gegen den Deckel des Instruments, so, dass er mit lautem Krachen zuschlug, und Herr Liscov schnell den Kopf zuruckziehen musste, um nicht getroffen zu werden. Dann rief er:»Ei lieber Onkel, das ist nicht der geschickte Kunstler, der die schone Orgel gebaut hat, er kann es nicht sein, denn dieser hier ist ja ein alberner Mensch, der sich betragt wie ein ungezogner Bube!«
Der Oheim verwunderte sich uber die Dreistigkeit des Knaben; aber Herr Liscov sah ihn lange starr an, sprach:»Er ist wohl ein kurioser Monsieur!«offnete leise und behutsam den Flugel, zog Instrumente hervor, begann seine Arbeit, die er in paar Stunden beendete, ohne ein einziges Wort zu sprechen.
Seit diesem Augenblick zeigte sich des Orgelbauers entschiedene Vorliebe fur den Knaben. Beinahe taglich kam er ins Haus, und wusste den Knaben bald fur sich zu gewinnen, indem er ihm eine ganze neue bunte Welt erschloss, in der sich sein reger Geist mutiger und freier bewegen konnte. Eben nicht loblich war es, dass Liscov, vorzuglich als Johannes schon in Jahren mehr vorgeruckt, den Knaben anregte zu den seltsamsten Foppereien, die oft gegen den Oheim selbst gerichtet waren, der freilich, beschrankten Verstandes, und voll der lacherlichsten Eigenheiten, dazu reichen Anlass bot. Gewiss ist es aber, dass, wenn Kreisler uber die trostlose Verlassenheit in seinen Knabenjahren klagt, wenn er das zerrissene Wesen, das ihn oft in seiner innersten Natur verstort, jener Zeit zuschreibt, wohl das Verhaltnis mit dem Oheim in Anschlag zu bringen ist. Er konnte den Mann, der Vaterstelle zu vertreten berufen, und der ihm mit seinem ganzen Tun und Wesen lacherlich erscheinen musste, nicht achten.
Liscov wollte den Johannes ganz an sich reissen, und es ware ihm gelungen, hatte sich nicht des Knaben edlere Natur dagegen gestraubt. Ein durchdringender Verstand, ein tiefes Gemut, eine ungewohnliche Erregbarkeit des Geistes, alles das waren anerkannte Vorzuge des Orgelbauers. Was man aber Humor zu nennen beliebte, war nicht jene seltne wunderbare Stimmung des Gemuts, die aus der tieferen Anschauung des Lebens in all' seinen Bedingnissen, aus dem Kampf der feindlichsten Prinzipe sich erzeugt, sondern nur das entschiedene Gefuhl des Ungehorigen, gepaart mit dem Talent, es ins Leben zu schaffen, und der Notwendigkeit der eignen bizarren Erscheinung. Dies war die Grundlage des verhohnenden Spottes, den Liscov uberall ausstromen liess, der Schadenfreude, mit der er alles als ungehorig Erkannte rastlos verfolgte bis in die geheimsten Winkel. Eben diese schadenfrohe Verspottung verwundete des Knaben zartes Gemut, und stand dem innigsten Verhaltnis, wie es der in wahrhafter innerer Gesinnung vaterliche Freund herbeigefuhrt haben wurde, entgegen. Zu leugnen ist aber auch nicht, dass der wunderliche Orgelbauer recht dazu geeignet war, den Keim des tiefern Humors, der in des Knaben Innern lag, zu hegen und zu pflegen, der denn auch sattsam gedieh und emporwuchs. —
Herr Liscov pflegte viel von Johannes Vater zu erzahlen, dessen vertrautester Freund er in seinen Junglingsjahren gewesen, zum Nachteil des erziehenden Oheims, der merklich in den Schatten trat, wenn der Bruder in hellem Sonnenlicht erschien. So ruhmte auch eines Tages der Orgelbauer den tiefen musikalischen Sinn des Vaters, und verspottete die verkehrte Art, wie der Oheim dem Knaben die ersten Elemente der Musik beigebracht. Johannes, dessen ganze Seele durchdrungen war von dem Gedanken an den, der ihm der Nachste gewesen, und den er nie gekannt, wollte immer noch mehr horen. Da verstummte aber Liscov plotzlich, und sah, wie einer, dem irgendein das Leben erfassender Gedanke vor die Seele tritt, starr zum Boden nieder.
