Lebens-Ansichten des Katers Murr / Житейские воззрения кота Мурра
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So kam es, dass er den Rat des Orgelbauers befolgen, und sich in der Welt einen andern Kalkanten suchen wollte. Der Oheim meinte, da er seine Studien vollendet, konne er in der Residenz sich unter den Fittich des Geheimen-Legationsrates begeben und vollends ausbruten lassen. – Es geschah so! —
– In diesem Augenblick argert sich gegenwartiger Biograph uber alle Massen, denn indem er an den zweiten Moment aus Kreislers Leben kommt, von dem er Dir, geliebter Leser, zu erzahlen versprochen, namlich, wie Johannes Kreisler den wohlerworbenen Posten eines Legationsrates verlor, und gewissermassen aus der Residenz verwiesen wurde, wird er gewahr, dass alle Nachrichten, die ihm daruber zu Gebote stehen, armlich, durftig, seicht, unzusammenhangend sind. —
Es genugt indessen am Ende wohl, zu sagen, dass, bald nachdem Kreisler in die Stelle seines verstorbenen Oheims getreten, und Legationsrat geworden, ehe man sich's versah, ein gewaltiger gekronter Koloss den Fursten in der Residenz heimsuchte, und ihn als seinen besten Freund so innig und herzlich in seine eisernen Arme schloss, dass der Furst daruber den besten Teil seines Lebensatems verlor. Der Gewaltige hatte in seinem Tun und Wesen etwas ganz Unwiderstehliches, und so kam es, dass seine Wunsche befriedigt werden mussten, sollte auch, wie es wirklich geschah, daruber alles in Not und Verwirrung geraten. Manche fanden die Freundschaft des Gewaltigen etwas verfanglich, wollten sich wohl gar dagegen auflehnen, gerieten aber selbst daruber in das verfangliche Dilemma, entweder die Vortrefflichkeit jener Freundschaft anzuerkennen, oder ausserhalb Landes einen andern Standpunkt zu suchen, um vielleicht den Gewaltigen im richtigeren Licht zu erblicken.
Kreisler befand sich unter diesen.
Trotz seines diplomatischen Charakters hatte Kreisler geziemliche Unschuld konserviert, und eben deshalb gab es Augenblicke, in denen er nicht wusste, wozu sich entschliessen. Eben in einem solchen Augenblick erkundigte er sich bei einer hubschen Frau in tiefer Trauer, was sie uberhaupt von Legationsraten halte? Sie erwiderte vieles in zierlichen, artigen Worten; am Ende kam aber so viel heraus, dass sie von einem Legationsrat gar nicht viel halten konne, sobald er sich auf enthusiastische Weise mit der Kunst beschaftige, ohne sich ihr ganz zuzuwenden.
«Vortrefflichste der Witwen«, sprach darauf Kreisler,»ich reisse aus!«
Als er bereits Reisestiefel angezogen und mit dem Hute in der Hand sich empfehlen wollte, nicht ohne Ruhrung und gehorigen Abschiedsschmerz, steckte ihm die Witwe den Ruf zur Kapellmeisterstelle bei dem Grossherzog, der das Landchen des Fursten Irenaus verspeist, in die Tasche.
Kaum ist es notig, hinzuzufugen, dass die Dame in Trauer niemand anders war, als die Ratin Benzon, die eben des Rates verlustig geworden, da der Gemahl verstorben.
Merkwurdigerweise trug es sich zu, dass die Benzon eben zu der Zeit als —
(M. f. f.) – Ponto geradezu auf das Brot und Wurste feilhaltende Madchen loshupfte, die mich, da ich freundlich bei ihr zulangte, beinahe tot geschlagen.»Mein Pudel Ponto, mein Pudel Ponto, was tust du, nimm dich in acht, hute dich vor der herzlosen Barbarin, vor dem rachedurstenden Wurstprinzip!«– So rief ich hinter Ponto her – ohne auf mich zu achten, setzte er aber seinen Weg fort – und ich folgte in der Ferne, um, sollte er in Gefahr geraten, mich gleich aus dem Staube machen zu konnen. – Vor dem Tisch angekommen, richtete sich Ponto auf den Hinterfussen in die Hohe – und tanzelte in den zierlichsten Sprungen um das Madchen her, die sich daruber gar sehr erfreute. Sie rief ihn an sich, er kam, legte den Kopf in ihren Schoss, sprang wieder auf, bellte lustig, hupfte wieder um den Tisch, schnupperte bescheiden, und sah dem Madchen freundlich in die Augen.
«Willst du ein Wurstchen, artiger Pudel?«So fragte das Madchen, und als nun Ponto anmutig schwanzelnd laut aufjauchzte, nahm sie zu meinem nicht geringen Erstaunen eine der schonsten, grossten Wurste, und reichte sie dem Ponto dar. Dieser tanzte wie zur Danksagung noch ein kurzes Ballett, und eilte dann zu mir mit der Wurst, die er mit den freundlichen Worten hinlegte:»Da, iss, erquicke dich Bester!«Nachdem ich die Wurst verzehrt, lud mich Ponto ein, ihm zu folgen, er wolle mich zuruckfuhren zum Meister Abraham.
Wir gingen langsam nebeneinander her, so dass es uns nicht schwer fiel, wandelnd, vernunftige Gesprache zu fuhren.