«Was ist Euch Meister«, fragte Johannes,»was bewegt Euch so?«
Liscov fuhr auf, wie aus einem Traum, und sprach lachelnd» Weisst Du noch Johannes! wie ich Dir die Fussbank wegzog unter den Beinen, und Du hinabschobst unter den Flugel, da Du mir des Oheims abscheuliche Murkis und Menuetten vorspielen musstest?«
«Ach«, erwiderte Johannes,»wie ich Euch zum ersten Male sah, daran mag ich gar nicht denken. Es machte Euch gerade Spass, ein Kind zu betruben.«
«Und das Kind«, nahm Liscov das Wort,»war dafur tuchtig grob. Doch nimmermehr hatt' ich damals geglaubt, dass in Euch ein solch tuchtiger Musiker verborgen, und darum, Sohnlein, tu mir den Gefallen und spiele mir einen ordentlichen Choral vor auf dem papiernen Positiv. Ich will den Balg treten«.
– Es ist hier nachzuholen, dass Liscov grossen Geschmack fand an allerlei wunderlichen Spielereien, und den Johannes damit sehr ergotzte. Schon, als Johannes noch ein Kind, pflegte Liscov bei jedem Besuch ihm irgend etwas Seltsames mitzubringen.
Empfing das Kind bald einen Apfel, der in hundert Stucke zerfiel, wenn er abgeschalt wurde, oder irgendein seltsam geformtes Backwerk, so wurde der erwachsene Knabe bald mit diesem, bald mit jenem uberraschenden Kunststuck aus der naturlichen Magie erfreut, so half der Jungling optische Maschinen bauen, sympathetische Tinten kochen usw. An der Spitze der mechanischen Kunsteleien, die der Orgelbauer fur den Johannes verfertigte, stand aber ein Positiv mit achtfussigem Gedackt, dessen Pfeifen von Papier geformt, das mithin jenem Kunstwerk des alten Orgelbauers aus dem siebzehnten Jahrhundert, Eugenius Casparini geheissen, glich, welches in der kaiserlichen Kunstkammer in Wien zu sehen. Liscovs seltsames Instrument hatte einen Ton, dessen Starke und Anmut unwiderstehlich hinriss, und Johannes versichert noch, dass er niemals darauf spielen konnen, ohne in die tiefste Bewegung zu geraten, und dass ihm dabei manche wahrhaft fromme Kirchenmelodie hell aufgegangen. —
Auf diesem Positiv musste Johannes nun dem Orgelbauer vorspielen. Nachdem er, wie Liscov verlangt, ein paar Chorale gespielt, fiel er in den Hymnus:»Misericordias Domini cantabo«, den er vor wenigen Tagen gesetzt. – Da Johannes geendet, so sprang Liscov auf, druckte ihn sturmisch an die Brust, rief laut lachend:»Hasenfuss, was foppst Du mich mit Deiner lamentablen Cantilena? War' ich nicht immer und ewig Dein Kalkant gewesen, nichts Vernunftiges hattest Du jemals herausgebracht. – Aber nun renne ich fort, und lasse Dich im Stich ganz und gar, und Du magst Dir in der Welt einen andern Kalkanten suchen, der es mit Dir so gut meint als ich!«– Dabei standen ihm die hellen Tranen in den Augen. Er sprang zur Ture hinaus, die er sehr heftig zuschlug. Dann steckte er aber nochmals den Kopf hinein und sprach sehr weich:»Es kann nun einmal nicht anders sein. – Adieu Johannes! – Wenn der Oheim seine rotgeblumte Gros de Tours Weste vermisst, so sage nur, ich hatte sie gestohlen, und liesse mir daraus einen Turban machen, um dem Gross-Sultan vorgestellt zu werden! – Adieu Johannes!«– Kein Mensch konnte begreifen, warum Herr Liscov so plotzlich die angenehme Stadt Gonionesmuhl verlassen, warum er niemanden entdeckt, wohin er sich zu wenden entschlossen.
Der Oheim sprach:»Langst hab' ich vermutet, dass der unruhige Geist sich auf und davon machen wurde, denn er halt es, unerachtet er schone Orgeln verfertigt, doch nicht mit dem Spruch: Bleibe im Lande und nahre dich redlich! – Es ist nur gut, dass unser Flugel im Stande; nach dem uberspannten Menschen selbst frag' ich nicht viel!«– Anders dachte wohl Johannes, dem Liscov uberall fehlte, und dem nun ganz Gonionesmuhl ein totes, dustres Gefangnis dunkte.