«Ich seh' es wohl ein«, (so begann ich die Unterredung)»dass du, geliebter Ponto, es viel besser verstehst, in der Welt fortzukommen, als ich. Nimmermehr wurd' es mir gelungen sein, das Herz jener Barbarin zu ruhren, welches dir so ungemein leicht wurde. Doch verzeih! – In deinem ganzen Benehmen gegen die Wurstverkauferin lag doch etwas, wogegen mein innerer mir angeborner Sinn sich auflehnt. Eine gewisse unterwurfige Schmeichelei, ein Verleugnen des Selbstgefuhls, der edleren Natur – nein! guter Pudel, nicht entschliessen konnte ich mich, so freundlich zu tun, so mich ausser Atem zu setzen mit angreifenden Manovers, so recht demutig zu betteln, wie du es tatest. Bei dem starksten Hunger, oder wenn mich ein Appetit nach etwas Besonderem anwandelt, begnuge ich mich, hinter den Meister auf den Stuhl zu springen, und meine Wunsche durch ein sanftes Knurren anzudeuten. Und selbst dies ist mehr Erinnerung an die ubernommene Pflicht, fur meine Bedurfnisse zu sorgen, als Bitte um eine Wohltat.«
Ponto lachte laut auf, als ich dies gesprochen und begann dann:»O Murr, mein guter Kater, du magst ein tuchtiger Literatus sein und dich wacker auf Dinge verstehen, von denen ich gar keine Ahnung habe, aber von dem eigentlichen Leben weisst du gar nichts, und wurdest verderben, da dir alle Weltklugheit ganzlich abgeht. – Furs erste wurdest du vielleicht anders geurteilt haben, ehe du die Wurst genossen, denn hungrige Leute sind viel artiger und fugsamer, als satte, dann aber bist du rucksichts meiner sogenannten Unterwurfigkeit in grossem Irrtum. Du weisst ja, dass das Tanzen und Springen mir grosses Vergnugen macht, so, dass ich es oft auf meine eigene Hand unternehme. Treibe ich nun, eigentlich nur zu meiner Motion, meine Kunste vor den Menschen, so macht es mir ungemeinen Spass, dass die Toren glauben, ich tate es aus besonderm Wohlgefallen an ihrer Person, und nur um ihnen Lust und Freude zu erregen. Ja sie glauben das, sollte auch eine andere Absicht ganz klar sein. Du hast, Geliebter! das lebendige Beispiel davon soeben erfahren. Musste das Madchen nicht gleich einsehen, dass es mir nur um eine Wurst zu tun war, und doch geriet sie in volle Freude, dass ich ihr, der Unbekannten, meine Kunste vormachte, als einer Person, die dergleichen zu schatzen vermogend, und eben in dieser Freude tat sie das, was ich bezweckte. Der Lebenskluge muss es verstehen, allem, was er bloss seinetwegen tut, den Anschein zu geben, als tate er es um anderer willen, die sich dann hoch verpflichtet glauben, und willig sind zu allem, was man bezweckte. Mancher erscheint gefallig, dienstfertig, bescheiden, nur den Wunschen anderer lebend, und hat nichts im Auge, als sein liebes Ich, dem die andern dienstbar sind, ohne es zu wissen. Das, was du also unterwurfige Schmeichelei zu nennen beliebst, ist nichts als weltkluges Benehmen, das in der Erkenntnis und der foppenden Benutzung der Torheit anderer seine eigentlichste Basis findet.«
«O Ponto«, erwiderte ich,»du bist ein Weltmann, das ist gewiss, und ich wiederhole, dass du dich auf das Leben besser verstehst als ich, aber dem unerachtet kann ich kaum glauben, dass deine seltsamen Kunste dir selbst Vergnugen machen sollten. Wenigstens ist mir das entsetzliche Kunststuck durch Mark und Bein gegangen, als du in meiner Gegenwart deinem Herrn ein schones Stuck Braten apportiertest, es sauber zwischen den Zahnen haltend, und nicht eher einen Bissen davon genossest, bis dein Herr dir die Erlaubnis zuwinkte.«
«Sage mir doch, guter Murr«, fragte Ponto,»was sich nachher begab!«
«Beide«, erwiderte ich,»dein Herr und Meister Abraham lobten dich uber alle Massen, und setzten dir einen ganzen Teller mit Braten hin, den du mit erstaunlichem Appetit verzehrtest.«
«Nun also, bester Kater«, fuhr Ponto fort,»glaubst du wohl, dass, hatt' ich apportierend das kleine Stuck Braten gefressen, dass ich dann eine solch reichliche Portion, und uberhaupt Braten erhalten? Lerne, o unerfahrner Jungling! dass man kleine Opfer nicht scheuen darf, um Grosses zu erreichen. Mich wundert's, dass bei deiner starken Lekture dir nicht bekannt worden, was es heisst, die Wurst nach der Speckseite werfen. – Pfote aufs Herz, muss ich dir gestehen, dass, traf' ich einsam im Winkel einen ganzen schonen Braten an, ich ihn ganz gewiss verzehren wurde, ohne auf die Erlaubnis meines Herrn zu warten, konnt' ich das nur unbelauscht vollbringen. Es liegt nun einmal in der Natur, dass man im Winkel ganz anders handelt, als auf offener Strasse. Ubrigens ist es auch ein aus tiefer Weltkenntnis geschopfter Grundsatz, dass es ratsam ist, in Kleinigkeiten ehrlich zu sein.«